Plötzlich fiel Weihnachten aus. Zumindest für Ruth. Die anderen Kinder freuten sich auf das Fest. Aber Ruths Eltern beschlossen: „Das ist heidnisch, Gott will das nicht.“ Sie sagten der Lehrerin, dass Ruth nicht mehr am Weihnachtsbasteln teilnehmen solle. Aber Ruth blieb in der Klasse sitzen. „Es wäre mir unendlich peinlich gewesen, als einziges Kind rauszugehen und vorm Klassenraum zu warten“, erzählt die heute 25-Jährige. Also faltete sie heimlich mit den anderen Kindern Sterne und Engel. „Ich hatte kein…
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die heute 25-Jährige. Also faltete sie heimlich mit den anderen Kindern Sterne und Engel. „Ich hatte kein schlechtes Gewissen, denn früher war Weihnachten ja auch nichts Schlechtes. Vom Basteln habe ich meinen Eltern trotzdem lieber nichts erzählt.“
Als Weihnachten aus ihrem Leben gestrichen wurde, war Ruth Tuschewski etwa acht Jahre alt. Ihre Eltern hatten sich der Organischen Christus-Generation (OCG) in der Schweiz angeschlossen – einer Gemeinschaft, die laut dem Verein Sekten-Info Nordrhein-Westfalen einen radikalen christlichen Glauben anstrebt und durch Verbreitung von Verschwörungstheorien auffällt. Die Familie, bisher aktiv in einer Freikirche, fuhr fortan jeden Samstag in die Schweiz, um an den Großveranstaltungen des Sektenführers teilzunehmen.
Das neue Leben war geprägt von strengen Regeln. Bücher wie Harry Potter, Songs von Alicia Keys oder Filme wie Herr der Ringe – alles Sünde und verboten. Ruth durfte weder Sport im Verein machen noch sich mit Kindern aus der Schule verabreden. Sie lernte früh: Die Gesellschaft ist sündig und bedrohlich, überall sitzt der Teufel, der dich verführen will; nur die Gemeinschaft gibt dir Sicherheit. Die Familie verbrachte also viel Zeit in dieser, mit Gebetsrunden, Versammlungen, Arbeitsprojekten. „Ständig wurde überprüft, ob der Geist Gottes zu spüren war. War das nicht der Fall, wurde nach den Gründen gesucht, was hieß, dass jemand gesündigt hatte und Buße tun musste“, erzählt Tuschewski.
Zugehörigkeit als Grundbbedürfnis des Menschen
Einer Gemeinschaft oder Gruppe anzugehören ist per se nichts Schlechtes. Gruppen bedienen das fundamentale Bedürfnis des Menschen nach Nähe und Zugehörigkeit. Sie können in einer als zunehmend komplex empfundenen Welt Halt und Orientierung geben. Man fühlt sich geborgen, teilt gemeinsame Werte, setzt sich für ein höheres Ziel ein und empfindet Sinn im Leben.
Mittlerweile gibt es jenseits der großen Glaubensgemeinschaften eine Vielzahl an weltanschaulichen Gruppen, Gemeinden und Freundeskreisen. Manche verstehen ihr Weltbild als Religion und fordern von ihren Anhängern eine ganz spezielle Lebensführung. Daneben besteht eine wachsende Szene aus Psycho- und Coachinggruppen, esoterischen Gemeinschaften bis hin zu Reichsbürgern und völkisch-nationalistischen Siedlergemeinschaften.
In einer exklusiven Weltanschauung verbunden
Obwohl sich die Gruppen in Ausrichtung und Weltbild deutlich unterscheiden, gibt es bei einigen Überschneidungen: Sie entwickeln eine exklusive Weltanschauung, schotten sich von der Mehrheit der Gesellschaft ab und fühlen sich anderen überlegen. „Wenn ich mich mit anderen Kindern verabreden wollte, sagten meine Eltern: Wir sind Teil der OCG und mit Gott. Die anderen nicht. Wenn jemand Pocken hat, gehst du doch auch nicht hin“, erzählt Tuschewski.
„Je geschlossener das Weltbild, desto höher ist der Konformitätsdruck“, erklärt die Diplompädagogin Sarah Pohl, Leiterin von Zebra BW, der zentralen Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen des Landes Baden-Württemberg. Persönliche Bedürfnisse, Interessen, Vorstellungen? Zweitrangig. Sie müssten den Zielen der Gruppe untergeordnet werden. Das gelte auch für die kindliche Erziehung. Nicht die Entwicklung einer individuellen Persönlichkeit stehe im Mittelpunkt, sondern die Einordnung in die Gruppe.
