22 Antworten auf die wichtigsten Fragen zu Cannabis-Konsum bei Jugendlichen

Nach Psychologie Heute live! beantwortet Frank Köhnlein Ihre offenen Fragen zu Cannabis-Konsum und dessen Folgen bei jungen Heranwachsenden.

Ein junges Mädchen liegt kiffend auf einer Couch, mit dem Kopf auf dem Schoß eines Jungen, der sie lächelnd ansieht.
Ob alleine oder im Freundeskreis: Immer mehr Jugendliche haben bereits einmal gekifft oder tun es regelmäßig. Dabei ist der Cannabis-Konsum alles andere als harmlos - insbesondere in jungen Jahren. © LanaStock | Getty Images

In der einen Hand einen Bubble Tea, in der anderen einen Joint – Cannabis ist schon längst vor seiner Legalisierung zu einem typischen Genussmittel geworden. Eine Umschreibung, die harmlos klingen mag, wobei der Konsum, insbesondere für junge heranwachsende Menschen, ernsthafte Folgen haben kann.

Eltern machen sich Sorgen: Wie schädlich ist Cannabis? Wird das Gehirn meines Kindes dauerhaft beeinträchtigt? Was kann ich tun, wenn mein Kind regelmäßig kifft? Darüber hat Dr. med. Frank Köhnlein bei Psychologie Heute live! mit Chefredakteurin Dorothea Siegle gesprochen.

In dem einstündigen Live-Talk konnten nicht alle Fragen der Zuschauerinnen und Zuschauer beantwortet werden. Wir haben die häufigsten Chat-Fragen zusammengefasst und sie dem Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie im Nachgang gestellt – hier seine Antworten.

Legalisierung von Cannabis

1. Herr Dr. Köhnlein, Sie raten dringend davon ab, vor dem 25. Lebensjahr Cannabis zu konsumieren. Was müsste im Zuge der Legalisierung geschehen, damit diese Altersgrenze ernst genommen wird?

Meine Empfehlung wäre es natürlich, überhaupt nicht zu kiffen – auch nicht nach 25. Aber es wäre unrealistisch zu verlangen: Bis 25 sollen junge Menschen kein Cannabis konsumieren.

Damit die Altersgrenze eingehalten wird, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Eine wäre die kontrollierte Abgabe von Cannabis mit einem reduzierten Wirkstoffgehalt in Apotheken. Das Gras würde zwar weiterhin flashen, aber die Neuronen von unter 25-Jährigen würden nicht derart „zertrümmert“. Dadurch könnte der Schwarz- beziehungsweise Graumarkt eingedämmt werden.

Die Dealer werden sich bei einer Legalisierung wahrscheinlich auf die unter 18-Jährigen konzentrieren. Die verkaufen vermutlich weiterhin synthetisch bearbeitetes Gras. Und das ist reiner Giftmüll. Eine kontrollierte Abgabe über Apotheken würde dem Suchtbedürfnis bereits abhängiger Jugendlicher gerecht werden und sie immerhin nicht zusätzlich mit diesem synthetischen Abfall belasten. Wenn Cannabis schon legalisiert wird, sollte wenigstens das sichergestellt werden.

Generell ist sich aber nach meinem Kenntnisstand der Großteil der Suchtmediziner und -medizinerinnen, der Kinderärzte und Kinderpsychiaterinnen einig: Wenn es darum geht, Heranwachsende zu schützen, ist eine punitive Drogenpolitik (Bestrafung des Drogenbesitzes oder -konsums, Verfolgung von Drogenhandel) erfolgreicher als die liberale, öffnende – auch wenn sich Letztere verstärkt um Information und Aufklärung bemühen will.

2. Glauben Sie, dass mit der Legalisierung die Zahl der Cannabis-abhängigen Kinder und Jugendlichen ansteigt?

Nein, das glaube ich nicht. Überall, wo Cannabis legalisiert worden ist, zum Beispiel in Kanada, ist der Konsum zwar kurzzeitig angestiegen, hat sich dann aber wieder normalisiert, beziehungsweise ist gesamthaft nur minimal gestiegen. Das würde ich auch für Deutschland oder die Schweiz erwarten.

Aber: Die Zahlen steigen sowieso an – wenn auch nicht gravierend. Es wird also tendenziell mehr gekifft werden. Der Grund ist jedoch nicht die Legalisierung, genauso wenig wie die Kriminalisierung von Cannabis zu einer nennenswerten Reduktion führt.

Entscheidend ist also viel mehr, wie es gelingt, diejenigen zu schützen, die besonders vulnerabel sind, denen besondere Gefahren durch Cannabis-Konsum drohen. Und das sind vor allem junge Menschen bis etwa 25 Jahre.

Wirkung auf Kinder und Jugendliche mit ADHS oder Autismus

3. Wie wirkt Cannabis bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS oder im Autismus-Spektrum?

ADHS ist beinahe schon ein Risikofaktor. Betroffene Jugendliche konsumieren häufig Cannabis, noch bevor sie medizinisch gesehen und behandelt werden. Sie merken, dass sie durch das Kiffen nicht mehr so – in der Schweiz sagen wir – „waschplig“ sind. Sie fühlen sich also nicht mehr so hibbelig und nervös. Cannabis wirkt bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS meistens stabilisierend und beruhigend – ein Effekt, den wir Kinderpsychiaterinnen und -psychiater ja auch mit Medikamenten erreichen.

