Hilft körperlicher Schmerz gegen seelischen Schmerz?

Körperlicher Schmerz führt auch bei Nicht-Borderline-Patienten zu einer Emotionsregulierung.

Negative oder schmerzhafte Gefühle auszuhalten ist schwer. Von psychiatrischen Patienten, etwa denen, die von Borderlinesymptomen betroffen sind, ist bekannt, dass sie sich selbst Schmerz zufügen, bis hin zur Selbstschädigung, um negative Emotionen zu regulieren. Aber auch andere tun das, zeigten Psychologen. Die Freiwilligen in diesen Studien erlebten schmerzhafte Elektrostimulationen als gute Möglichkeit, sich von negativen, bedrängenden Gefühlen Erleichterung zu verschaffen.

Die Forscher konfrontierten die Probanden mit Bildern, die Angst, Wut oder Traurigkeit auslösten. Anschließend ließen sie eine Gruppe aus mehreren Möglichkeiten eine auswählen, die helfen sollte, ihre aversiven Gefühle zu mildern, etwa das Reframing, die neue Deutung des Inhalts der Bilder oder einen Hinweis, wie sie das Denken daran vermeiden könnten (Ablenkung) – und die Möglichkeit, eine elektrische und schmerzhafte Stimulation zu erhalten. Der anderen Gruppe wurde jeweils genau eine von diesen Arten der Gefühlsregulation vorgegeben.

Tatsächlich wählten die meisten Freiwilligen, die es durften, den körperlichen Schmerz zur Bewältigung der unangenehmen Emotionen. Der Schmerz erwies sich als so effektiv wie die anderen Methoden, diese Gefühle zu mildern. Und Schmerz wirkte besser als die kognitive Umdeutung sogar überlegen.

Unerwartet war für die Psychologen das Ergebnis, dass die selbst gewählten Strategien sich als weniger effektiv erwiesen als die von den Forschern zugewiesenen. Womöglich spielten dabei andere, nicht erhobene Faktoren eine Rolle, etwa die Anstrengung, die es erfordert, negative Gefühle wirksam zu regulieren, argumentieren die Forscher. Auch könnten die Freiwilligen bei ihrer Entscheidung den Nutzen einer Methode eingeschätzt haben, der dann so nicht eintraf.

Wie die Psychologen schreiben, sehen auch nicht psychiatrisch Erkrankte offenbar in körperlichem Schmerz eine Möglichkeit, negative Emotionen zu regulieren. Die Grenze, welcher Schmerz dabei noch „gesund“ sei und wo schädliche Selbstverletzung beginne, sei nicht ohne weiteres zu ziehen. Die Ergebnisse lassen laut der Autoren zudem keine Aussage darüber zu, ob der körperliche Schmerz auch längerfristig helfe, mit negativen Emotionen zurechtzukommen.

Ashley M. Doukas u. a.: Hurts so good: Pain as an emotion regulation strategy. Emotion, 2019. DOI: 10.1037/emo0000656

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 3/2020: Ruhe im Kopf
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