Eltern wählen es, Kinder werden hineingeboren
Dina Hellwig war ein Vorzeigekind. Gut in der Schule, immer adrett angezogen, freundlich, hilfsbereit. Sie wuchs als Zeugin Jehovas auf, besuchte mehrmals pro Woche die Versammlungen, zog von Haus zu Haus, um Menschen vom wahren Glauben zu überzeugen, stand an Straßenecken, um Zeugnis abzulegen. „Es hieß immer: Du machst das ja freiwillig. Und das habe ich auch lange gedacht. Heute weiß ich: Ich hatte keine Wahl. Denn ich wusste: Nur wenn ich meine Pflichten absolviere, werde ich anerkannt und geliebt“, erzählt Hellwig.
Schließen sich Erwachsene einer weltanschaulichen Gruppe oder Gemeinschaft an, ist das meist ihre freie Entscheidung. Anders bei Kindern. Sie werden hineingeboren oder wachsen in den Gemeinschaften auf, weil ihre Familie ein Teil davon ist. Das Grundgesetz gibt Eltern das Recht, ihren Nachwuchs frei von staatlichen Eingriffen nach ihren Vorstellungen zu erziehen – und zwar auch in religiösen Fragen.
Sekten
Sekten sind laut Definition kleinere religiöse Gemeinschaften, die von ihren Anhängern eine spezielle Lebensführung verlangen. Da der ursprünglich neutrale Begriff mit der Zeit auf alle möglichen anderen Gruppierungen angewendet wurde und einen abwertenden Beiklang hat, sprechen Fachleute inzwischen eher von religiösen Sondergemeinschaften oder neureligiösen Gemeinschaften. Typisch für diese exklusiven Gemeinschaften ist ein Überzeugungssystem, das die Welt schlüssig erklärt und das wenig Raum für eigenes Denken oder andere Meinungen lässt
Kinder haben zugleich das Recht auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Der Staat kann also eingreifen, wenn eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Aber nur weil Eltern einer konfliktträchtigen weltanschaulichen Gruppierung oder einem als extremistisch eingestuften Milieu angehören, müsse die Entwicklung von Sohn oder Tochter nicht automatisch beeinträchtigt sein, schreiben Sarah Pohl und Mirijam Wiedemann in ihrem Buch Zwischen den Welten: Filterblasenkinder verstehen und unterstützen. Wiedemann leitet die Geschäftsstelle für gefährliche religiös-weltanschauliche Angebote beim Kultusministerium Baden-Württemberg.
Versuchungen der Außenwelt widerstehen
Oft ist dann die Schule der erste Ort, an dem Kinder, die in Filterblasen aufwachsen, mit anderen Weltsichten, Lebensentwürfen und Meinungen in Berührung kommen. Zu diesem Zeitpunkt haben sie in aller Regel schon verinnerlicht, dass sie sich vor den Versuchungen der Außenwelt in Acht nehmen müssen.
Dina Hellwig wurde angehalten, den anderen Kindern vom wahren Glauben zu erzählen – doch die wollten nichts davon wissen. Sie musste ihren Klassenkameraden sagen, dass sie keine Feste mitbegehen und nicht bei den Faschingsvorbereitungen helfen werde. Während die anderen feierten und sangen, saß sie im Gang vor der Tür. „Für mich war das furchtbar, ich fühlte mich als Außenseiterin“, erinnert sich Hellwig. Dennoch liebte sie die Schule: „Das war für mich der Ort, wo ich Kind sein durfte.“
Ruth Tuschewski verbrachte hingegen schwere Jahre in der Schule. Sie kannte nicht die Bücher, die Musik, die Filme, die ihre Mitschülerinnen interessierten. Sie trug nicht die gleichen Klamotten, durfte ihre Nachmittage nicht mit ihnen verbringen – und wurde so zur Randständigen. „In den Pausen haben mich die anderen Kinder ausgegrenzt. Einige nannten mich Gollum, und ich habe nicht einmal gewusst, was das ist“, erzählt sie. Einmal vertraute sich Ruth einer Lehrerin an. Die riet ihr, mehr auf die anderen Kinder zuzugehen. „Sie tat so, als ob es meine Schuld sei. Sie verstand nicht, dass es nichts gab, worüber wir hätten reden können, weil wir in zwei unterschiedlichen Welten lebten“, sagt Tuschewski. Danach fragte sie in der Schule nie mehr nach Hilfe.