Es besteht oft die Sorge, dass Arzneimittel zur Behandlung von ADHS, wie Ritalin, abhängig machen. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Wenn Kinder mit ADHS nicht medikamentös behandelt werden, suchen sie sich andere Wege, um ihre überschüssige Energie abzubremsen und mit der drängenden Unruhe umzugehen. Nicht selten landen sie beim Gras.

Bei Heranwachsenden im Autismus-Spektrum ist es schwer zu beantworten, wie Cannabis wirkt, weil es nicht die eine Autismus-Spektrum-Störung gibt. Ich vermute, dass der Konsum zu einer verstärkten Abkapselung führt. Aber das ist reine Spekulation. Bei einem unruhigen, vielleicht von Angst und Aggression geprägten autistischen Kind oder Jugendlichen kann medizinisches Cannabis hingegen beruhigend wirken. Das ist aktuell noch Gegenstand einiger Forschungsarbeiten.

In der Praxis behandeln wir viele junge Menschen im Autismus-Spektrum, aber ich kenne wirklich keinen einzigen, der regelmäßig kifft. Ich hatte einmal einen autistischen Jugendlichen in Behandlung, der im Freundeskreis Gras ausprobiert hat. Er berichtete, dass er keine Wirkung gemerkt habe. Das kann zum Beispiel an der veränderten Selbstwahrnehmung liegen, die für Autismus-Spektrum-Störungen typisch ist.

4. Medizinisches Cannabis wird manchmal auch bei der Behandlung von ADHS oder dem Tourette-Syndrom eingesetzt. Darunter sind auch junge Patientinnen und Patienten. Ist dieser Einsatz wirkungsvoll?

Dafür gibt es bislang keine Evidenz oder eindeutige Behandlungsempfehlung. Die wenigen Studien, die bisher gemacht wurden, kommen mehrheitlich zu dem Schluss, dass medizinisches Cannabis nicht zur Behandlung von ADHS empfohlen wird. In einer ganzen Reihe von Untersuchungen hat Cannabis auch einen negativen Effekt auf die Symptomatik gezeigt. Ich schließe mich dem an: Ich halte es nicht für sinnvoll, Cannabis bei ADHS einzusetzen. Zumal wir andere sehr gute Medikamente haben, die im Fall von ADHS in 80 Prozent der Fälle wirksam sind und viel weniger Nebenwirkungen haben. Im psychiatrischen Bereich wird vereinzelt bei Posttraumatischen Belastungsstörungen oder Depressionen mit Cannabis experimentiert.

Ein großes Problem beim Einsatz von Cannabis sind die vielen Nebeneffekte. Deshalb wird es auch als Dirty Drug bezeichnet. Dirty Drug meint ein Medikament, das an verschiedenen Rezeptoren im Gehirn und an anderen Stellen im Körper andockt. Es erzielt biochemisch verschiedene Wirkungen, somit also auch unvorhersehbare Nebenwirkungen. Beispiele sind der gesteigerte Appetit oder die roten Augen nach dem Konsum. Letzteres zeigt, dass Cannabis unter anderem auch auf Blutdruck und Blutgefäße wirkt. Eine Clean Drug hingegen wirkt spezifisch. Unter anderem wegen der Nebenwirkungen hat Cannabis bisher nur eine geringe Indikation für psychiatrische Störungen.

Anders ist es bei der Behandlung von Multipler Sklerose oder chronischen Schmerzerkrankungen. In der Krebstherapie wird ebenfalls viel damit experimentiert. Cannabis hat auf Krebszellen womöglich sogar eine hemmende Wirkung.

Cannabis-Konsum und psychische Erkrankungen (Depression, Angststörung, Psychose)

5. Ein Jugendlicher konsumiert regelmäßig Cannabis. Dadurch wurde bei ihm eine Psychose ausgelöst. Kann die Psychose chronisch werden oder besteht die Chance auf Heilung, wenn der er einen Entzug macht?

Das Groteske am Cannabis ist, dass schon der einmalige Konsum zu einer Psychose führen kann. Während der eine Jugendliche von einem einzigen Joint Wahnvorstellungen und Halluzinationen entwickelt, kann ein anderer jahrelang und mehrmals pro Woche kiffen, ohne dass etwas passiert. Das kann man nicht vorhersagen. Genauso wenig, ob es eine singuläre Episode bleibt oder ob es eine rezidivierende – also wiederkehrende – Erkrankung wird.

Es gibt verschiedene Vulnerabilitäts-Stress-Modelle. Sie versuchen die Anfälligkeit eines Menschen für psychische Krankheiten zu beschreiben. Wenn beispielsweise bereits andere Familienmitglieder eine Psychose hatten, ist das Risiko für den Jugendlichen erhöht. Trotzdem bleibt es eine Art Blackbox: Man weiß nicht, wen es „erwischt“.

Bei einer einmaligen Psychose spricht man nicht sofort von einer Schizophrenie, sondern von einer schizophreniformen psychotischen Störung. Diese sollte in der Regel medikamentös behandelt werden. Die Medikamente setzt man danach in Rücksprache mit dem Arzt oder der Ärztin langsam wieder ab und beobachtet, ob die Symptome erneut auftauchen.

