Was Autisten besser machen

Autisten haben oft Probleme, in der Arbeitswelt ihren Platz zu finden. Dabei bringen sie Fähigkeiten mit, von denen Unternehmen profitieren könnten.

Ein junger autistischer Mann mit Tastatur ist ein IT-Spezialist
Autisten bringen wichtige Fähigkeiten mit, von denen Unternehmen profitieren könnten © Sergey Mironov/EyeEm/Getty Images

Ein typischer Autist? Da fällt vielen Menschen der Film Rain Man ein – und sie denken automatisch an einen Menschen mit Inselbegabung, dem sogenannten Savantsyndrom, wie ihn Dustin Hoffman gespielt hat. Doch nur die wenigsten Autisten haben solche geradezu wundersamen Fähigkeiten. Sehr viel häufiger sind sie „gewöhnliche“ Menschen mit einer normalen bis überdurchschnittlichen Intelligenz, die aber über Potenziale verfügen, die in den letzten Monaten mehr und mehr ins Licht der Öffentlichkeit gerückt sind.

Da…

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verfügen, die in den letzten Monaten mehr und mehr ins Licht der Öffentlichkeit gerückt sind.

Dafür haben Ankündigungen wie die des Softwareherstellers SAP gesorgt, bis 2020 Hunderte Autisten einstellen zu wollen, zum Beispiel als Softwaretester, Programmierer und Spezialisten für Datenqualitätssicherung. SAP arbeitet dabei mit dem dänischen Unternehmen Specialisterne zusammen, einer Art Personaldienstleister, der Menschen mit Autismus vermittelt.

Auch in Deutschland gibt es ein solches Unternehmen, das ähnlich wie Specialisterne arbeitet – die Ende 2011 gegründete Firma Auticon. Sie setzt gezielt Autisten als Consultants im IT-Bereich ein, zum Beispiel für die Qualitätssicherung von Computersoftware. Unternehmensgründer und Geschäftsführer Dirk Müller-Remus, selbst Vater eines Sohns mit Aspergersyndrom, sagt: „Autisten sind überaus gründlich und gewissenhaft und sehr gut im Erkennen von Details. Zudem haben sie oft ein oder zwei Spezialgebiete, in denen sie völlig aufgehen können.“

Doch beherrschen Autisten, die trotz normaler Intelligenz im Alltag zuweilen Schwierigkeiten haben, den richtigen Bus zu erwischen oder ein Formular auszufüllen, manche Dinge wirklich besser als Nichtautisten? Eine aktuelle Studie eines Teams um Cleotilde Gonzalez, Assistenzprofessorin am Department of Social and Decision Sciences an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, weist zumindest darauf hin.

Vorangegangene Untersuchungen hatten bereits gezeigt, dass Autisten einer nichtautistischen Kontrollgruppe bei verschiedenen Aufgaben zur visuellen Wahrnehmung überlegen sind. Bisher bestanden diese jedoch aus psychologischen Tests und weniger aus Herausforderungen, die auch im Alltag vorkommen. Die Forscher wollten daher die Fähigkeiten von Autisten bei einer Suchaufgabe in einem Bereich testen, in dem sie durchaus auch arbeiten könnten.

Für die Untersuchung erstellten die Forscher am Computer Bilder von Gepäckstücken, in denen durch Röntgenaufnahmen Kleidung, Laptops, Spielzeug, Medikamentendosen, scharfe Gegenstände und andere Behälter zu sehen waren. 13 hochfunktionale Autisten und 13 nichtautistische Kontrollpersonen sollten nun – ähnlich wie das Sicherheitspersonal am Flughafen – die Gepäckstücke auf verdächtige Objekte untersuchen. Zusätzlich wurde der Schwierigkeitsgrad der Aufgabe variiert, indem man jeweils die Hälfte der Koffer mit mehr und dichter beieinander liegenden Gegenständen bestückte.

Die Teilnehmer absolvierten die Aufgabe in acht Blöcken mit Bildern von je 40 Koffern. Vor jedem Block wurden sie darauf aufmerksam gemacht, auf welches Zielobjekt, zum Beispiel ein Messer, sie achten sollten. Insgesamt hatten sie vier Sekunden Zeit, um per Knopfdruck zu entscheiden, ob das Bild verdächtig war oder nicht. Eine Rückmeldung, ob sie dabei richtig lagen, erhielten sie nicht.

