Ruhe im Kopf

Sorgenschleifen können sich verselbstständigen und großen Einfluss auf unser Leben haben. So wird es ruhiger in unserem Kopf

Eine Person liegt grübelnd nachts wach und kann nicht schlafen
Nachts liegt sie wach, weil Gedankenschleifen ihr den Schlaf rauben. © Oliver Weiss

Jana Meinert* hat sich schon immer viele Gedanken gemacht. Aber in den letzten Jahren hat das Grübeln überhandgenommen, vor allem nachts. Dann liegt die 39-Jährige wach und zählt im Geiste auf, was morgens im Job alles ansteht und was ihre kleine Tochter am nächsten Tag braucht. Dann fällt ihr ein, dass ihre Chefin ihr signalisiert hat, dass bald zwei Abteilungen zusammengelegt werden, und sie fragt sich, ob es nun vielleicht Entlassungen geben wird. Mit dem Gehalt ihres Mannes allein können sie jedenfalls…

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ob es nun vielleicht Entlassungen geben wird. Mit dem Gehalt ihres Mannes allein können sie jedenfalls keine Familie finanzieren.

Von der düsteren Zukunftssicht kommt Jana Meinert nicht mehr los, aufgewühlt sucht sie nach Lösungen, versucht vergeblich, sich selbst zu beruhigen. Die Gedanken rasen immer schneller. Irgendwann ruft sie sich innerlich zur Ordnung, dass sie nun endlich schlafen sollte, statt zu grübeln. Doch im gleichen Moment fragt sie sich, wie das gelingen soll und warum sie sich – anders als anscheinend alle anderen Menschen – ihr Leben so schwermacht und sich so viel sorgt.

Irgendwann schläft Jana Meinert dann doch ein. In letzter Zeit fragt sich die Kölnerin allerdings auch tagsüber häufiger, wie sie die problembeladenen Gedanken in ihrem Kopf einschränken oder sogar loslassen könnte. Von selbst, das spürt sie, regulieren sie sich jedenfalls nicht mehr.

Sorgen am Palmenstrand

Vielen Menschen geht es ähnlich wie Jana Meinert: Sie machen sich ständig über alltägliche oder schwerwiegende Probleme Gedanken und kommen überhaupt nicht zur Ruhe. Das ist in den meisten Fällen kein Zeichen für eine psychische Erkrankung, aber dennoch sehr belastend. „Unser Geist ist überaktiv. Sogar wenn es uns gutgeht, produziert er eine Menge Sorgen“, sagt der Psychotherapeut und Achtsamkeitsexperte Andreas Knuf aus Konstanz.

In seinem Buch Ruhe da oben! Der Weg zu einem gelassenen Geist beschreibt er, wie er selbst auf einer Asienreise an einem Traumstrand lag, wo er sich eigentlich hätte entspannen wollen. Doch schon am ersten Tag fing er an, sich immer mehr in Grübeleien zu verstricken – so sehr, dass es ihm schließlich den Urlaub verdarb.

Dass sorgenvolle Gedanken auch in den Ferien oder in Entspannungszeiten einfach weiterrasen, liegt laut Knuf zum einen daran, dass wir heute durch permanente mediale Reize geistig überaktiv sind. „Doch es ist auch der Geist selbst, der Futter will. Er hält Langeweile schwer aus.“ Deshalb stürze er sich immer wieder ungefragt auf seine beiden Lieblingsthemen „Was war?“ und „Was wird sein?“. Das mentale Kreisen um Vergangenes und Zukünftiges belaste dann die Gegenwart – selbst wenn diese an einem Bilderbuch-Palmenstrand stattfindet.

Dass unser Verstand so wach ist, hat natürlich auch Vorteile. Evolutionär gesehen schützt uns die Analyse von vergangenen Fehltritten oder von Klippen in der Zukunft vor Gefahren. „Doch diese Warnfunktion hat sich heute bei vielen Menschen verselbständigt“, sagt Andreas Knuf. Deshalb sei es wichtig, in einem ersten Schritt überhaupt erst einmal bewusst zu erkennen, dass permanentes sorgenvolles Nachdenken kontraproduktiv ist.