Der Verlauf ist sehr offen. Entscheidend ist, dass man bei der ersten Psychose sehr schnell interveniert, meist auch mit Medikamenten. Sehr schnell heißt: heute. Das verbessert die Prognose auch bezüglich eines Rückfalls entscheidend. Ob der Jugendliche nach dem Cannabis-Entzug künftig ohne Psychosen leben kann, lässt sich also nicht so einfach sagen. Die Chance ist aber recht groß, wenn er sofort mit dem Konsum aufhört.

6. Wie lange nach dem Ziehen am Joint macht sich eine Psychose bemerkbar?

In der Regel treten zeitnah nach dem Konsum die ersten psychotischen Symptome auf. Eine Jugendliche hat gestern gekifft, wacht heute auf und sieht plötzlich Gestalten an der Wand laufen oder hört merkwürdige Dinge. Das ist jedoch noch nicht das Vollbild einer Psychose. Von da an nehmen die Wahnvorstellungen oft weiter zu.

Kifft die Jugendliche schon länger, baut sich die Psychose oft schleichender auf. Die Betroffenen merken, dass etwas seltsam ist, aber es geht alles viel weniger dramatisch zu. Zum Beispiel wird die Jugendliche zunehmend misstrauisch und hat mehr und mehr das Gefühl, die ganze Welt sei gegen sie. Aber sie wendet sich erstmal an niemanden, in der Hoffnung, dass es von alleine wieder verschwindet. Das ist natürlich fatal. Würde sie sich heute noch behandeln lassen, wäre ihre Prognose besser.

Ich habe schon mehrfach junge Heranwachsende erlebt, die in so einer Situation zwar wissen, dass die merkwürdigen Wahrnehmungen mit dem Cannabis-Konsum zusammenhängen, dann aber noch mehr kiffen, um sich zu beruhigen. Das ist in etwa so, als würde man einen Dachstockbrand mit Benzin löschen wollen, weil man nicht weiß, wo man Wasser herbekommen soll.

7. Wie verhält es sich, wenn Jugendliche bereits eine Depression oder Borderline-Persönlichkeitsstörung haben? Verstärkt das Cannabis solche Erkrankungen?

Eine Studie aus dem Jahr 2014, die im Lancet Psychiatry veröffentlich wurde, zeigt: Jugendliche, die täglich kiffen, haben eine 60-prozentig geringere Wahrscheinlichkeit, die High School abzuschließen, als Schulkameraden, die noch nie einen Joint angerührt haben. Wir wissen natürlich nicht, ob das ein ursächlicher Zusammenhang ist, aber zumindest besteht ein statistischer.

Die Forschenden haben aber auch festgestellt, dass das Depressionsrisiko durch Cannabis nicht steigt. Eigentlich würde man ja das Gegenteil annehmen. Wahrscheinlich kann Cannabis gewisse Symptome wie Antriebslosigkeit oder motorische Verlangsamung verstärken, die als Depression interpretiert werden könnten. Doch in Wirklichkeit sind es Nebenwirkungen des Drogenkonsums und keine depressive Störung.

Man kann aber festhalten: Cannabis ist für einen Menschen mit einer Depression sicher nicht das Beste. Ob letztlich die Symptome der psychischen Erkrankung verstärkt werden oder ob sie vom Suchtmittel selbst kommen, spielt keine Rolle – der Betroffene hängt in den Seilen.

Bei Persönlichkeitsstörungen ist die Sache noch komplizierter zu beschreiben: Kifft jemand, weil er oder sie eine ängstliche Persönlichkeitsstörung hat oder hat er die Ängste wegen des chronischen Cannabis-Konsums? Vollends schwierig wird es mit einem Konstrukt wie dem der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Manche sind der Auffassung, dass bei einem jungen Menschen bis 25 Jahren die Persönlichkeit noch gar nicht komplett „ausgereift“ ist – aber kann sie dann „gestört“ sein?

Ich bin mit dieser Diagnose bei Kindern und Jugendlichen definitiv nicht glücklich und rede daher bestenfalls von Persönlichkeitsentwicklungsstörungen. Ich weiß, dass das meine Berufskolleginnen und -kollegen unterschiedlich handhaben. Von einem Label wie „Persönlichkeitsstörung“ profitiert weder meine Behandlung noch das Selbstwertgefühl der Jugendlichen. Von daher kann ich über den Zusammenhang von Cannabis und Borderline-Persönlichkeitsstörungen bei Heranwachsenden nichts sagen.

Ob Cannabis die Persönlichkeit verändern kann, wird sehr kontrovers diskutiert. Sollte das der Fall sein, würde das bedeuten: Selbst wenn ich die Substanz eines Tages nicht mehr einnehme, bleibt meine Persönlichkeit in irgendeiner Weise verändert. Ich muss gestehen, dass ich das aus meiner klinischen Praxis nicht bestätigen kann, aber dazu fehlen mir die großen Fallzahlen.

Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass sich gewisse Persönlichkeitsmerkmale unter dem Einfluss von Cannabis entwickeln und festschreiben. Allein schon, weil das alles so unsicher ist, rate ich davon ab, bis zum Alter von 25 Jahren Cannabis zu konsumieren.