Bei der Auswertung der Ergebnisse zeigte sich, dass alle Testpersonen im Durchschnitt gleichermaßen gut und schnell die Gegenstände identifizieren konnten. Und beiden Gruppen war dies erwartungsgemäß in der weniger anspruchsvollen Bedingung leichter gefallen. In beiden Gruppen nahm zudem die Anzahl der richtig identifizierten Zielobjekte mit der Zeit ab.

Gibt es also keinen Unterschied zwischen Autisten und Nichtautisten? Doch, und dieser liegt in einem nicht unwesentlichen Detail, wie Gonzalez und ihre Kollegen ausführen: Die Autisten wurden mit der Dauer der Aufgabe deutlich besser, wenn es darum ging, nichtverdächtige Koffer zu identifizieren, während es bei der Kontrollgruppe hier einen leichten Abfall gab. Solche korrekten Entscheidungen aber sind extrem wichtig für Alltagssituationen, die eine ununterbrochene Aufmerksamkeit erfordern. So verhindert das korrekte Erkennen von nicht verdächtigen Gepäckstücken unnötige Verzögerungen und zusätzliches Screening von Gepäckstücken und spart damit Zeit und Geld. Der zweite Vorteil der Autisten könnte darin liegen, dass sie nicht in der Leistung nachlassen – während es für Nichtautisten eine ziemliche Herausforderung ist, ihre Aufmerksamkeit über längere Zeit aufrechtzuerhalten.

Doch was steckt hinter der Leistungssteigerung bei den autistischen Versuchspersonen? Gonzalez und Kollegen vermuten verschiedene Ursachen: Möglicherweise fühlen sie sich durch die Aufgabe nicht so schnell gelangweilt und sind sehr motiviert, auch auf Dauer eine gute Leistung zu zeigen. Zudem geben Autisten vielleicht weniger schnell dem Impuls nach, sich zu entscheiden, wenn sie das Objekt noch gar nicht richtig identifiziert haben – und das selbst nach vielen Wiederholungen der Aufgabe. Vielleicht sind sie auch weniger anfällig dafür, einfach auf gut Glück nach selbst berechneten Wahrscheinlichkeiten zu handeln.

Was sind die „einzigartigen Kompetenzen“ der Autisten?

Die Autoren plädieren daher für einen optimistischeren Blick auf die Fähigkeiten von Menschen mit Autismus – denn diese könnten „einzigartige Kompetenzen haben, die ihnen Vorteile gegenüber anderen in der Erfüllung bestimmter Aufgaben verschaffen“. Worin diese genau bestehen, bleibt zwar auch nach dieser Studie mit nur wenigen Probanden eine Frage, die noch besser erforscht werden muss: „Wenn dem aber so ist, gibt es die Möglichkeit, mit diesem Untersuchungsfeld neue Wege der Karriereaussichten für Erwachsene mit Autismus sichtbar zu machen“, schließen Gonzalez und Kollegen.

Möglicherweise steckt hinter der Überlegenheit von Autisten bei derartigen Suchaufgaben auch einer ihrer vermeintlichen Nachteile: Ihre leichte Ablenkbarkeit durch irrelevante Reize, die ihnen oft den Alltag erschwert. Dies zeigte eine Untersuchung eines Teams um die Autismusforscherin Anna Remington vom University College in Oxford, bei der Autisten und Nichtautisten auf bestimmte Zielbuchstaben (zum Beispiel ein X oder N) reagieren sollten, die auf einem Bildschirm eingeblendet wurden, wobei der Schwierigkeitsgrad mit unterschiedlich vielen „Ablenkungsbuchstaben“ systematisch variiert wurde. Zwar unterschieden sich die Probanden nicht generell in ihrer Reaktionszeit und in ihren Fehlerraten. Die Autisten absolvierten aber die schwierigeren Aufgaben besser als die Kontrollgruppe, die einfacheren hingegen schlechter.

Es scheint, als bräuchten Autisten einen gewissen Schwierigkeitsgrad, um die irrelevanten Reize, in diesem Fall Buchstaben, erfolgreich auszublenden, während anderen Menschen dies schon wesentlich früher gelingt. Remington und Kollegen vermuten deshalb, dass Autisten eine andere Wahrnehmungskapazität haben. Diese könnte es ihnen gerade bei komplexen Suchaufgaben, wie Gonzalez sie in ihrer Studie durchgeführt hat, erleichtern, mehrere Elemente gleichzeitig zu verarbeiten. Und das wäre möglicherweise eine Erklärung für ihre Überlegenheit gegenüber nicht-autistischen Versuchsteilnehmern, schließen die Autoren.

