Verstehen statt verurteilen

Sarah Pohl und Isabella Dichtel erklären, wie der Glaube an Verschwörungstheorien entstehen und der Umgang mit Andersgesinnten gelingen kann.

Der Großvater, die beste Freundin, ein guter Arbeitskollege: Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, begegnen uns immer öfter im Alltag und nicht selten auch in unserem engsten Umfeld. Sich einfach von ihnen abzuwenden würde die Gesellschaft zerreißen und ist von den Angehörigen meist nicht gewünscht. Was hilft also?

Gespräche auf Augenhöhe, meinen Sarah Pohl und Isabella Dichtel in ihrem Ratgeber Alles Spinner oder was? Wie Sie mit Verschwörungsgläubigen gelassener umgehen. Die beiden Autorinnen sind Beraterinnen an der Zentralen Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen Baden-Württemberg. Immer häufiger kommen Menschen zu ihnen, deren Freunde oder Familienmitglieder Verschwörungen Glauben schenken, und suchen Hilfe.

Toleranz und Einfühlungsvermögen als Basis

Wie man versuchen kann, den anderen vom mangelnden Wahrheitsgehalt einer kruden Theorie zu überzeugen, ist dabei nicht Kern des Buches. Das Ansinnen der Autorinnen ist vielmehr, die „regelrechten Glaubenskriege“, die mittlerweile zwischen den Menschen ausgefochten werden, zu befrieden. Dafür bieten sie praktische Hilfestellung, wie der Umgang mit den „Abtrünnigen“ gelingen kann. Sie werben vor allem für mehr Toleranz, Einfühlungsvermögen und Verständnis – aufseiten der Nichtverschwörungsgläubigen.

Wie das gehen soll? Pohl und Dichtel nehmen Leserinnen und Leser dafür an die Hand. Sie widmen sich zunächst dem Wesen von Verschwörungstheorien und deren Anziehungskraft. Sie zeigen Lebenslagen, Motive und Neigungen, die einen dem Verschwörungsglauben nahebringen können. Ihre Erfahrung: Wer die Menschen versteht, verspottet oder verurteilt sie seltener. Das hilft im Miteinander.

In weiteren Schritten verdeutlichen sie anhand von Fallbeispielen, wie Situationen entschärft werden können, sie geben Formulierungshilfen für Gespräche und vermitteln eine innere Hal­tung, die im Umgang mit Verschwörungsgläubigen helfen kann. Psychologische Mechanismen der Kommunikation erklären sie leicht verständlich und so, dass jede und jeder daraus etwas für sein eigenes Denken und Handeln mitnehmen kann. Sie leiten praktische Übungen an, die einem mehr Sicherheit in Gesprächen mit den Andersgesinnten geben sollen, ohne Konflikte heraufzubeschwören oder diese weiter anzufeuern.

Ein versöhnliches Gespräch ist machbar

Die Autorinnen liefern damit einen Kitt, der wohl so manche Familie oder Freundschaft retten könnte, die durch solche „Glaubensfragen“ zu zerreißen droht. Das braucht allerdings Mitarbeit: Pohl und Dichtel fordern die Leserinnen und Leser heraus, sich selbst zu hinterfragen und immer wieder die Perspektive zu wechseln, bleiben dabei aber angenehm und üben keinen Druck aus.

Sie schreiben mit einem Augenzwinkern und strahlen zugleich große Kompetenz aus. Sie vermitteln: Es braucht einiges an Rüstzeug, aber es ist machbar. Am Ende des Buches hat man tatsächlich das Gefühl, ein versöhnliches oder zumindest neutrales Gespräch mit einem Verschwörungsgläubigen führen zu können. Die Autorinnen bieten eine realitätsnahe Anleitung und vor allem überzeugende Argumente dafür, den Mitmenschen nicht abzuschreiben.

Sarah Pohl, Isabella Dichtel: Alles Spinner oder was? Wie Sie mit Verschwörungsgläubigen gelassener umgehen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2021, 164 S., € 18,–

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 9/2021: Erfüllter leben
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