Online-Event: Cannabis-Konsum bei Jugendlichen

Immer mehr Heranwachsende konsumieren Cannabis. Was sind die Folgen? Darüber sprechen wir mit Dr. med. Frank Köhnlein am 20. April 2023.

Eine Frau raucht Cannabis.
Wie abhängig macht Cannabis – und schädigt es das Gehirn von Jugendlichen? © Mayara Klingner / EyeEm / Getty Images

„Du kiffst Dir die Neuronen weg“, sagt Frank Köhnlein schon mal zu einem Jugendlichen, der mit einem Suchtproblem in seiner Praxis landet. Dr. med. Frank Köhnlein ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie und hat viele Jahre Erfahrungen in der Behandlung von jungen Menschen, die viel Cannabis konsumieren. Mit ihm wollen wir darüber sprechen, wie schädlich Cannabis ist – ob es bei Jugendlichen Psychosen auslöst, die Persönlichkeit verändert, das Gehirn dauerhaft beeinträchtigt?

Macht Alkohol aggressiv, aber Kiffen friedlich? Und wie können Eltern mit ihren Söhnen und Töchtern über den Konsum sprechen, gerade jetzt, wo die Cannabislegalisierung in Deutschland bevorsteht? Diese und weitere Fragen wird Psychologie Heute-Chefredakteurin Dorothea Siegle dem Experten Frank Köhnlein am 20. April 2023 ab 19 Uhr stellen. Der Zoom-Talk Psychische Probleme bei Kindern und Jugendlichen gehört zur Reihe Psychologie Heute live!. Die digitale Veranstaltung richtet sich an alle Interessierten, die Anmeldung ist kostenlos.

Wie verbreitet ist der Konsum?

Ungefähr zehn Prozent aller 12- bis 17-Jährigen und fast die Hälfte der 18-bis 25-jährigen jungen Erwachsenen haben Cannabis zumindest einmal ausprobiert. Das geht aus dem Bericht Drogenaffinität Jugendlicher hervor, den die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung herausgibt. In beiden Altersgruppen steigt der Konsum seit einigen Jahren deutlich an. Insgesamt 8,1 Prozent aller Jugendlichen haben im Zeitraum von 12 Monaten Cannabis konsumiert.

Wie hoch ist das Suchtpotenzial?

„Mitte der 2000er Jahre bemerkten wir, dass der Cannabis-Konsum zunimmt“, sagt Dr. Eva Hoch, Psychologin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in München. „Damals wurde unter Experten noch diskutiert, ob Cannabis überhaupt abhängig macht.“ Heute besteht darüber kein Zweifel mehr. Die Weltgesundheitsorganisation WHO kommt zu dem Schluss: Intensiver Cannabiskonsum ist der häufigste Anlass für eine Drogentherapie.

Auch wenn im Sprachgebrauch der Begriff Cannabisabhängigkeit etabliert ist, lautet der Fachbegriff nach dem internationalen Klassifikationssystem für Krankheiten ICD Cannabiskonsumstörung. Die Einstufung in leicht/ mittel/ schwer gibt Aufschluss über den Schweregrad und das Ausmaß der Gesundheitsstörung. Bei der Diagnose werden dieselben Kriterien wie bei anderen Substanzkonsumstörungen wie etwa von Alkohol zugrunde gelegt. Neben einer genetischen Vulnerabilität gibt es verschiedene psychische und soziale Risikofaktoren.

Generell gilt: Je intensiver vor dem 16. Lebensjahr Cannabis konsumiert wird, desto höher das Risiko für den Jugendliche, eine Konsumstörung zu entwickeln. Ein regelmäßiger Konsum liegt vor, wenn die Droge täglich oder nahezu täglich konsumiert wird.

Was sind die gesundheitlichen Risiken?

Zahlreiche internationale Studien gingen der Frage nach, welche gesundheitlichen Schäden der Konsum von Cannabis verursacht. Eine Langzeitstudie belegt eine Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen unter anderem in der Motorik, bei Planungsfähigkeit, Erinnerung, Entscheidungsfindung sowie der Kontrolle von Emotionen und Verhalten. Die Ausprägungen dieser Einschränkungen hingen vom Alter der Nutzerinnen sowie deren mengenmäßigem und andauerndem Konsum ab. Als eine der Folgen benennen die Forschenden Schulschwierigkeiten infolge der Konzentrationsstörungen sowie einen Kontrollverlust beim Konsum.

Wie sehr sich der Cannabiskonsum auf das Gehirn auswirkt, belegt eine weitere Studie, die heranwachsende Konsumenten fünf Jahre lang regelmäßig mittels Hirnscans untersuchte. Die Untersuchung ergab, dass die Hirnrinde im Bereich des präfrontalen Cortex nach und nach dünner wird – abhängig von den zugeführten Mengen. Das Schwinden der Hirnrinde könnte die Einbußen bei den kognitiven Fähigkeiten erklären.