Der Hefeteig-Effekt des Grübelns

Dass Grübeln einerseits weit verbreitet ist und andererseits keinesfalls guttut, zeigen zahlreiche Studien. So haben beispielsweise die Psychologen Daniel ­Gilbert und Matthew Killingsworth von der Harvard University über mehrere Wochen engmaschig untersucht, was 2250 Studienteilnehmer im Tagesverlauf taten und dachten und wie sie sich jeweils dabei fühlten.

Mithilfe einer App auf dem Smartphone meldeten die Befragten den Forschern an verschiedenen Zeitpunkten des Tages zurück, welcher Tätigkeit sie gerade nachgingen – etwa Sport, Lernen, Unterhaltungen führen – und was sie jeweils dabei dachten. Es zeigte sich, dass die allermeisten Studienteilnehmer fast die Hälfte des Tages über Dinge nachdachten, die nichts mit dem zu tun hatten, was sie in dem Moment taten. Die Forscher konnten auch messen, dass die Schere zwischen Denken und Tun die Stimmung der Studierenden niederdrückte. Das heißt: Über ein Problem zu grübeln, während man etwas anderes tut, macht traurig und missmutig.

Dass Grübeln schon nach kurzer Zeit die Stimmung dämpft, zeigen auch Laborstudien, etwa des Teams der 2013 verstorbenen Yale-Professorin Susan Nolen-Hoeksema. Die Forscher setzten dabei Fragen ein, die Menschen erwiesenermaßen ins Grübeln bringen, beispielsweise: „Denken Sie an Ihren Charakter und wie Sie gern sein möchten.“

Tatsächlich wurde auf diese Weise eine Gruppe von gesunden, jungen Studierenden innerhalb von acht Minuten dazu gebracht, ihre Zukunft düster und pessimistisch zu sehen. Es ist offenbar so, dass ein einziger grüblerischer, kritischer Gedanke viele weitere weckt, die dann überhandnehmen. Den „Hefeteig-Effekt des Grübelns“ nannte das Susan Nolen-Hoeksema in ihren Publikationen.

Überzeugungen prüfen, Abstand gewinnen

Doch nicht jeder ist fürs Grübeln gleichermaßen anfällig. So gilt es heute als sicher, dass Personen, die eher depressive Bewertungsmuster haben – also beispielsweise Misserfolge im Leben sich selbst zuschreiben und Erfolge dem Zufall –, verstärkt zu permanenten Gedankenschleifen neigen. Außerdem grübeln Frauen laut Studien deutlich häufiger und länger als Männer.

Das hat nach Ansicht der Wissenschaftler auch damit zu tun, dass Frauen es generell sinnvoller finden, über Probleme zu sprechen oder nachzudenken, und Männer sich gern von Sorgen ablenken. Der Geschlechterunterschied weist darauf hin, dass ein Hang zum Grübeln auch durch die persönliche Einstellung beeinflusst wird, die man zum Thema „sich Gedanken machen“ hat. Vereinfacht gesagt: Das, was wir über das Grübeln denken, beeinflusst stark, ob wir es weiter vorantreiben oder sein lassen.

„Wir gehen davon aus, dass Leute, die permanent grübeln, sich auch etwas davon versprechen. Sie glauben letztlich, dass es einen Sinn hat, Probleme sehr lang von allen Seiten zu beleuchten“, sagt Tobias Teismann, Psychotherapieforscher von der Ruhr-Universität Bochum. Gemeinsam mit Kollegen hat er ein Gruppentraining für chronische Grübler entwickelt und evaluiert.

Das Grübeln über das Grübeln

Die Teilnehmer lernten dort in einem ersten Schritt, ihre eigenen Überzeugungen zum Thema Grübeln zu erkennen. Solche sogenannten Meta­kognitionen können positiv oder negativ sein. So denken etwa viele Menschen, die häufig grübeln, ohne sich darüber bewusst zu sein: „Ich muss jetzt nachdenken, sonst übersehe ich ein wichtiges Detail.“ Oder: „Wenn ich darüber nachdenke, tue ich wenigstens ein bisschen was, um das Problem zu lösen.“ All das sind positive Metakognitionen, die das Grübeln einladen und verstärken.