8. Was passiert, wenn eine Person Medikamente wie Antidepressiva einnimmt und Cannabis konsumiert?

Durch die Einnahme von Antidepressiva mit Alkohol oder Cannabis können sich Nebenwirkungen wie Schlafstörungen, Übelkeit und Kopfschmerzen verstärken. Bei bestimmten Antidepressiva, die wir in der Jugendpsychiatrie aber kaum verordnen, können die Wechselwirkungen sogar regelrecht gefährlich sein. Besonders gefährlich kann die Kombination von Cannabis mit Beruhigungsmitteln wie zum Beispiel Benzodiazepinen sein – das kann bis hin zu einem Atemstillstand führen.

Cannabis hemmt bestimmte Enzyme, die für den Abbau von Medikamenten zuständig sind, weshalb diese dann mehr Nebenwirkungen haben können. Das Herabsetzen der Atemtätigkeit ist zum Beispiel eine Nebenwirkung von Beruhigungsmitteln. Man kann also regelrecht ersticken. In der Schweiz gab es in jüngster Zeit mehrere solcher Todesfälle bei Jugendlichen. Daher warne ich vehement vor solchen Kombinationen.

CBD-Produkte

9. Sind CBD-Öl und andere CBD-Produkte ähnlich gefährlich wie Cannabis? Machen sie abhängig?

Cannabidiol (CBD) hat keine Wirkung auf das Belohnungssystem im Gehirn und erzeugt keinen Flash. Es wirkt nicht euphorisierend, sondern beruhigend. Deshalb wird CBD kein Suchtpotenzial zugeschrieben. Darüber herrscht übrigens große Einigkeit, selbst die Weltgesundheitsorganisation hat das bestätigt.

CBD-Produkte sind also aus gutem Grund legal, weil sie nicht süchtig machen, aber eine Wirkung haben. Den Jugendlichen, mit denen ich arbeite, brauche ich CBD-Produkte jedoch gar nicht empfehlen. Die haben sie schon längst ausprobiert, um vom Cannabis wegzukommen. Ihr Fazit lautet meistens: CBD-Öl und Co. schmecken weder wie Gras, noch flashen sie in irgendeiner Form. Das ist schließlich auch nicht das Ziel dieser Produkten.

Für den Einsatz beim Cannabis-Entzug ist Cannabidiol also nur beschränkt hilfreich. Es mildert die Entzugssymptomatik, aber kann den euphorisierenden Effekt nicht ersetzen. Als sowieso enthaltenes Zusatzprodukt im Cannabis halte ich CBD für sinnvoll, da es beruhigend und dämpfend wirkt. Manche Jugendliche rauchen CBD. Das kann immerhin das Gefühl des Kiffens ein wenig substituieren.

10. Können CBD-Produkte für ehemals Konsumierende bedenklich sein, wenn diese durch Cannabis eine Angststörung entwickelt haben?

Nein, das wäre mir nicht bekannt.

Hier können Sie die vergangenen Psychologie Heute live!-Veranstaltung noch einmal ansehen:

Synthetische Cannabinoide

11. Es gibt immer wieder Meldungen über synthetische Cannabinoide (synthetisch präparierten Hanf). Warum sind sie so gefährlich? Und könnte die Legalisierung hier entgegenwirken?

Es gibt viele weitere Substanzen, die einen ähnlichen Aufbau wie Tetrahydrocannabinol (THC) haben. Sie alle können synthetisiert werden. Aber man weiß nicht, an welchen Rezeptoren sie andocken und wie sie im Körper wirken. Beim THC hingegen ist das relativ gut untersucht.

Außerdem enthalten die synthetischen Stoffe kein CBD, das deren Wirkung abschwächen könnte. Wer Gras raucht, konsumiert immer CBD. Das bremst die Gefährlichkeit von THC etwas ab. Während THC zum Beispiel Ängste eher steigert, wirkt Cannabidiol angstlösend. Bei dem synthetischen Dreck fällt das weg. Die Suchtberatungsstelle, mit der ich in Basel zusammenarbeite, ist wegen der synthetischen Stoffe hochalarmiert. Die sind natürlich täglich mit Menschen beschäftigt, die präpariertes Gras abbekommen haben.

Nun zur Legalisierung: In Deutschland sind Cannabis-Clubs geplant, die kontrolliert werden sollen. Aber wie das im Detail aussehen wird, steht noch nicht fest. Laut Karl Lauterbach werden das die Bundesländer kontrollieren, doch die haben noch keine Konzepte dafür. Wie will man prüfen, was diese Clubs über oder unter den Ladentisch reichen?

Trotzdem würde ich erwarten, dass der Cannabis-Markt insgesamt etwas homogener und übersichtlicher wird, als er jetzt auf der Straße ist. Aber man müsste schon sehr naiv sein, um zu glauben, dass nun niemand mehr präpariertes Gras in irgendwelchen Küchen herstellt. Man kann übrigens mit bloßem Auge nicht erkennen, ob es sich um präpariertes oder „echtes“ Gras handelt. Zu meinen abhängigen Patientinnen und Patienten sage ich immer: „Wenn du schon konsumierst, dann kauf‘ wenigstens immer beim gleichen Dealer. So weißt du, was du bekommst.“

Prinzipiell halte ich eine Regulierung des Marktes für sinnvoll. Aber wenn das schon getan wird, hätte ich mir die Apotheken-Lösung gewünscht. In der Schweiz wird man sich vermutlich dafür entscheiden. In Basel gibt es beispielsweise aktuell neun Apotheken, die Cannabis an registrierte Konsumentinnen und Konsumenten verkaufen. Bei einer Apotheke würde ich weniger synthetischen Unfug befürchten als bei einem Club.