Eine weitere Besonderheit vieler Autisten ist das von Müller-Remus erwähnte Spezialistenwissen, das diese im IT-Bereich mitbringen. Renata Wacker und Svenja Köhne, beide Doktorandinnen im Exzellenzcluster Languages of Emotion an der Freien Universität Berlin, arbeiten mit Auticon in der Bewerberauswahl zusammen und stellen oft fest, wie gut die Jobanwärter in ihrem Thema drin sind: „Das Spezifische an Bewerbern mit Aspergersyndrom ist, dass sie ihr Spezialinteresse im IT-Bereich und in angrenzenden Feldern wie Mathematik oder Naturwissenschaften ausgebildet haben, häufig autodidaktisch. Dabei fällt uns immer wieder das Ausmaß der intrinsischen Begeisterung für das Thema und der Grad der Vertiefung in die Materie auf“, erklärt Renata Wacker.

Es kommt sehr auf das Berufsumfeld an

Tatsächlich liegt das Thema IT bei vielen autistischen Menschen recht weit vorne, ebenso wie andere technische oder mathematische Disziplinen. Das hat 2012 ein Team um Xin Wei, Entwicklungspsychologin am amerikanischen Forschungsinstitut SRI International, herausgefunden, als es die Daten einer Langzeitstudie auswertete, bei der die Ausbildungswege von 11 00 Studenten mit (Lern-)Behinderungen erfasst wurden. Die rund 1100 Autisten in der Stichprobe waren dabei von allen der elf erfassten Gruppen am häufigsten in mathematischen, technischen und ingenieurswissenschaftlichen Ausbildungen und Studiengängen vertreten.

Doch wie gut können Autisten ihr Fachwissen auf dem praktischen Arbeitsmarkt anwenden? Die Diplompsychologin Jennifer Kirchner berät Auticon ebenfalls bei der Bewerberauswahl und schreibt zudem ihre Dissertation zum Thema Interessen und Stärken autistischer Menschen am Exzellenzcluster Languages of Emotion an der FU Berlin. Sie hat in einer bisher unveröffentlichten Untersuchung die Spezialinteressen von 76 hochfunktionalen Autisten mit Blick auf mögliche Arbeitsfelder untersucht. Neben Technik und Mathematik beschäftigten sich viele Autisten auch intensiv mit Sozialwissenschaften oder kreativen Dingen und investierten dabei nicht gerade wenig Zeit: Im Schnitt verbrachten sie 26,2 Stunden in der Woche mit ihrem Spezialgebiet – und das unabhängig davon, ob sie einen Job hatten oder nicht.

Dabei scheint es bei Autisten einen bevorzugten Stil zu geben, wie sie sich Wissen aneignen: Mehr als die Hälfte bevorzugte eine systematisierende Herangehensweise: „Das ist eine sehr mechanische und analytische Art und Weise, zu denken, nach dem Schema: Wenn ich das tue, passiert jenes“, erläutert Kirchner. 28 Prozent der befragten Autisten bevorzugten eher einen kreativen Stil, und 14 Prozent sammelten möglichst viele Informationen zu ihrem Fachgebiet. „Je nach Berufsfeld kann dabei die eine oder die andere Herangehensweise sinnvoll sein“, sagt Kirchner. Für das Testen von Software sei ein systematisierender Ansatz beispielsweise sinnvoller, als wenn jemand ohne praktischen Bezug alles Wissen zum Themenbereich zusammenträgt.

Trotz der genannten Fähigkeiten: Wenn es wirklich darum geht, im Arbeitsmarkt zu bestehen, haben Autisten oft große Schwierigkeiten. Dawn Hendricks vom Autism Center for Excellence an der amerikanischen Virginia Commonwealth University wertete 2010 für einen Artikel verschiedene Studien zum Thema Autismus und Berufsleben aus und kam zu dem Ergebnis, dass schätzungsweise 50 bis 70 Prozent der erwachsenen Autisten arbeitslos sind. Die Probleme fangen meist schon bei der Arbeitssuche und dem Bewerbungsgespräch an und setzen sich mit Schwierigkeiten im Büroalltag fort. Und oft beginnen die Probleme sogar noch früher, nämlich am Übergang von der Schule in eine weiterführende Ausbildung: Bei der Untersuchung von Xin Wei hatten die Autisten beispielsweise unter allen erfassten Kategorien die drittniedrigste Einschreibungsrate fürs College.