Monatsfeier statt Geburtstag
Dabei bietet gerade die Schule Kindern, die in Filterblasen aufwachsen, vielfältige Chancen. Sie erleben dort, dass die Welt vielseitiger ist als das, was sie bisher kennen. Sie können neue Kontakte knüpfen und sich mit anderen Werten und Normen auseinandersetzen. Kurz: Sie bekommen eine Alternative zu ihrer Gemeinschaft aufgezeigt. Ob sie diese Alternative als bedrohlich oder bereichernd erleben, hängt aber maßgeblich davon ab, welche Erfahrungen sie in der Schule sammeln. Werden sie ausgegrenzt, bestätigt sich das, was sie in der Gemeinschaft lernen: Die Welt da draußen ist bedrohlich und feindselig, nur bei uns bist du sicher.
„Schule sollte dazu beitragen, dass es für Kinder aus Filterblasen einfacher wird, selbst zu wählen, welchen Platz sie in der Gesellschaft einnehmen wollen“, fordert Pohl. Dafür sei es enorm wichtig, die Kinder möglichst gut zu integrieren. Wie das aussehen kann, beschreiben Wiedemann und Pohl am Beispiel einer Lehrerin: Sie verzichtete darauf, Geburtstage in der Klasse zu feiern, weil eines der Kinder nicht teilnehmen durfte. Stattdessen gab es einmal im Monat ein gemeinsames Frühstück, organisiert von den Geburtstagskindern. Die Lehrerin nannte es „Monatsfeier“. „So konnten meine Eltern nichts mehr dagegen sagen“, zitieren die Autorinnen das betroffene Kind. „Die Lehrerin hat begriffen, wie wichtig es für mich war, Teil der Klassengemeinschaft sein zu dürfen. Ich bin ihr noch heute dankbar dafür. Ich erlebte, dass die Welt draußen eine gute Welt war.“
Erst der innere Ausstieg, dann der physische
Um in der Schule irgendwie dazuzugehören, führen viele der betroffenen Kinder ein Doppelleben. Während der Pandemie zogen Kinder von Coronaleugnerinnen und -leugnern in der Schule heimlich eine Maske an. Streng religiös lebende Jugendliche tauschen ihre biedere Kleidung auf dem Schulweg gegen angesagte Klamotten oder hören in den Pausen mit den Klassenkameradinnen Hip-Hop. Das macht ihnen den Schulalltag leichter, kann aber zu Gewissenskonflikten und Ängsten führen. Schließlich wissen die Kinder um die Werte der Eltern und wollen sie nicht enttäuschen. Und ihnen ist klar, dass jeglicher Regelverstoß von der Gemeinschaft sanktioniert wird: durch Strafen, öffentliche Zurechtweisung, Ausschluss.
Aber auch Kinder, die sich regelkonform verhalten, stehen unter großem Druck. Wachsen sie mit dem Glauben auf, dass Gott alles sieht und straft, gibt es keine Geheimnisse mehr. Denn der Allmächtige weiß nicht nur, was sie tun, sondern kennt auch ihre Gedanken. Der Wunsch, einen Jungen zu küssen, die Sehnsucht, mit den anderen Kindern Fußball zu spielen, statt in der Gruppe zu beten – schon solche eigentlich harmlosen Gedanken können enorme Gewissensängste auslösen und zu einer Überanpassung führen. Sarah Pohl erzählt von einer Frau, die in einer religiösen Gruppierung aufwuchs und einen regelrechten Betzwang entwickelte.
Der innere und äußere Druck machen es sehr schwer, sich aus geschlossenen Gruppen zu lösen. Die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Sozialarbeiterinnen Kathrin Kaufmann und Laura Illig sprachen in einer Interviewstudie im Rahmen des Forschungsprojektes Cultic Childhood mit 19 Männern und Frauen, die in verschiedenen religiösen Gemeinschaften aufgewachsen waren und diese verlassen hatten. Aus den Gesprächen mit den Betroffenen ergaben sich Hinweise auf verschiedene Phasen der Loslösung.
