Der Nase nach

​ Warum wir gut beraten sind, wenn wir uns öfter auf unseren Geruchssinn verlassen, zeigen Bettina M. Pause und Shirley Michaela Seul. ​

Der Mensch ist ein Nasentier. Der Geruchssinn ist der älteste Sinn in der Evolutionsgeschichte. „Schon die Einzeller besitzen Rezeptoren, die auf chemische Stoffe, Moleküle der Umwelt reagieren“, so Bettina Pause, Professorin für biologische Psychologie, die sich selbstbewusst und mit ironischem Unterton als das „weltweit führende Nasentier in der biologischen und der Sozialpsychologie“ bezeichnet.

Auf den verschiedenen Evolutionsstufen könne man eine stetige Verbesserung der Geruchswahrnehmung feststellen. Ohne Geruch gebe es keinen Fortschritt. „Ich vermute, dass der Homo sapiens so erfolgreich war, weil er so gut riechen kann.“

Bettina Pause beleuchtet die Evolutionsgeschichte, aber auch die Philosophie und die aktuelle Wissenschaft. Wir erfahren etwa, wie Geruch und Gefühle zusammenhängen oder wie geruchliche Informationen im Gehirn verarbeitet werden.

Die meisten Philosophen hätten den Geruchssinn als minderwertig, sogar verachtenswürdig eingestuft. Obwohl er eine fundamentale Bedeutung für die Menschen habe, werde er bis heute in der Wissenschaft zu wenig gewürdigt. Zwei große Fürsprecher waren Sigmund Freud und Herbert Marcuse. „Die beiden waren sich einig, dass der Geruch wichtig sei, für Freud allerdings hauptsächlich bei den Tieren.“ Dabei sei der Mensch mit einem extrem leistungsfähigen Riechzentrum ausgestattet – was uns allerdings nicht bewusst sei.

Der unbestechliche Geruch

Wir könnten eine Billion Gerüche unterscheiden, aber nur fünf Millionen Farben. „Wenn wir auf andere Menschen treffen, wechseln wir nicht nur Worte und Blicke, über den Geruchssinn tauschen wir zahlreiche Informationen aus.“ Es sei nicht die Vernunft oder die Intelligenz, die den Menschen zum Menschen mache, sondern das Bauchgefühl – „und das beginnt in der Nase“. Wir reagierten unbewusst auf eine Unzahl von Reizen, die uns wichtige Informationen über unser Gegenüber vermittelten. Wenn wir unserem Bauchgefühl folgten, könnten wir unsere Einsamkeit überwinden und würden „zu einem neuen Verständnis von Intelligenz und Glück gelangen“.

Denn der Zusammenhang von Geruch und Gefühl sei grundlegend. „Was wir fühlen, findet eine Entsprechung in der chemischen Zusammensetzung des Duftes, den wir verströmen.“ Ein Lächeln könne falsch sein, ein Tonfall gespielt sein, der Geruch sei unbestechlich. „Die Nase ist ehrlich.“ Riechen sei die Grundform des Fühlens. Und deshalb spiele die Nase bei der Liebe, aber auch bei Angstgefühlen oder der Depression eine wichtige Rolle. Bei Menschen mit Depression und bei Menschen, die sich hilflos fühlten, gebe es Leistungsminderungen bei der Geruchsverarbeitung. Dass Angst ansteckend ist, hätten viele Menschen schon erfahren – dass Angstgefühle über den Geruch vermittelt werden, sei noch weithin unbekannt.

Das faktenreich und unterhaltsam geschriebene Buch richtet sich an Laien. Es werden nicht alle Aspekte der Geruchsforschung thematisiert, aber die Leser erhalten einen Überblick über Geruchs- und Wahrnehmungswelten, die uns bisher weitgehend verschlossen waren.

Bettina M. Pause und Shirley Michaela Seul: Alles Geruchssache. Wie unsere Nase steuert, was wir wollen und wen wir lieben. Piper, München 2020, 272 S., € 20,–

Artikel zum Thema
Hat Riechen etwas mit Ängsten, Depressionen und Krankheiten zu tun? Dieser Frage widmen sich drei Autorinnen im Buch über Gerüche, die heilen.
Welches Parfüm wir bevorzugen, hängt mit unserem Immunsystem zusammen. Der richtige Duft kann das Gedächtnis verbessern und Stress senken.
Man schont den Besitz, aber es hilft ja nichts: Irgendwann ist der Lack ab oder ein Sprung drin und etwas Neues muss her, oder?
Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 11/2020: ​Toxische Beziehung
Anzeige
Psychologie Heute Compact 79: Das Leben aufräumen