Viele Jahrhunderte war der therapeutische Raum mit dem Sakralen verbunden. Jeder der vielen hundert Tempel des Heilgottes Asklepios im antiken Griechenland hatte einen Altar, eine heilige Quelle, einen Tempel des Gottes, einen gesonderten Bezirk für die Weihegeschenke und als wichtigsten Ort für den Kranken das Abaton, eine Halle, in der er nachts in unmittelbarer Nähe zu dem Gott schlafen sollte, der ihn im Traum besuchen würde.
In Epidauros, wo der Heilgott begraben sein soll, ergänzen ein Theater, eine…
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der Heilgott begraben sein soll, ergänzen ein Theater, eine Rennbahn und zahlreiche Gästehäuser die Anlage. Täglich trafen Kranke ein und wanderten staunend, ja ungläubig durch den heiligen Bezirk. Sie studierten die Inschriften, die von der wunderbaren Hilfe des Gottes berichteten, wie dieses überlieferte Beispiel:
„Ambrosia aus Athen, auf einem Auge blind. Sie kam hilfesuchend zum Gotte, aber beim Umhergehen im Heiligtum spottete sie über manche Heilberichte. Es sei unmöglich und unglaublich, dass Lahme und Blinde durch bloßes Träumen gesund werden könnten. Aber im Schlafe hatte sie einen Traum. Es deuchte ihr, der Gott trete zu ihr und verspreche ihr, sie gesund zu machen; nur müsse sie als Lohn ein Weihgeschenk in den Tempel stiften, und zwar ein silbernes Schwein, zum Andenken an ihre Unwissenheit. Nach solcher Rede habe er ihr das kranke Auge aufgeschnitten und Balsam eingeträufelt. Als es Tag geworden, ging sie gesund von dannen.“
Veränderung des Therapieraumes
Der Therapieraum als Ort einer „persönlichen“ Beziehung hat, wie die Psychotherapie selbst, eine lange Vergangenheit und eine kurze Geschichte. Im 19. Jahrhundert setzte sich in der ärztlichen Praxis allmählich ein eigener Behandlungsraum durch, bis dahin wurde der Arzt zum Patienten gerufen und arbeitete in dessen Räumen. Die legendäre Szene, in der Sigmund Freud die Übertragung entdeckte, spielte nicht in seiner Praxis, sondern in der Wohnung einer vornehmen Patientin:
„Als ich einmal eine meiner gefügigsten Patientinnen, bei der die Hypnose die merkwürdigsten Kunststücke ermöglicht hatte, durch die Zurückführung ihres Schmerzanfalls auf seine Veranlassung von ihrem Leiden befreite, schlug sie beim Erwachen ihre Arme um meinen Hals. Der unvermutete Eintritt einer dienenden Person enthob uns einer peinlichen Auseinandersetzung, aber wir verzichteten von da an in stillschweigender Übereinkunft auf die Fortsetzung der hypnotischen Behandlung.“
Seit er die Hypnose aufgegeben hatte, bestand Freud darauf, Analysanden in seinem Therapieraum zu behandeln. So entstand das bis heute übliche Setting der Psychotherapie. Patientinnen mieten etwa eine Stunde der Zeit des Therapeuten; dieser stellt seinen Raum zur Verfügung. In der klassischen Analyse wird ohne Blickkontakt gearbeitet, die Patienten liegen auf einer Couch. In anderen Verfahren sitzen sich Therapeutin und Patientin auf bequemen Sesseln gegenüber.
Therapeutische Beziehung als Basis
Freuds Raum in der Wiener Berggasse war sehr persönlich eingerichtet, mit orientalischen Teppichen und archäologischen Fundstücken. Das unterschied ihn von einem medizinischen Behandlungsraum, der möglichst keimfrei sein soll, mit glatten Flächen, die sich leicht säubern lassen.
Freud sagte zur Psychotherapie, dass sie sich von einer medizinischen Behandlung durch eine Qualität unterscheide, die wir heute Intersubjektivität nennen. Ihre Grundlage ist eine persönliche Beziehung zwischen Helfer und Schützling. Ohne diese Beziehung sei die Arbeit nicht möglich, während der Arzt einen organisch Kranken durchaus ohne solche Basis behandeln könne.