Ausstieg als „sozialer Tod“
Am Anfang stehe der innere Ausstieg. Er sei durch Zweifel und innere Zerrissenheit gekennzeichnet, so die Autorinnen. Die Kinder erlebten in dieser Zeit Gefühle existenzieller Unsicherheit. Denn oft empfinden sie ihre Familie und die Gemeinschaft nicht als durchweg schlecht, sondern haben auch positive Erfahrungen gesammelt. Manche Kinder hätten Angst vor der Reaktion der Eltern, wenn sie von ihren Zweifeln erzählen würden. Andere wollten sie nicht verletzen. Und wieder andere fürchteten, es sich mit Gott zu verscherzen.
Ringen sie sich trotzdem dazu durch, die Gruppe zu verlassen, beginnt die nächste Phase, der physische Ausstieg. Dieser ist jedoch in aller Regel erst im Jugendalter möglich. Und: Für die meisten Aussteiger bedeute der Ausstieg den „sozialen Tod“, so Illig und Kaufmann. Denn viele Gemeinschaften fordern von ihren Mitgliedern, mit Ehemaligen zu brechen. Die Aussteiger werden von der Gruppe und ihrer Familie verstoßen und stehen plötzlich völlig allein da.
„Alles war verboten“
Ruth Tuschewski war 13 Jahre alt, als sie ernsthaft anfing, über einen Ausstieg nachzudenken. „Ich wollte mit Freunden feiern, mich verlieben, mehr für die Schule lernen als beten und vor allem selbst Entscheidungen für mein Leben fällen dürfen“, sagt sie. „Alles war verboten. Ich hatte das Gefühl, dass die Wände auf mich zukommen und mir die Luft nehmen. Und gleichzeitig hatte ich riesige Angst, meine Familie zu verlieren.“ Es dauerte drei Jahre, bis sie tatsächlich mit der Gemeinschaft brach. Den Ausschlag gab ein Besuch mit der Schule in einem Konzentrationslager. Ruth Tuschewski sah den Horror der Nationalsozialisten. „Aber in der OCG wurde darüber gesprochen, ob Hitler gleich hinter Jesus steht“, erzählt sie.
Ruth versuchte, mit ihren Eltern über ihre Entscheidung zu sprechen. Es folgten heftige Auseinandersetzungen. Sie verbrachte so viel Zeit wie möglich in der Schule, organisierte sich mit 16 selbst einen vierwöchigen Schüleraustausch in den USA und zog schließlich mit 18 Jahren zu Hause aus.
Kathrin Kaufmann und Laura Illig beschreiben die Phase nach dem Austritt als „Weiterlebenlernen“. Die interviewten Aussteigerinnen und Aussteiger schilderten, dass sie sich in einer neuen, ihnen oft fremden Welt zurechtfinden mussten. In dieser Zeit bewahrheitete sich für viele, was die Gemeinschaft immer prophezeit hatte: Es ging ihnen ohne die Gruppe erst mal richtig schlecht. Manche Aussteiger berichten von starken Einsamkeitsgefühlen und Desorientierung. Während früher stets jemand festlegte, was richtig und falsch war, müssen sie sich plötzlich allein zurechtfinden.
Der Psychologe Dieter Rohmann begleitet seit vielen Jahren Aussteigerinnen. Er erlebt, dass viele ehemalige Kultmitglieder große Probleme haben, Kontakte zu anderen Menschen aufzubauen und Freundschaften oder Beziehungen zu pflegen. Da die jungen Menschen abgeschottet und unter rigiden Regeln aufwuchsen, hätten sie viele soziale Fertigkeiten nicht lernen können, zum Beispiel wie man auf andere Menschen zugeht, Smalltalk führt, Komplimente annimmt oder Konflikte löst.
Und weil Schuld und Sünde in der Kindheit ständige Begleiter waren, bemühten sich die Aussteiger permanent, alles richtig zu machen, so Rohmann: „Nach meiner Beobachtung liegen viele Ursachen für die besonderen Probleme von hineingeborenen Aussteigern schlicht im nicht oder kaum vorhandenen Selbstwert.“
Die Suche nach dem Platz in der Gesellschaft
Rohmann hat ein Dreistufenmodell entwickelt, um Kultaussteigerinnen und -aussteiger zu begleiten und ihnen zu helfen, das Erlebte zu verstehen und zu verarbeiten. Er beobachtet bei den Betroffenen zu Beginn eine große Sprachlosigkeit und Ohnmacht. „Verarbeitet werden kann aber nur, wenn anfangs Unaussprechliches in Worte und Bilder gefasst werden kann, wenn Gefühle benannt werden können und Erfahrenes dadurch verstehbar wird“, erklärt der Psychologe. Stufe eins beinhaltet deshalb, über den Kult, Verbote und Versprechen, Glaubensinhalte und Schlüsselerlebnisse zu reden.