Oft folgen darauf – wenn man erst mal eine halbe Stunde gegrübelt hat – die negativen Metakognitionen. Menschen denken dann: „Diese blöde Grübelei, jetzt will ich aufhören und weiß nicht wie.“ Oder sie fragen sich wie die schlaflose Jana Meinert, warum sie immer über alles grübeln müssen. Auch wenn all das nur begleitende Gedanken sind und mit dem Inhalt der Sorgen – beispielsweise um ein krankes Familienmitglied oder einen Konflikt am Arbeitsplatz – gar nichts zu tun haben: Positive und negative Metakognitionen tragen gleichermaßen dazu bei, dass sich Grübelschleifen verstärken.

Es lohnt laut Tobias Teismann deshalb sehr, sich statt der konkreten Inhalte der Sorgen erst einmal die Metakognitionen anzuschauen und sich bewusstzumachen, wie sehr diese ins „Immer-noch-mehr-Denken“ führen. Der Vorteil: Metakognitionen – wie zum Beispiel „Denken ist hilfreich“ oder „Warum grübele ich nur immer so viel?“ – kann man leichter stoppen und loslassen als inhaltliche Sorgen. Lässt man sie weg oder verändert seine Einstellung etwa in „Grübeln bringt eh nichts“, verlangsamen sich Sorgenschleifen. Nach dem Bochumer Training gaben die Teilnehmer jedenfalls an, ihr Grübeln besser kontrollieren zu können als vorher.

Hormonelles Ungleichgewicht

Doch die Beruhigung von Gedanken oder die Fähigkeit, Sorgen oder Befürchtungen vorbeiziehen zu lassen und nicht weiter zu beachten, gelingt meist nicht ohne weitere Hilfsmittel: Um die eigenen Gedanken mit Abstand zu betrachten, gelten heute Techniken aus der Achtsamkeitsmeditation als Mittel der Wahl, zum Beispiel Atem- oder Yogaübungen, die nachweislich dazu beitragen, dass man den eigenen Gefühlen nicht mehr so hilflos ausgeliefert ist. Einige sehr praktische Übungen zur Lenkung der Aufmerksamkeit finden Sie auf Seite 25.

Dass es bei Sorgenschleifen und hoher geistiger Aktivität generell gut sein kann, sich Achtsamkeits- und Entspannungsübungen anzueignen, liegt auf der Hand. Denn einer der zentralen Katalysatoren für eine Neigung zum Grübeln ist Stress. Der Medizinprofessor Tobias Esch von der Universität Witten/Herdecke beschreibt in einem Übersichtsartikel, dass ein chronisch erhöhter Stresshormonspiegel im Blut dazu führt, dass Menschen einen Tunnelblick entwickeln, sorgenvolle Gedanken aufgreifen und festhalten, andere Menschen eher als Gegner einstufen und kognitiv überaktiv, aber nicht produktiv sind.

Er selbst hat mit seinem Team Studien durchgeführt, die belegen, dass Meditation wie auch Atemübungen dazu beitragen können, dass der Kortisolspiegel im Blut sinkt und Geist und Körper zur Ruhe kommen. Zum Teil ist es also auch ein hormonelles Ungleichgewicht, ausgelöst durch zu viel Stress, das die Grübelneigung extrem verstärkt.

Mit Yoga und Spazieren

Auch der Psychotherapeut Andreas Knuf rät Patienten, die viel mit Gedankenschleifen zu tun haben, Tempo aus dem Leben zu nehmen. Obwohl er selbst Achtsamkeitstrainer ist und auch als Ausbilder in dem Bereich arbeitet, ist Knuf der Meinung, dass es nicht ausreicht, ein paar Meditationsübungen in den Alltag einzubauen. Eher sei es wichtig, sich grundsätzlich mehr stille Momente und Zeiten ohne Termine zu gönnen. „Es geht darum, etwas für sich selbst zu tun, sich nicht permanent zu fordern“, sagt Knuf. Erst dann entsteht ein Geistes- und Gemütszustand, in dem man belastende Gedanken loslassen kann.

Viele Alltagsgrübler profitieren davon. So auch Jana Meinert. Nachdem sie angefangen hatte, mehr über das Thema Grübeln zu lesen und zu reflektieren, stellte sie fest, dass die quälenden Gedanken zugenommen hatten, seit sie Mutter ist – und hektisch versucht, Beruf und Familie unter einen zu Hut kriegen. Als einen ersten Schritt zu mehr Ruhe im Kopf besuchte sie ein Seminar für einen gesünderen Umgang mit Stress.