In Kirchners Stichprobe hatten immerhin 33 Prozent einen Universitätsabschluss und weitere 25 Prozent Abitur. Berufstätig waren jedoch nur 28 Prozent, während 36 Prozent angaben, arbeitslos zu sein. Und selbst die, die einen Job hatten, waren nicht besonders glücklich damit: Sie stuften ihre Zufriedenheit mit ihrer derzeitigen Arbeitssituation als schlecht ein. Interessanterweise hatten sehr viele Teilnehmer den Eindruck, ihr berufliches Potenzial nicht oder nur wenig nutzen zu können.

Was macht Autisten das Arbeitsleben schwer?

Hindernisse für ein erfolgreiches und zufriedenstellendes Berufsleben sind häufig die Schwierigkeiten, die Autisten im Umgang mit anderen Menschen haben. Manche, so Kirchner, würden am liebsten nur über Skype mit ihren Kollegen und Chefs kommunizieren. Allerdings warnt sie auch davor, alle Autisten in eine Schublade zu stecken: „Das Spektrum ist breit. Es gibt einerseits Autisten, die starke Probleme haben, überhaupt zu kommunizieren, und sich zum Beispiel nicht trauen, ihrem Vorgesetzten zu offenbaren,dass sie eine Arbeitsanweisung nicht verstanden haben. Es gibt aber auch solche, die übersprudeln und beispielsweise im Meeting private Dinge erzählen, weil sie nicht unterscheiden können, was zu welchem Zeitpunkt und in welchem Kontext angebracht ist.“

In ihrer Untersuchung hat Kirchner daher gezielt nach Faktoren gesucht, die das Berufsleben für Autisten so schwer machen. Zu den meistgenannten Gründen zählten der Körperkontakt mit anderen Menschen und Probleme mit Kollegen und Vorgesetzten, aber auch Gerüche und Hintergrundgeräusche, mit denen Autisten nur schlecht klarkommen. Für einige können flackerndes Neonlicht oder die Unruhe im Großraumbüro unerträglich sein. „Diese Faktoren muss man allerdings immer individuell betrachten. Es gibt diese Häufungen, aber längst nicht alle Autisten haben die gleichen Probleme“, betont Kirchner.

Daneben scheint aber auch die Arbeitswelt nicht gut auf die Bedürfnisse von Autisten eingestellt zu sein, analysierte 2012 James Richards von der schottischen Heriot-Watt University. Intolerante Vorgesetzte und Kollegen, „ungeschriebene“ Regeln in Unternehmen sowie nicht genügend Zeit, um Informationen in einer Art und Weise zu verarbeiten, die ein Angestellter mit Autismus als sinnvoll empfindet, gehören ebenso zu den problematischen Faktoren wie der immer größer werdende Trend zu sozialen Aktivitäten, die die Arbeit im Team erleichtern und gleichzeitig die Produktivität erhöhen sollen. Solche fun at work-Initiativen bedeuten für Menschen mit Autismus großen Stress, da hier die Erwartungshaltung, sich anzupassen und „mitzuspielen“, besonders groß ist, erläutert Richards.

Die Probleme können so weit gehen, dass autistische Mitarbeiter enorm hohe Angst- und Stresslevel aufweisen, betont auch Dawn Hendricks. Dies wirkt sich wiederum negativ auf ihre Leistung aus, sodass der Arbeitgeber tatsächlich auch ganz objektive Gründe haben kann, einen autistischen Angestellten zu entlassen. Erschwerend kommt hinzu, dass autistische Mitarbeiter sich oft nicht in der Lage sehen, aufkommende Probleme am Arbeitsplatz mit ihrem Chef zu besprechen.

Die Herausforderung liegt für Menschen mit Autismus also vor allem darin, den richtigen Arbeitsplatz zu finden, wo Vorgesetzte und Kollegen auf ihre besonderen Bedürfnisse Rücksicht nehmen – was im normalen Arbeitsleben oft sehr schwer ist. Kirchners Untersuchung hat ergeben, dass immerhin Offenheit mit Vorgesetzten und Kollegen in Bezug auf die Autismusdiagnose hilfreich sein kann. Beinahe 60 Prozent der Befragten sagten, dass dies ihnen das Arbeitsleben erleichtert habe.

Das ist vielleicht auch der Grund für den Erfolg von Unternehmen, die sich auf die Beschäftigung und Vermittlung von Autisten spezialisiert haben und über die besonderen Anforderungen im Umgang mit ihnen Bescheid wissen. Bei Bedarf erhalten die Mitarbeiter ein Einzelbüro, sie können ihre Mittagspause auch allein verbringen oder dürfen per Skype kommunizieren.

