Ein Stück Heilung

Das Buch „Psychotherapie der Emotionen“ von Reinhard Plassmann liest sich als Plädoyer für komplexe Achtsamkeit in der Psychotherapie.

Was genau macht die heilende Wirkung von Psychotherapie aus? Wie funktioniert sie und welche Rolle spielen dabei die Emotionen von Patient und Therapeut und deren Kontakt zueinander?

Zu diesem Thema forscht und veröffentlicht der in Tübingen praktizierende Psychotherapeut und Professor Reinhard Plassmann seit 20 Jahren. Sein aktuelles Buch Psychotherapie der Emotionen fasst die wesentlichen Aspekte des von ihm entwickelten Konzepts der Psychotherapie der Emotionen zusammen: „Psychotherapie heißt, unregulierbares negatives emotionales Material regulierbar zu machen und auf diese Weise transformative Prozesse dort, wo sie blockiert waren, wieder zu ermöglichen.“ Dabei begreift der Autor die „Psychotherapie der Emotionen“, nicht als neue Methode, sondern als „eine Art Dach, unter dem sich die vorhandenen Psychotherapiemethoden versammeln können“.

Es ist ein Sachbuch, durch dessen Lektüre man nicht nur viel lernt, sondern auch etwas Wichtiges erlebt: die Bedeutung des Gegenwartsmoments. Ambitioniert, in manchen Teilen ein regelrechter Parforceritt durch ausgewählte Themen der psychologischen, psychosomatischen und neurobiologischen Theorie, wirkt das Buch zugleich wie ein Plädoyer für eine komplexe Form von Achtsamkeit in der Psychotherapie.

Plassmanns Ausführungen gliedern sich in drei Teile. Unter dem zentralen Gesichtspunkt der Regulation von Emotionen entfaltet der Autor in Kapitel eins bis sechs unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten die Verarbeitung von Emotionen, die psychoanalytische Emotions-, Säuglings- und Bindungsforschung sowie Aspekte der Neurobiologie und Traumatherapie. Wen eher die Praxis als theoretische Überlegungen und die Geschichte von Begriffen interessiert, der sollte sich durch diesen ersten Teil des Buches nicht abschrecken lassen, sondern einfach mit Kapitel sieben beginnen.

Die Bedeutung des Gegenwartsmoments

Deutlich leichter zu lesen ist die dort beginnende eigentliche Darstellung des von Plassmann entwickelten therapeutischen Prozesses. Der Autor entwickelt sein Konzept so anschaulich und dicht, dass das therapeutische Geschehen in seiner schillernden Komplexität erfahrbar wird.

Elementar für diesen Prozess ist neben dem Prinzip der Selbstorganisation und der Bedeutung des Gegenwartsmoments die emotionale Resonanz zwischen Patient und Therapeut. Bestimmend für die Dynamik sind die Balance zwischen belastendem Material und den Ressourcen des Patienten sowie das intuitive Wissen um Momente der Transformation. Innerhalb der Therapiesitzung entfaltet sich, so Plassmann, eine koordinierte Kommunikation zwischen Patient und Therapeut, die es ermöglicht, „die pathologischen Muster der Emotionsregulation zu erkennen und deren Transformation in etwas Gesünderes zu fördern“.

Was in der raffenden Zusammenfassung wuchtig wirkt, liest sich bei Plassmann informativ und spannend. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Fallbeispiele bei ihm viel Raum bekommen: Als Lesende nehmen wir so daran teil, wie in der Dynamik der Therapiesitzung, in vielen kleinen, präzis empfundenen und kommunizierten Erfahrungen Transformation, das heißt ein Stück Heilung geschieht. Es geht in diesen Passagen nicht einfach um eine Methode. Sie legen vielmehr Zeugnis ab von der heilsamen Wirkung tiefen Kontakts – Kontakt zu sich selbst und zum Gegenüber – sowie dem Erkennen des günstigen, richtigen Moments, dem die griechische Mythologie in Kairos gar einen eigenen Gott zuerkennt (siehe auch den Beitrag ab Seite 44).

Der dritte Teil des Buches führt aus, wie die Psychotherapie der Emotionen in der Behandlung von Krankheitsbildern wie Depression, Boderlinestörung und Traumafolgestörungen angewandt werden kann. Beim letzten Kapitel, das auf einen früheren Aufsatz zur „Technik der Prozessdeutung“ zurückgeht, hat die Überarbeitung leider nicht verhindert, dass sich etliche Redundanzen zum Gesamttext ergeben. Das stört, ist aber eine Kleinigkeit in diesem insgesamt so anspruchsvollen und zugleich einfühlsam und inspirierend argumentierenden, in manchen Passagen beglückenden Buch.

Reinhard Plassmann: Psychotherapie der Emotionen. Die Bedeutung von Emotionen für die Entstehung und Behandlung von Krankheiten. Psychosozial, Gießen 2019, 308 S., € 36,90

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