Daraufhin fing sie an, einmal in der Woche nachmittags am Rhein spazieren zu gehen. Außerdem macht sie täglich einige Yogaübungen, die ihr helfen, sich etwas fokussierter und ruhiger zu fühlen. Eine leichte Linderung des Grübelns spürte sie bereits nach wenigen Wochen: Sie stieg nicht mehr ganz so tief in die Sorgenschleifen ein und erkannte früher, wenn sie sich in einen Gedanken verbiss. Ein entscheidender Schritt.

Kritiker, Pleaser, Antreiber

Es dürfte allerdings auch lohnend sein, sich einmal zu fragen, was einen persönlich dazu bewegt, sich permanent Gedanken und Sorgen zu machen. „Innere psychische Prozesse können die Neigung zum Grübeln verstärken“, sagt Psychotherapeut Andreas Knuf. Bestimmte familiäre Prägungen, Einstellungen oder Glaubenssätze führen dazu, dass man sich schnell Sorgen macht. Um herauszufinden, wo die tieferen Gründe für die Neigung zum Grübeln liegen, arbeitet Andreas Knuf mit seinen Klienten oft mit „inneren Anteilen“, zum Beispiel dem „Kritiker“, dem „Pleaser“ und dem „Antreiber“.

All diese Stimmen tragen dazu bei, dass sich geistige Aktivität beschleunigt und Menschen sich zu viele Sorgen machen. Wer etwa einen starken inneren Kritiker hat, hinterfragt das eigene Handeln permanent, prüft, ob man etwas falsch gemacht und beim nächsten Mal besser machen könnte. Der „Antreiber“ dagegen produziert vor allem Stress, Hektik und ­Kopflosigkeit – und schafft damit den Nährboden für Tunnelblick und Gedanken in Endlosschleife.

Hab ich was Blödes gesagt?

Der „Pleaser“ möchte anderen Menschen gefallen und neigt deshalb dazu, Gespräche und Begegnungen im Alltag, im Beruf oder auch auf Partys danach abzuscannen, ob man etwas Blödes gesagt oder sich blamiert hat. „Es hilft, diese Stimmen, die das Grübeln befeuern, einmal sichtbar zu machen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen“, sagt Knuf. In Psychotherapien können Klienten beispielsweise ganz praktisch in die Rolle solcher innerer Stimmen schlüpfen.

Dadurch werden diese greifbar, man nimmt ihren starken Einfluss deutlicher wahr, kann aber auch mit ihnen in Kontakt gehen, ihren Argumenten etwas entgegensetzen, sie beruhigen und trösten. Diese Technik – die in der Grundform auf den während der 1970er Jahre entwickelten Voice Dialogue zurückgeht – hilft sehr, psychische Mechanismen sichtbar zu machen und auf Dauer zu verändern.

Jana Meinert hat im Stresstraining beispielsweise festgestellt, dass der innere Pleaser bei ihr stark ausgeprägt ist. Viele ihrer Befürchtungen drehen sich letztlich darum, dass ihr Mann, ihre Freundin, ihre Chefin oder ihre Nachbarn sie ablehnen oder sie für unfähig halten könnten. Sie sieht ihr inneres Muster nun mit etwas mehr Abstand und merkt, dass sich die Schlagzahl ihrer Sorgen auch dadurch etwas verringert hat.

Die Illusion von Kontrolle und Beruhigung

Doch nicht immer ist das Gefühl, im Kopf freier, ruhiger oder weniger beschäftigt zu sein, automatisch angenehm. Denn wenn Menschen anfangen, sich mit dem Grübeln zu beschäftigen, merken viele, dass das permanente Sich-Gedanken-Machen eine Funktion hat: Im Kopf statt in der Gegenwart zu sein hilft auch, sich von Schmerz und unangenehmen Gefühlen abzulenken. „Wer genauer darauf achtet, wie sich Sorgen entwickeln, entdeckt häufig, dass erst eine unangenehme Emotion da ist, etwa Traurigkeit, Wut oder Angst“, erklärt Andreas Knuf. „Dann verschiebt man diese Aktivität in den Kopf, rationalisiert, fängt an nachzudenken und lenkt sich von seinen Emotionen ab.“

Andreas Knuf ist sich sicher, dass es notorischen Grüblern deshalb hilft, wenn sie lernen, auch unangenehme oder schwer einzuordnende Emotionen zu spüren und auszuhalten. Wenn beispielsweise ein Mann sich um seine alte Mutter sorgt, die krank ist und bald sterben wird, könnte er versuchen, das Gefühl von Traurigkeit zuzulassen und sich ihm zu stellen, bis es nachlässt.