Wirkung von Cannabis

12. Macht Cannabis „nur“ psychisch oder auch körperlich abhängig?

Der Entzug ist körperlich spürbar. Aber es macht nicht in dem Ausmaß körperlich abhängig, wie es Alkohol, Heroin oder Kokain tun. Das Tetrahydrocannabinol ist eine endogene Substanz. Unser Körper produziert sie selbst.

Wenn jemand viel kifft, reguliert der Körper die Rezeptoren herunter, da das THC regelmäßig und hochdosiert kommt. Wird dann kein Cannabis mehr konsumiert, macht sich das körperlich bemerkbar. Die Rezeptoren werden wieder hochreguliert, da kein THC mehr von außen zugeführt wird. Der Körper muss nun also alles abfangen, was möglich ist. Jetzt werden die Rezeptoren nur noch vom endogenen, körpereigenen, Cannabinoid-System bedient.

Dieser Regulationsprozess dauert ein bis zwei Wochen. Dadurch entstehen körperlich spürbare Entzugssymptome, beispielsweise übermäßige Angst oder Schlafstörungen. Mittlerweile spricht man auch bei Cannabis von einer körperlichen Abhängigkeit, aber sie ist nicht vergleichbar mit der anderer Suchtmittel.

13. Manche Menschen, die Cannabis konsumieren, berichten, dass sie keinerlei Wirkung spüren. Wie kann das sein?

Es gibt Menschen, die erleben nach dem Joggen ein Hochgefühl, das Runner‘s High. Doch das haben nicht alle. Möglicherweise sind bei jenen gewisse Endorphin-Rezeptoren nicht vorhanden. Aber Cannabinoid-Rezeptoren hat jeder Mensch. Sie sind überlebenswichtig und in praktisch allen Organen vorhanden. Es mag Leute geben, denen der Cannabis-Konsum „nichts bringt“. Das heißt aber nicht automatisch, dass sie keinerlei Wirkung spüren – es sei denn, sie haben das falsche Kraut erwischt, zum Beispiel eines, das viel CBD enthält.

Es gibt noch andere Gründe, warum Menschen keine Wirkung verspüren – oder meinen, keine zu verspüren: beispielsweise könnte die Erwartung zu hoch, die Konsumart „falsch“ oder die Dosis zu gering sein. Es könnte auch hormonelle Ursachen geben. Gewisse Hormone blockieren die Rezeptoren und reduzieren dadurch die Wirkung von THC.

Passives Kiffen

14. Die Folgen beim passiven Zigarettenrauchen sind bekannt. Aber was ist, wenn der Nachbar auf seinem Balkon kifft, muss ich dann reingehen, um keine Schäden zu riskieren? Oder wird es erst in geschlossenen Räumen brenzlig?

Kleine Kinder bis junge Heranwachsende bis 16 Jahre würde ich davor schützen – auf dem Balkon und erst recht in geschlossenen Räumen. Bei Erwachsenen hätte ich im Freien keine Bedenken, wenn es nicht regelmäßig vorkommt. Das, was wir über die Luft draußen passiv aufnehmen, ist für Erwachsene in der Regel nicht gefährlich. In geschlossenen Räumen gibt es so etwas wie passives Kiffen, aber dass man davon auch bekifft wird, ist mir nicht bekannt.

Gleichwohl kann es gut sein, dass Cannabis im Urin nachweisbar wird. Das kann im Zweifelsfall bei einer Drogenkontrolle zu Problemen führen. Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass das Blutgefäßsystem auf passives Kiffen empfindlich reagiert – womöglich empfindlicher als bei passiven Nikotinkonsum. Fazit: Mit Kindern und Jugendlichen sollte man lieber das Weite suchen und ansonsten darauf achten, dass man sich nicht regelmäßig passivem Kiffen aussetzt.

Gehirnschäden vom Kiffen

15. Von welchen Schäden kann sich unser Gehirn durch Cannabis-Konsum wieder erholen und von welchen nicht?

Ich bin weder Gehirnforscher noch Neurowissenschaftler. Wer das ganz genau wissen wollen, sollte besser Fachliteratur lesen, als einen Kinderpsychiater zu fragen. Ich versuche, das zusammenzufassen, was ich darüber weiß: Bei den vielen Untersuchungen zu den Langzeitfolgen von Cannabis-Konsum kristallisiert sich heraus, dass bestimmte Gehirnareale schrumpfen können. Dazu zählen unter anderem der Hippocampus, der für das Erinnern und Merken zuständig ist, und die Amygdala, dort sind emotionale Reaktionen wie Angst angesiedelt. Ständiges Kiffen kann also Merkfähigkeitsstörungen oder starke Angst nach sich ziehen.

Ein weiterer schädigender Effekt betrifft die so genannte Myelinisierung. Bei diesem Prozess werden Nervenbahnen isoliert, was deren Leitgeschwindigkeit erhöht. Der Vorgang dauert etwa bis zum 25. Lebensjahr. Durch den Konsum wird die Myelinisierung behindert – und das in einer Phase, in der unser Körper besonders damit beschäftigt ist. Unsere Neuronen in der Großhirnrinde (graue Substanz) sind millionenfach in der weißen Substanz vernetzt. Dort verknüpfen die Nervenfäden die Neuronen mit den sogenannten Synapsen. Insgesamt haben wir 100 Milliarden Nervenzellen und über eine Trillion Synapsen.