Eine im International Journal of Drug Policy veröffentlichte Meta-Studie zeigt, dass vor allem männliche Nutzer von negativen Auswirkungen des Konsums überproportional betroffen sind. Die Forschenden resümieren: „Die überwiegende Mehrheit der Nutzer entwickelt keine ernstzunehmenden Probleme, selbst über lange Zeit hinweg.“ Wesentlich anders sehe es bei den Jugendlichen mit hochgradiger Nutzung aus, bei der fast jeder und jede Zweite eine Nutzungsstörung, eine Cannabis Use Disorder (CUD) entwickele. Ein weiteres, wenig beachtetes Risiko: Verletzungen durch Verkehrsunfälle im Rauschzustand.

Verursacht Kiffen psychische Erkrankungen?

Hitzig wird in Fachkreisen die Frage debattiert, welche Auswirkungen Cannabis auf die Entwicklung von psychiatrischen Erkrankungen hat. Laut der CaPRiS-Studie stellt „Cannabis einen Risikofaktor für psychische Erkrankungen dar“. Allerdings seien noch weitere Risikofaktoren an der Krankheitsentstehung beteiligt, etwa psychosoziale Aspekte im Umfeld oder auch genetische Faktoren.

Zudem ist die Frage zwischen Kausalität und Korrelation in Fachkreisen strittig: Greifen möglicherweise Menschen mit einer genetischen Prädisposition für psychische Erkrankungen vermehrt zu Drogen? Dann wären diese nicht die Ursache, sondern nur eine Begleiterscheinung. Oder berauschen sich Jugendliche mit bestehenden Ängsten oder Depressionen, um sich besser zu fühlen?

Eindeutig sind bislang die erhöhten Wahrscheinlichkeiten für Erkrankungen der Psyche: Konsumentinnen haben ein 1,3- bis 1,6-faches Risiko, an einer Depression oder einer Angststörung zu erkranken. Deutlich ausgeprägt ist zudem das Krankheitsrisiko für eine Psychose: Je nach Konsum variiert es zwischen dem 1,4-fachen bis 3,4-fachen Wert. Zudem brechen psychotische Störungen – zu denen auch die Schizophrenie zählt – bei Cannabisnutzern rund 2,7 Jahre früher aus als bei Nichtnutzern. Auch verläuft die Krankheit bei Konsumentinnen und Konsumenten schwerer.

Ist Cannabis heute stärker als früher?

Seit einigen Jahren werden Cannabis-Pflanzen im Anbau gezielt gezüchtet, um einen höheren Gehalt an psychoaktiven Substanzen zu erzielen, die einen stärkeren Rauschzustand verheißen. Laut den Untersuchungen von Forschungsteams der University of Bath und dem Londoner King’s College hat sich der Anteil der psychoaktiven Substanz THC (Tetrahydrocannabinol) in einem Jahrzehnt verdoppelt. Veröffentlicht wurde die Ergebnisse der europaweiten Studie im Magazin der britischen Gesellschaft für Suchtforschung Addiction.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten, dass der durchschnittliche THC-Gehalt im Cannabisharz (umgangssprachlich Haschisch) im Jahr 2008 durchschnittlich acht Prozent betrug, im Jahr 2016 auf 17 Prozent angestiegen ist. Eine Verdopplung des THC-Gehalts konnten die Wissenschaftler auch bei den psychoaktiven Cannabispflanzen nachweisen, die als Marihuana oder Gras bezeichnet werden. Gleichzeitig reduziert sich der Anteil des nicht berauschenden Cannabidiol (CBD) stetig, dem eher beruhigende und schützende Eigenschaften zugesprochen werden.

Die britischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind über den Anbau und die Verwendung von speziell hochgezüchteten Sorten besorgt, da die Cannabisnutzerinnen ihren Konsum nicht an die hohen Konzentrationen anpassen. Rauchen sie ähnliche Mengen wie zuvor, nehmen sie heute deutlich höhere Mengen an psychoaktiven Wirkstoffen auf. Damit steigt den Wissenschaftlern zufolge das Risiko für psychische Erkrankungen.

Mehr über den Referenten Dr. Frank Köhnlein

Frank Köhnlein ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie- und Psychotherapie mit eigener Praxis in Basel. Als Oberarzt leitete er dort 16 Jahre die Kinder- und Jugendpsychiatrische Universitätsklinik. Der 55-Jährige ist als Hochschuldezent, Supervisor und Fachberater an verschiedenen Institutionen und Behörden tätig.

Zu seinen Schwerpunkten zählen unter anderem Kinderschutz, Verhaltensauffälligkeiten, Selbstverletzungsverhalten und Essstörungen. Dr. Köhnlein ist zudem Autor einer Kriminalromanreihe (Vollopfer, Kreisverkehr) in der er Themen aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie fiktionalisiert.

Anmeldung zum Live-Talk am 20. April 2023

Das einstündige Psychologie Heute live!-Event startet am 20. April 2023 um 19 Uhr auf der Plattform Zoom und richtet sich an alle Interessierten. Während der Veranstaltung können Sie Ihre Fragen direkt im Chat stellen. Hier können Sie sich kostenlos anmelden. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!

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