Nur ein Trend, der wieder verebbt?

Dennoch arbeiten auch Firmen wie Auticon mit einem mehrstufigen Auswahlverfahren, bei dem schließlich die Psychologinnen der FU Berlin ins Spiel kommen. „Um einen autistischen Mitarbeiter erfolgreich in einen Job vermitteln zu können, muss man neben den Fähigkeiten auch herausfinden, welche individuellen Schwierigkeiten die Person hat und ob diese zum Beispiel durch die Unterstützung von Jobcoaches oder die Anpassung der Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz relativiert werden können“, sagt Kirchner.

Bei Auticon werden die Bewerber daher in verschiedener Hinsicht getestet. Zum einen geht es darum, ihre kognitiven Fähigkeiten wie logisches Denken, die Konzentrationsfähigkeit und ihr Durchhaltevermögen zu erfassen, zum anderen aber auch um die Persönlichkeit – und hier stellen sich Autisten oft nicht allzu positiv dar: „Das für Stellenbewerber typische impression management in Einstellungsinterviews ist bei ihnen viel weniger ausgeprägt. Oft geht das auch einher mit einem sehr hohen Maß an Ehrlichkeit – ungeachtet dessen, ob sich der Bewerber damit selbst in ein positives oder negatives Licht rückt“, erklärt Svenja Köhne. „Insgesamt achten wir bei Bewerbern neben der fachlichen Eignung darauf, dass die Einsicht in soziale Beziehungen nicht so weit beeinträchtigt ist, dass sie während des Arbeitsalltags im Kundenunternehmen nicht mehr von den Jobcoaches aufgefangen werden könnten.“

Jobcoaches sind daher eine weitere Säule für die erfolgreiche Beschäftigung von Autisten: ein Ansprechpartner und Begleiter, der bei Problemen mit dem Arbeitgeber vermitteln und in alltagspraktischen Fragen zur Seite stehen kann. Ob der Coach nur für die Anfangszeit oder längerfristig notwendig ist, ist individuell verschieden. Seine Unterstützung sollte jedenfalls nur langsam und systematisch über einen längeren Zeitraum zurückgefahren werden, betont Dawn Hendricks in ihrer Analyse.

Möglichkeiten, Autisten ins Arbeitsleben zu integrieren, gibt es, Erfolgsgeschichten auch: Da bleibt es spannend zu beobachten, ob noch mehr Unternehmen diesen Beispielen folgen werden oder ob es sich um einen Trend handelt, der wieder verebbt. Dennoch, meint Kirchner, ist der Vergleich, ob Autisten bestimmte Dinge besser können als Nichtautisten, „langfristig eher eine Stolperfalle. Natürlich ist es sinnvoll, zu schauen, was autistische Menschen besonders gut können, aber es sollten nicht nur die Fähigkeiten Beachtung bekommen, in denen sie besser sind. Ein Mitarbeiter sollte aufgrund seines individuellen Fähigkeitsprofils eingestellt werden.“

Denn nur die wenigsten Autisten sind wie „Rain Man“ – und müssen es auch gar nicht sein.

Literatur

  • Jennifer Christina Kirchner, Isabel Dziobek: Special interests in individuals with autism spectrum conditions and their potential for employment. Unveröffentlichtes Manuskript, 2013

  • Cleotilde Gonzalez u. a.: Practice makes improvement: How adults with autism out-perform others in a naturalistic visual search task. Journal of Autism and Developmental Disorders, online, 5. Februar 2013. DOI: 10.1007/s10803-013-1772-4

  • James Richards: Examining the exclusion of employees with Asperger syndrome from the workplace. Personnel Review, 41, 5, 2012, 630–646

  • Xin Wei u. a.: Science, technology, engineering, and mathematics (STEM) participation among college students with an autism spectrum disorder. Journal of Autism and Developmental Disorders, online, 1. November 2012. DOI: 10.1007/s10803-012-1700-z

  • Dawn Hendricks: Employment and adults with autism spectrum disorders: Challenges and strategies for success. Journal of Vocational Rehabilitation, 32, 2010, 125–134. DOI: 10.3233/JVR-2010-0502

  • Anna Remington u. a.: Selective attention and perceptual load in autism spectrum disorder. Psychological Science, 20, 11, 2009, 1388–1393

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 12/2013: Versteh mich doch!