In Stufe zwei geht es darum, Erklärungen für das Geschehene zu finden. Warum ist man selbst so lange ein aktiver Teil des Ganzen geblieben? Rohmann spricht mit den Aussteigerinnen über Dynamiken und Mechanismen der Gruppen, wie etwa Bewusstseinskontrolle und kognitive Verzerrungen, Konformität und Gehorsam. Er erklärt, wie Menschen dazu gebracht werden, Einstellungen zu vertreten, die eigentlich nicht die ihren sind.
In Phase drei liegt der Fokus auf der Stärkung des Selbstwerts und der Selbstwahrnehmung. Auf welche Ressourcen können die Aussteigerinnen aufbauen? Was hat sie befähigt, den Kult zu verlassen? Rohmann übt mit ihnen, nein zu sagen, Grenzen zu setzen und sich zu behaupten, aber auch, andere Perspektiven einzunehmen und mit Komplexität und Widersprüchen umzugehen. Er ermutigt sie, sich auszuprobieren, Neues zu entdecken, Fehler zu machen. Und er spricht mit ihnen darüber, wo die eigene Reise nun hingehen kann.
Für Dina Hellwig begann nach ihrem Ausstieg bei den Zeugen Jehovas ein langer, harter Weg. Sie wurde verstoßen, saß auf der Straße und schlief wechselnd bei Klassenkameradinnen auf dem Sofa, mit denen sie eigentlich nichts anfangen konnte. Sie kämpfte immer wieder mit Depressionen, schloss sich anderen Gruppen an, verließ sie, machte Therapien, versuchte, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden.
Im Dezember 2024 traf sich Ruth Tuschewski mit ihren Geschwistern, die inzwischen ebenfalls die OCG verlassen hatten. Sie feierten zum ersten Mal wieder gemeinsam Weihnachten.
Beide Frauen sagen, dass sie heute – viele Jahre nach dem Ausstieg – immer noch das Gefühl haben, anders als andere Menschen zu sein und nicht richtig dazuzugehören. Aber in ihr Leben ist Ruhe eingekehrt.
Quellen
Klaus Schubert und Martina Klein: Das Politiklexikon. Dietz 2020 (7., überarbeitete und ergänzte Auflage)
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-WürttembergGeschäftsstelle für gefährliche religiös-weltanschauliche Angebote (Hg.): Checkliste zu religiös-weltanschaulichen Angeboten. Esoterik- und Religionsinfo BW 2020
Esoterik- und Religionsinfo BW: Ausstieg aus einer sogenannten „Sekte“, ZEBRA-Talk 2023
Nora Fritzsche, Anja Puneßen: Zwischen Religionsfreiheit und möglicher Kindeswohlgefährdung. Aufwachsen in salafistischen Familien – Herausforderung für die Jugendhilfe. Bundeszentrale für politische Bildung 2017.
Kathrin Kaufmann, Laura Illig, Johannes Jungbauer: Sektenkinder. Über das Aufwachsen in neureligiösen Gruppierungen und das Leben nach dem Ausstieg. Balance buch + medien 2021
Anja Gollan: Aufwachsen mit Verschwörungstheorien und Staatsablehnung – Kinderschutz im Kontext des „Reichsbürger-“, „Selbstverwalter-“ und „Delegitimierer-Milieus“. Sekten-Info Nordrhein-Westfalen 2024
Christoph Grotepass: Fundamentalismus und Verschwörungsglaube am Beispiel der Organischen Christus-Generation (OCG). Sekten-Info Nordrhein-Westfalen 2025
Thomas Heinrichs, Heike Weinbach: Weltanschauung als Diskriminierungsgrund – Begriffsdimensionen und Diskriminierungsrisiken. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2016
Dina Hellwig: Kopfkino – Aussteiger berichten. Podcast.de
Sarah Pohl, Mirijam Wiedemann: Zwischen den Welten: Filterblasenkinder verstehen und unterstützen. Vandenhoeck & Ruprecht 2023