Die Nervenbahnen verknüpfen sich zwar trotz des Cannabis-Konsums, aber vermutlich mit einer langsameren Verbindung, beispielsweise weil die Isolierung, also die Myelinisierung, nicht richtig funktioniert. Und in manchen Fällen reicht das nicht aus, die Leitung ist dysfunktional. Der elektrische Impuls verliert sich auf dem Weg von Nervenzelle 1 zu Nervenzelle 2.

Es gibt noch nicht viele Untersuchungen darüber, wie bleibend diese Schäden beim Menschen sind. Experimente mit Tieren deuten darauf hin, dass die Schäden, die in der Jugendzeit entstehen, irreversibel sein könnten. Das würde heißen, dass sich das Gehirn ab 25 Jahren nicht einfach erholt. Es bilden sich zwar auch nach dem 25. Lebensjahr noch Gehirnzellen, aber bei weitem nicht mehr so viele wie bei einer 15-Jährigen. Beim Ausmaß der Gehirnschädigungen scheint es eine Relation zwischen Dauer und Intensität des Konsums zu geben.

Man muss also davon ausgehen, dass es etliche bleibende Schäden gibt. Dennoch ist unser Gehirn eine lernende Maschine. Neuroplastizität nennt man dessen Fähigkeit, sich zu verändern, um optimal auf neue Anforderungen zu reagieren. Man kann sich das so vorstellen: Auf einen Wanderweg ist ein riesiger Stein gestürzt, den man nicht mehr wegrollen kann. Die Wanderer werden den Weg trotzdem betreten und Bypässe um den Fels herum erschließen. Meistens sind diese Umgehungen aber schmaler, vielleicht gefährlicher und umständlicher und oft etwas zeitaufwendiger. Je mehr Wanderer diese nutzen, desto ausgetretener werden sie. Sie sind ein Ersatz, nicht besser als das Original, aber die Wanderinnen kommen ans Ziel. So macht es unser Gehirn auch.

16. Sie haben in Ihrer Praxis zum Teil mit harten Fällen zu tun. Haben Sie Kontakt mit ehemaligen Konsumentinnen oder Konsumenten, die trotz einer früheren Abhängigkeit wieder zurück in ein geregeltes Leben gefunden haben?

Erfreulich viele finden in ein geregeltes Leben zurück. Einige von ihnen melden sich ja leider nicht mehr bei ihrem Psychiater *lacht*. Aus den vergangenen Monaten erinnere ich mich explizit an zwei ehemalige Patientinnen beziehungsweise Patienten, die Cannabis als Einstiegsdroge und dann stärkere Substanzen wie Kokain und LSD konsumiert haben. Die haben nachträglich zu mir gesagt: „Wenn ich eines ändern könnte, dann würde ich nie wieder dieses Zeug [Cannabis] anrühren. Das hat mir so viel im Leben verbaut.“

Wer kifft, holt nicht das aus sich heraus, was ohne den Konsum möglich wäre. Man fährt mit einer angezogenen Handbremse. Aber es ist glücklicherweise keine Hypothek fürs ganze Leben.

Folgen für eine spätere Schwangerschaft

17. Schon das Rauchen vor der Schwangerschaft kann beispielsweise die Eierstockfunktion beeinträchtigen und Auswirkungen auf eine spätere Schwangerschaft haben. Wie sieht es bei Cannabis-Konsum aus?

Das ist wirklich eine Spezialfrage, und ich muss gestehen, dass ich das als Kinder- und Jugendpsychiater nicht auf Anhieb beantworten kann.

Bei Männern gilt der Zusammenhang zwischen Cannabis-Konsum und Störungen in der Spermienproduktion sowie -funktion als gesichert. Es werden weniger Spermien produziert und diese sind in ihrer Fortbewegung beeinträchtigt: Bei niedrigen Cannabisdosierungen werden die Spermien paradoxerweise sogar hyperaktiv – aber sie erschöpfen sich dabei regelrecht, noch bevor sie ihr Ziel erreicht haben. Oder den Spermien fehlen notwendige Enzyme, um in den Schutzmantel der Eizelle einzudringen. Kifft jemand viel, dann werden die Spermien offenbar so antriebslos wie ihre Produzenten. Hinzu kommt, dass auch die Orgasmusfähigkeit in erheblichem Ausmaß eingeschränkt wird. Man kann jedem Mann mit Kinderwunsch nur raten, die Finger von Cannabis zu lassen.

Bei Frauen weiß ich das nicht im Detail. Aus dem Bauch heraus würde ich antworten, dass wir davon ausgehen müssen, dass die Fruchtbarkeit herabgesetzt wird. Aber da würde ich eher eine Gynäkologin oder einen Gynäkologen fragen.

Therapie

18. Wenn es erste Anzeichen dafür gibt, dass die mentale Gesundheit einer Jugendlichen leidet, was sollte dann zuerst professionell angegangen werden: die Konsumstörung oder die psychische Erkrankung?

Es wäre zu kurz gedacht, zuerst den Cannabis-Konsum zu therapieren und abzuwarten, was darunter noch zum Vorschein kommt. Schon zu Beginn der Therapie versuche ich, den Grund fürs Kiffen zu erörtern: Ist es Einsamkeit? Ist es Überforderung? Ist es das Gefühl zu versagen? Ist es ADHS? Ist es eine Zwangsstörung? Ist es eine schlimme, traumatische Erfahrung?

