Länger leben dank Empathie

Warum unsere Gesundheit profitiert, wenn wir anderen helfen, erklärt Joachim Bauer.

Mitunter führen Buchtitel ziemlich aufs Glatteis. So könnte man hinter Das empathische Gen das Werk eines Genetikers vermuten, der die Erbanlagen ausfindig gemacht hat, die unser Mitgefühl bestimmen. Joachim Bauer jedoch ist Psychotherapeut und Neurowissenschaftler – und ein genetischer Determinismus ist so gar nicht in seinem Sinne.

Sein Ansatz weist vielmehr in die umgekehrte Richtung: „Eine aus freiem Entschluss gewählte innere Haltung, die auf ein Sinn-geleitetes, prosoziales Leben ausgerichtet ist, begünstigt Gen­aktivitäten, die unserer Gesundheit dienen.“ Und das vermag er ebenso detailliert wie treffsicher zu begründen.

So führt er zu den Wurzeln der social genomics, als die US-Forscher Barbara Fredrickson und Steven Cole im Jahr 2013 ihre Studie vorlegten, wonach Menschen mit einer selbstgenügsamen und empathischen Lebensweise weniger Aktivitäten auf ihren Risikogenen zeigen. Damit sind jene Gene gemeint, die aufgrund ihrer entzündungsfördernden Eigenschaften mit einer erhöhten Anfälligkeit für Infarkte, Krebs, Demenzen und andere schwere Erkrankungen einhergehen. Aktiviert wiederum werden sie durch Einsamkeit und fehlende soziale Kontakte, weswegen verlassene oder eigenbrötlerische Menschen häufig nicht uralt werden.

Dem Risiko entgegenwirken 

Doch immerhin zeigte sich auch, dass dieser Effekt reversibel ist. Sofern man also sozial wenig eingebundene Menschen dazu animiert, etwas Gutes für die Gemeinschaft zu tun – und sei es auch nur, Abfall von der Straße aufzuheben und in den Mülleimer zu werfen –, geht die Aktivität ihrer Risikogene deutlich zurück.

Nach einer Reihe von weiteren sorgfältig aufbereiteten Studien kommt Joachim Bauer zu dem Schluss: Mit humanitärem Verhalten tun wir nicht nur der Menschheit Gutes, sondern auch – was wiederum ziemlich egoistisch klingt – unserer Gesundheit.

Kurzweiliges Erzählen mit Alltagsbeispielen

Der Spagat zwischen Naturwissenschaft und Philosophie gehört zu den Lieblingsübungen des deutschen Neurowissenschaftlers. Man spürt geradezu den Atem der kantischen Dialektik, wenn Bauer den Genen einerseits abspricht, eine moralstiftende Kraft zu sein (denn sie können uns ja nicht sagen, was gut ist), ihnen aber andererseits bescheinigt, das Gute überhaupt erst möglich zu machen, weil sie entsprechende Taten mit Gesundheit und einem langen Leben belohnen. Für Richard Dawkins’ These vom „egoistischen Gen“ findet er hingegen nur eine zutreffende Beschreibung: „absurd“.

Der Autor erweist sich immer wieder als kurzweiliger Erzähler, der autobiografische Bonmots und konkrete Beispiele aus dem Alltag einzustreuen weiß. Etwa wie er sich mit dem Kollegen Steven Cole in Tim Mälzers „Bullerei“ trifft, um über den Botenstoff Interleukin-6 zu sprechen. Und er scheut sich auch nicht vor kitschigen Schlagerzitaten. 

Joachim Bauer: Das ­empathische Gen. Humanität, das Gute und die Bestimmung des Menschen. Herder, Freiburg 2021, 208 S.,€ 20,–.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 3/2022: Burn on
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