Er könnte aber auch über vermeintliche Lösungsmöglichkeiten nachdenken, ein Gespräch mit der betreuenden Ärztin planen, sich vornehmen, die Mutter häufiger zu besuchen, und sich Vorwürfe machen, dass er nicht genug Zeit für sie hat. Dann tauscht er seine Gefühle gegen Grübeleien und Geschäftigkeit ein. Kurzfristig verscheucht das den Schmerz. Langfristig ist das permanente Grübeln aber oft sehr viel belastender.

Die trügerische Beruhigung

Dass man Sorgenschleifen loslässt, bedeutet also oft auch, dass man Unruhe, Ratlosigkeit oder unangenehme Emotionen in sein Leben lässt. Dieser Aspekt wird oft vergessen. Wie wichtig es ist, auch die Beruhigung, die das Grübeln kurzzeitig auslöst, in Therapieprozesse einzubeziehen, zeigt ein Fachbuch des schwedischen Verhaltenstherapeuten Olle Wadström.

Er stellt dort ein Verfahren vor, in dem Patienten einerseits versuchen, aufkommende „beunruhigende Gedanken“ nicht weiter zu beachten. Gleichzeitig verzichten die Patienten aber auch auf alle Beruhigungs- und Trostgedanken, die oft mit dem Grübeln einhergehen. „Grübeln ist wie ein innerer Dialog“, erklärt Wadström. „Sorgengedanken“ und „Trostgedanken“ bedingen einander und schaukeln sich auf.

So ist beispielsweise ein sorgenvoller Gedanke wie „Bin ich hässlich?“ oder „Werde ich im Job versagen?“ typischerweise immer von Beruhigungsgedanken begleitet wie „Andere sehen schlechter aus“ oder „Es wird schon alles gutgehen im Beruf“.

Ansprechen und nichr beruhigen

Schwedische Forscher konnten bereits 2008 nachweisen, dass vor allem die Beruhigungsgedanken das Grübeln aufrechterhalten – weil sie vermeintlich guttun und kurzfristig Erleichterung verschaffen. Um das Gedankenmuster zu durchbrechen, ist es deshalb umso wichtiger, Sorgengedanken und Beruhigungsgedanken gleichermaßen loszulassen. Dann macht sich möglicherweise erst einmal Angst breit – doch wenn man diesen Zustand einige Tage aushält, wird das Grübeln deutlich weniger, das System erhält kein Futter mehr. Sehr viele Menschen überstehen diese Durststrecke, sobald ihnen die Zusammenhänge klarer geworden sind.

Die Mechanismen sind übrigens auch für Partner von „Grübelkandidaten“ wichtig. Häufig übernehmen sie nämlich den Beruhigungspart und versichern dem Grübler immer wieder, dass er sich keine Sorgen machen soll. Doch mit diesen gut gemeinten Beschwichtigungen hält man das Sorgensystem mit aufrecht. Es reicht, wenn Partner einen liebevollen Kommentar abgeben, zum Beispiel: „Ist die Sorgenmaschine mal wieder angestellt?“ Dann benennt man die Grübelei als das, was sie ist – überflüssige und redundante Gedankenproduktion –, steigt aber nicht in das Pingpongspiel aus Sorge und Beschwichtigung ein.

Ab wann in therapeutische Behandlung?