Ich respektiere das Kiffen so lange, bis die oder der Jugendliche in der Zusammenarbeit mit mir oder für sich alleine noch nichts Besseres gefunden hat. Bis zu dem Zeitpunkt war Cannabis „das Beste“ für sie oder ihn, um mit den eigenen Problemen klar zu kommen. Als Alternative biete ich meinen Patientinnen und Patienten Therapie, Gespräche und Medikamente – und vor allem: eine verlässliche Beziehung – an. Das ist zwar zunächst nicht so „sexy“ wie Gras, aber auf Dauer wird Letzteres definitiv schädlicher für sie sein.

Das Kiffen abrupt zu beenden wäre ein ungeeignetes Vorgehen, zumindest wenn der oder die Jugendliche das nicht so „durchziehen“ will. Wenn ich jemanden festbinde, der sich zwanghaft selbst verletzen möchte, dann ist damit nicht das selbstverletzende Verhalten beendet. Sobald ich ihn wieder losbinde, wird er es wieder tun. So ist es auch mit dem Kiffen.

Umgekehrt sollte man auch nicht warten, bis die Depression therapiert ist und erst dann die Sucht angehen. Die Behandlung einer Depression dauert länger als die einer Cannabissucht.

19. Können Jugendliche eine Psychotherapie machen, solange sie noch abhängig sind?

Es gibt Oldschool-Psychiater, die der Meinung sind: Erst muss man die Sucht loswerden, um therapiefähig zu sein. Aber das ist ein alter Zopf. Natürlich kann das Kiffen eine Therapie erschweren, weil Jugendliche beispielsweise Termine nicht wahrnehmen, völlig benebelt kommen oder weil sie alles, was in der Therapie „hochkommt“, schnell wegkiffen. Doch selbst wenn ein junger Patient nur bekifft erscheint, ist es anfangs ein kleiner Fortschritt, dass er überhaupt kommt. Irgendwann merkt er dann hoffentlich, dass er diese Stunde anders nutzen möchte.

Wenn ein Jugendlicher mehr als gelegentlich kifft, ziehe ich immer die Suchthilfe hinzu. Die sozialpädagogische Suchtberatung und die Psychotherapie laufen dann parallel.

Tipps für Eltern im Umgang mit kiffenden Kindern und Jugendlichen

20. Welche Tipps haben Sie für Eltern im Umgang mit konsumierenden Kindern?

Was Eltern heute bemerken, müssen sie nicht auch heute ansprechen, es sei denn, es besteht eine akute Gefahr. Bei anderen Substanzen oder bei anderem problematischem Verhalten ist es viel dringender. Ich habe folgende drei Tipps für Eltern:

1. Tipp: Machen Sie sich Gedanken dazu, wie dringend es ist, dass Ihr Kind mit dem Kiffen aufhört. Muss das heute sein? Oder spätestens morgen? Nehmen Sie sich Zeit zum Reflektieren. Konfrontieren Sie Ihr Kind nicht aus einer spontanen Sorge heraus, selbst wenn Sie natürlich zurecht besorgt sind. Ihr Kind kann die Botschaft gar nicht aufnehmen, wenn Mama und Papa derart verärgert oder bekümmert sind. Ihre Sorge ist verständlicherweise akut, aber die Gefährdung ist es meist nicht.

2. Tipp: Schreiben Sie auf, was Ihnen wichtig ist. Notieren Sie, was Sie Ihrem Kind auf keinen Fall an den Kopf werfen wollen. Darunter fallen solche Begriffe wie „Junkie“. Aus dem Bauch heraus würde man vielleicht sagen: „Du endest noch als Junkie.“ Das ist immens verletzend, wenn ein Kind das Gefühl bekommt, dass die eigenen Eltern es aufgegeben haben. Machen Sie sich eine Liste mit Gedanken, die Sie für sich behalten wollen, und jenen, die Sie mit Ihrem Kind teilen möchten. Ihre Angst, dass Ihr Kind als „Junkie“ enden könnte, hilft ihm nicht. Hingegen könnte Ihr Kind die Sorge, dass es andere wichtige Dinge im Leben wie Schule oder Freundschaften verpassen könnte, womöglich selbst haben.

3. Tipp: Sprechen Sie in Ich-Botschaften. Sagen Sie lieber: „Ich habe bemerkt, dass du kiffst. Das macht mir Sorgen.“ Und nicht: „Du kiffst dir die Birne weg.“ Vermitteln Sie Ihrem Kind, dass es im ersten Schritt nur zuhören braucht. Sagen Sie deutlich, dass Sie Ihr Kind nicht verurteilen. Sagen Sie so etwas wie: „Ich erwarte überhaupt nicht, dass du irgendetwas dazu sagst. Das hier ist kein Verhör, ich bin kein Richter. Ich möchte nur, dass du mir kurz zuhörst. Es ist mir wichtig, dass du weißt, wie sich deine Mutter / dein Vater gerade fühlt.“

Große Fallgruben sind das Fordern von zu schnellen Veränderungen, Entscheidungen aus dem Bauch heraus sowie unmittelbare Drohungen ohne eine Vereinbarung. Solche Vereinbarungen müssen transparent gemacht werden: Man kann nicht plötzlich ein Parkverbotsschild aufstellen und sofort Strafzettel verteilen. Eltern können aber in der Tat Abmachungen treffen wie „Unser Zuhause ist eine drogenfreie Zone. Wenn du dich nicht daran hältst, passiert XY“. Es muss in gewisser Weise ein Familiengesetz formuliert werden, damit das Kind die Chance hat, sich anders zu verhalten.