So wird der Therapieraum zu einer Umwelt, in der sich solche Beziehungen entfalten können. Das unterscheidet ihn von seinen Vorläufern, vom Tempel des Asklepios und vom Beichtstuhl im Seitenschiff des Doms. Die Leidenden unterwerfen sich nicht einer metaphysischen Macht, sie reflektieren ihre Geschichte, ihre Bedürfnisse, berichten über Angst und Trauer, finden einen Begleiter, eine aufmerksame Zuhörerin.
Ein Spiegel, kein Bild?
Der Therapieraum soll ein geschützter Ort sein, in dem das sonst Verschwiegene laut werden darf. Wie persönlich er sein soll, ist in der Regel dem Geschmack der Behandelnden überlassen. Widersprüche haben hier durchaus Tradition. Freud forderte einerseits, dass der Analytiker wie ein wohlgeschliffener Spiegel die seelische Dynamik der Analysanden erfassen, aber nicht in eine bestimmte Richtung lenken solle. Andererseits war sein Behandlungszimmer geprägt von seinen Interessen als Sammler antiker Kleinkunst; ab und zu verwendete er auch eine der Statuetten, um Gedanken zu unterstreichen.
Es gibt Therapeuten, die kein Bild an die Wand hängen und sich möglichst sachlich einrichten, um die Fantasie ihrer Patienten in keine Richtung zu lenken. Die meisten sind da unbefangener, sie suchen einen Mittelweg zwischen aufdringlich und unpersönlich.
Einrichtung des Behandlungszimmers
Die unter ihrer Kinderlosigkeit leidende Patientin wird sich in einem Raum nicht wohlfühlen, in den Babyweinen oder Kindergeschrei dringt. Den vereinsamten Depressiven können Familienfotos seiner Therapeutin an der Wand kränken. Eine Uhr an der Wand erinnert daran, dass die Zeit begrenzt ist, und hilft, sie einzuteilen. Aber sie kann auch zum Ärgernis werden, wenn ein Patient sie als Zeichen von Kälte und Geiz deutet, vor allem, wenn ein von Kontrolle faszinierter Therapeut die zehn Minuten Pause vor der vollen Stunde auf dem Zifferblatt farblich hervorgehoben hat.
Zimmerpflanzen beruhigen, aber sie sollten möglichst nicht zu viele welke oder dürre Blätter haben. Auf jeden Fall sind sie neutraler als Tiere. Der Hund einer Analytikerin im Behandlungszimmer wird den Hundefreund anheimeln, aber nicht alle Patienten sind Hundefreunde. Sie werden es vielleicht, wenn der Therapeut einfühlend mit ihrem Unbehagen umgeht und bereit ist, auf ihre Irritation einzugehen.
Viele Kranke sind so sehr auf ihre Probleme und ihre Therapeutin fixiert, dass sie den Raum oft längere Zeit kaum ins Auge fassen. In meinem Behandlungszimmer steht seit Jahrzehnten eine Palme auf einer Säule. Immer wieder passiert es nach Monaten, dass ein Patient um sich blickt und sagt: „Die war letztes Mal nicht da!“
Dr. Wolfgang Schmidbauer arbeitet als Psychoanalytiker, Paar- und Familientherapeut und Autor in München. Sein jüngstes Buch Du bist schuld! Zur Paaranalyse des Vorwurfs erschien 2020 bei Klett-Cotta
Literatur
Theodor Meyer-Steineg, Karl Sudhoff: Illustrierte Geschichte der Medizin. Fischer, Stuttgart 1965
Sigmund Freud: Selbstdarstellung. In: Gesammelte Schriften (Vol. XI, 117 –182). Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig/ Wien/ Zürich, 1928
Wolfgang Schmidbauer: Die Geschichte der Psychotherapie: Von der Magie zur Wissenschaft. Herbig, München 2012
Claudia Guderian: Magie der Couch: Bilder und Gespräche über Raum und Setting in der Psychoanalyse. Kohlhammer, Stuttgart 2004