Grübeln und ständige Sorgen sind eine innere Qual. Eine psychische Störung im klinischen Sinne sind sie meist nicht. Dennoch kann Grübeln manchmal ein Zeichen für eine Depression oder eine generalisierte Angststörung sein. Bei der Frage, ob man sich mit einer Grübelneigung in therapeutische Behandlung begeben sollte, spielt für den Bochumer Verhaltenstherapeuten Tobias Teismann vor allem der individuelle Leidensdruck eine Rolle: „Wenn man es kaum mehr aushält, der Alltag nicht mehr lebenswert ist, weil man mehrere Stunden am Tag mit Nachdenken verbringt, ist das ein Alarmzeichen.“

Nicht zuletzt, weil es auch eine Wechselwirkung zwischen Depressionen und Ängsten und dem Grübeln gibt. Das heißt: Grübeln ist laut verschiedenen Studien nicht nur ein Symptom, sondern kann Ängste und Depressionen verstärken oder sogar auslösen. Wer das Gefühl hat, für eine solche Dynamik anfällig zu sein, oder wer schon einmal depressive Episoden erlebt hat, sollte sich besonders sorgsam darum kümmern, die mentale Aktivität nicht überhandnehmen zu lassen.

Für Jana Meinert hat sich allein durch einen veränderten Umgang mit Stress und einen achtsameren Alltag viel verändert. In ihrem Kopf ist heute deutlich weniger los. Wenn sie nachts aufwacht, steigt sie nicht mehr so stark in die immergleichen Grübeleien ein. Ein nachdenklicher Typ bleibt sie trotzdem – nur dass diese Neigung ihr jetzt weniger Kopfzerbrechen macht.

Wo Nachdenken aufhört

In der klinischen Psychologie werden verschiedene geistige Aktivitäten unterschieden. Man kann leicht prüfen, ob man noch produktiv nachdenkt – oder bereits ins unproduktive Grübeln abgleitet.

Nachdenken: Wer bei einem Problem oder einer Fragestellung zuallererst nach dem „Wie?“ fragt, also danach, wie man es praktisch angehen, lösen und verändern kann, der durchdenkt einen Sachverhalt lösungsorientiert und grübelt nicht. Hier gilt allerdings die „Zwei-Minuten-Regel“: Wer nach zwei Minuten Nachdenken über ein Problem nicht zu einem ersten Lösungsansatz gekommen ist und weiter darauf herumkaut, läuft Gefahr, ins Grübeln zu geraten.

Grübeln: In den Gedanken­schleifen geht es inhalt­lich oft um die Frage „Warum?“. Es werden Ereignisse aus der Vergangenheit durchdacht oder man fragt sich: „Warum bin ich betroffen und andere nicht?“ Diese Blickrichtung führt leicht zu Niedergeschla­genheit und dem Gefühl von Machtlosigkeit. In der klinischen Psychologie ist Grübeln mit De­pression assoziiert.

Sorgen: Fragen nach dem „Was wäre, wenn…?“ führen meist zu weitreichenden Katastrophenfantasien und Befürchtungen, die Zukünftiges betreffen. Wer sich sorgt, fühlt sich oft unruhig und verunsichert. In der klinischen Psychologie dagegen ist Sorgen mehr mit Angst assoziiert, etwa mit der generalisierten Angststörung. Auch wenn Grübeln und Sorgen oft in einem Atemzug genannt werden, gibt es inzwischen nicht wenige Forscher, die die beiden Prozesse stärker voneinander trennen wollen.

Quellen

Eni Becker, Jürgen Margraf: Vor lauter Sorgen… Selbsthilfe bei Generalisierter Angststörung. Beltz, Weinheim 2017

Tobias Esch: Die neuronale Basis von Meditation und Achtsamkeit. Sucht, 60/1, 2014, 21–28. DOI: 10.1024/0939-5911.a000288

Matthew A. Killingsworth u.a.: A wandering mind is an unhappy mind. Science, 330/6006, 2010. DOI: 10.1126/science.1192439

Andreas Knuf: Ruhe da oben! Der Weg zu einem gelassenen Geist. Arbor, Freiburg 2010

Sonja Lyubomirsky u.a.: Effects of ruminative and distracting responses to depressed mood on retrieval of autobiographical memories. Journal of Personality and Social Psychology, 75/1, 166–177. DOI: 10.1037/0022-3514.75.1.166

Petra Meibert: Der Weg aus dem Grübelkarussell: Achtsamkeitstraining bei Depression, Ängsten und negativen Selbstgesprächen. Das MBCT-Buch. Kösel, München 2014

Tobias Teismann: Grübeln. Wie Denkschleifen entstehen und wie man sie löst. Balance, Köln 2018

Olle Wadström: Kopfzerbrechen. Wenn das Grübeln zur Belastung wird. Junfermann, Paderborn 2019

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 3/2020: Ruhe im Kopf