Außerdem sollten Eltern nicht jedes Gespräch zu einem Cannabis-Gespräch machen. Es gibt noch so viele andere Dinge, die das Kind auszeichnen, in denen es „das beste Kind der Welt“ ist. Das ist es für die Eltern schließlich auch. Unterhaltungen über Cannabis sollten einmal pro Woche geführt und angekündigt werden. In der Zwischenzeit dürfen sich Mutter, Vater oder Angehörige Gedanken und Sorgen machen, die sie auch aufschreiben. Aber das Kind muss nicht jeden Tag damit konfrontiert werden.

21. Ein Elternpaar hat schon oft mit ihrem Kind über Konsum und Gefahren von Cannabis gesprochen. Das Kind beteuert, es kiffe nicht, aber im Zimmer gibt es Anzeichen dafür, zum Beispiel Longpapers oder kleine Tütchen. Was jetzt?

In dem Fall sind überprüfbare Vereinbarungen wichtig, zum Beispiel Drogentests beim Kinderarzt oder daheim. Eine Vereinbarung könnte lauten: „Ich höre, dass du sagst, du kiffst nicht. Ehrlich gesagt fällt es mir schwer, das zu glauben, weil ich so einen Geruch aus deinem Zimmer wahrnehme. Ich glaube, wir würden uns viel Ärger ersparen, wenn du regelmäßig Drogentests beim Kinderarzt machst. Ich halte es für möglich, dass du mich anlügst, aber es könnte auch sein, dass ich vor lauter Sorge um dich übertreibe. Aus der Situation kommen wir nicht so einfach raus. Darum schlage ich dir die Tests vor. Ich könnte dir wieder vollkommen vertrauen und du wärst mein lästiges Misstrauen los. Oder hast du eine bessere Idee?“

Hilft das nicht, können Eltern kommunizieren: „Du bist mit meinem Vorschlag nicht einverstanden, aber von dir kommt auch keine Alternative. Für mich geht das so nicht. Ich muss als dein Vater / deine Mutter meine Sorge ernst nehmen. So lange du die Drogentests beim Hausarzt ablehnst, muss ich davon ausgehen, dass du etwas zu verbergen hast. Es kann sein, dass ich dir damit Unrecht tue, aber wie soll ich es sonst überprüfen? Ich will, dass wir eine Lösung finden, und die wird nicht sein, dass ich deinen Konsum toleriere oder aufhöre, mir Sorgen zu machen.“

Wenn der Jugendliche darauf „keinen Bock“ hat, sollte der nächste Schritt folgen: Rat bei einer Suchtberatungsstelle in der Nähe holen. Im zweiten Schritt können Eltern mit der Schule sprechen, ob das Kind dort Auffälligkeiten zeigt.

In Rücksprache mit den beiden Anlaufstellen kann als letzter Schritt auch das Jugendamt eingeschaltet werden. Das wäre die maximale Eskalation. Generell ist es aber wichtig, dass Eltern an dem Thema dranbleiben, auch wenn es hart wird.

22. Wie schaffen es Jugendliche, aus dem kiffenden Freundeskreis rauszukommen? Und wie können Eltern dabei unterstützen?

Überraschenderweise wollen die Jugendlichen oft selbst aus dem alten Freundeskreis raus, weil sie merken, dass er ihnen nicht mehr guttut. Was die jungen Menschen wirklich toxisch finden: Wenn die Eltern ihnen sagen, dass sie ein schlechtes Umfeld hätten.

Mutter und Vater können stattdessen folgende Fragen stellen: Wer tut dir gut und wer nicht? Mit welchen Leuten willst du dich in Zukunft umgeben? Die Antworten darauf sollte aber das Kind geben. Wenn Eltern diese Fragen offen formulieren und die Botschaft vermitteln, dass das Kind – nur für sich – darüber nachdenken sollte, dann wird es das mit großer Wahrscheinlichkeit tun.

In der Suchtbehandlung geht es oft darum, wie man „sauber“ bleiben kann, obwohl die beste Freundin neben einem kifft. Gemeinsam erarbeiten wir Strategien dafür. Jugendliche müssen nicht zwangsläufig den Freundeskreis über Bord werfen. Viele entscheiden sich trotzdem dafür.

Weiterführende Informationen und Anlaufstellen

Dr. med. Frank Köhnlein ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Er hat eine eigene Praxis in Basel. Vor seiner Praxistätigkeit war er 16 Jahre lang als Oberarzt an der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Universitätsklinik Basel tätig. Seine Spezialgebiete sind Kinderschutz, Adoleszentenkrisen, Selbstverletzungsverhalten, Essstörungen und die Anwendung der Provokativen Therapie in der Kinder- und Jugendpsychotherapie.

Köhnlein ist darüber hinaus Hochschuldozent, Supervisor und Fachberater an verschiedenen Institutionen und Behörden. Als Schriftsteller hat er bisher drei Romane über einen Kinder- und Jugendpsychiater geschrieben, die im Starks-Sture-Verlag erschienen sind: Vollopfer (2013), Kreisverkehr (2015) und Krankmachen (2021).

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