Verführerische Theorien

Psychologen erforschen, wann Verschwörungsdenken der Demokratie schaden kann und welche psychologischen Bedürfnisse sich dahinter verbergen.

Einflussreiche soziale Bewegungen, wie etwa #metoo, werden mit gesellschaftlichem Fortschritt in Verbindung gebracht und als essenzieller Teil der Demokratie angesehen. Doch zu den sozialen Bewegungen gehören auch diejenigen, die der Demokratie schaden, so argumentieren die US-Sozialpsychologen Anni Sternisko, Aleksandra Cichocka und Jay Van Bayel in einem Überblicksartikel. Die Wissenschaftler verweisen auf ein Beispiel: Das Hashtag #Qanon, dahinter verbirgt sich eine rechtsextreme Verschwörungstheorie, erreichte fast mit 15 Millionen fast so viele User wie #metoo.

Wie verschwörungstheoretische Inhalte wirken

Was ist also das Anziehende an Verschwörungstheorien? Das eine seien ihre Inhalte. Menschen fühlten sich zu bestimmten Theorien stärker hingezogen, die sie in ihrer sozialen Identität bestätigten, schreiben Anni Sternisko und ihr Team. Verschwörungsdenker bevorzugten diejenigen Theorien, in denen ihre „Gegner“ zu mächtigen, feindlichen Verschwörern werden. Menschen, die ohnehin schon zu Rassismus und Vorurteilen gegen Muslime, Menschen jüdischen Glaubens oder People of Color neigen, werden durch entsprechen Verschwörungstheorien bestätigt und sehen Gleichgesinnte in allen, die ebenfalls daran glauben – was das Gefühl der Überlegenheit der eigenen „Gruppe“ weiter verstärke.

Darüber hinaus hätten Verschwörungstheorien, unabhängig vom Inhalt, zwei Eigenschaften gemeinsam. Sie geben zum einen häufig vor, geheimes „Wissen“ zu offenbaren und richteten sich zweitens gegen den (vermeintlichen) „Mainstream“. Beide Merkmale bedienten Wünsche nach Einzigartigkeit und Besonderheit – wer an die Theorien glaube, verfüge damit über wichtiges, geheimes Wissen und sonne sich in der Vorstellung, etwas Besonderes und gegen den „Mainstream“ zu sein.

Wie die Autoren betonen, neigen anfällige Menschen dazu, sich diejenigen Verschwörungstheorien auszusuchen, die die meisten psychologischen Bedürfnisse auf einmal erfüllten, also den Wunsch nach Zugehörigkeit, den Wunsch nach Überlegenheit der eigenen Gruppe sowie den nach Einzigartigkeit. Die Unterscheidung nach Inhalten und Eigenschaften sei dennoch wichtig, um zu wissen, welche Theorien gefährlich seien.

Wann Verschwörungsmentalität gefährlich werden kann

Der Mainzer Sozialpsychologe Roland Imhoff und sein Team untersuchten den Einfluss von Verschwörungstheorien auf die Bereitschaft zu politischem Engagement. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein ausgeprägtes Verschwörungsweltbild eine reale Gefahr darstellen kann. Seien Menschen einmal von solchen Vorstellungen fest überzeugt, sähen sie womöglich keinen Grund mehr, sich demokratischen Regeln verpflichtet zu fühlen oder demokratischen Institutionen und den Medien zu vertrauen.

In seinen Experimenten hatten der Psychologe und sein Team mehrere Hundert Teilnehmer aus Deutschland und den USA gebeten, drei Varianten von kurzen Szenarios zu lesen und sich vorzustellen, sie selbst lebten in der darin beschriebenen Gesellschaftsform. Beschrieben war diese entweder als demokratisch, vertrauenswürdig und transparent. Oder als mäßig oder in starkem Ausmaß von feindlichen, mächtigen Verschwörungen geprägt. Anschließend sollten alle drei Gruppen beschreiben, ob und wie sie sich in der jeweiligen Gesellschaftsform politisch engagieren würden.

Den Forschern fiel auf: Bei denjenigen, die die stark von Verschwörungsdenken geprägten Szenarios gelesen hatten, sank die Zustimmung zu legitimen politischen Protesten und stieg die Befürwortung von illegitimen und gewalttätigen politischen Aktionen. Diese Teilnehmer gaben an, die in den Verschwörungsszenarios beschriebenen Situation ungerecht zu finden und keine andere Möglichkeit zu sehen, den Zustand zu beenden. Die Psychologen weisen darauf hin, dass die in dem Experiment hergestellte Situation sich so nicht ohne weiteres auf die Wirklichkeit übertragen lasse. Die Teilnehmer reagierten hypothetisch auf hypothetische Szenarios. Doch hatten sie die Verschwörungsmentalität nach dem Lesen des Szenarios übernommen, befürworteten sie illegitimes politisches Handeln.

Anni Sternisko u. a.: The dark side of social movements: Social identity, nonconformity, and the lure of conspiracy theories. Current opinion of Psychology, 2020. DOI: 10.1016/j.copsyc.2020.02.007

Roland Imhoff u. a.: Resolving the puzzle of conspiracy worldview and political activism: Belief in secret plots decreases normative but increases non-normative political engagement. Social Psychological and Personality Science, Expected online March 2020.

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