​ Knapp und begehrt ​

Beim Einkaufen spielt die Umgebung eine wichtige Rolle: Sie kann beeinflussen, was in unserem Einkaufswagen landet. Über die Psychologie des Supermarktes.

Ein Einkaufswagen steht verlassen in einer Tiefgarage
Mit dem Besuch eines Supermarkts werden alle Sinne angeregt – nicht nur das Sehen. ©

Der Besuch im Supermarkt ist für uns alltäglich, und doch passiert uns manches immer wieder. Wie oft haben wir schon mehr gekauft als geplant? Wie häufig ungesunde Sachen? Dagegen hilft, sich zu beobachten.

Eine typische Einkaufssituation ist nach Feierabend. Es war ein anstrengender Tag, eigentlich freuen wir uns auf Zuhause. Das ist schon ein erster Faktor beim „zu viel Kaufen“: Unsere Entscheidungen werden impulsiver, wenn wir erschöpft sind. Ein Gegenmittel ist ein Einkaufszettel. Normalerweise…

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wenn wir erschöpft sind. Ein Gegenmittel ist ein Einkaufszettel. Normalerweise disziplinieren wir uns mehr, wenn wir eine Liste abarbeiten, und wir sind weniger ablenkbar, wenn wir ein Ziel verfolgen. In einer berühmten Studie etwa bemerkten Probanden nicht einmal, dass ein Gorilla durch das Bild lief, während zwei Teams Basketball spielten, so sehr waren sie damit beschäftigt, die Pässe der Mannschaften zu zählen. Wenn wir also wirklich fokussiert durch den Supermarkt laufen, haben die Gorillas dort – die großen Displays, Verkaufsstände, Sonderangebote – weniger Chancen, uns aufzufallen.

Wichtig ist, bis zum Schluss durchzuhalten: Viele Menschen belohnen sich gern, nachdem sie sich zuvor so fein an ihren Plan gehalten haben, indem sie sich am Ende doch noch eine Menge unnötiger Kleinigkeiten gönnen. Das Gleiche ist beobachtbar, wenn wir gesunde oder nachhaltige Produkte kaufen: Jede Art von „moralischem Verhalten“ verstärkt unser Gefühl, an anderer Stelle zu einem weniger mo­ralischen oder vernünftigen Verhalten berechtigt zu sein.

Ein Besuch für alle Sinne

Wenn wir den Supermarkt betreten, haben wir meist auch eine Vorstellung davon, wie lange wir bleiben wollen. Daher bewegen wir uns beim Einkauf unterschiedlich, je nachdem wie viel von unserem Zeitbudget schon aufgebraucht ist. Je länger wir im Markt sind, desto zielstrebiger werden wir. Auch aus diesem Grund steigt gegen Ende des Einkaufs das Risiko für unnütze oder ungesunde Käufe – die letzten Kaufentscheidungen fallen auch unter Zeitdruck und mit weniger Überlegung.

In vielen Supermärkten wird Musik gespielt. Ist sie langsam, verweilen wir meist länger. Auch Instrumentalmusik ist günstig, da sie uns weniger ablenkt als Gesang. Aber meistens wirkt Musik in Kombination mit anderen Dingen. Weihnachtsmusik etwa erinnert uns an die Regel: Jetzt ist es Zeit, Geschenke zu kaufen. Das funktioniert aber nur, wenn sich das Fest wirklich nähert und die Erinnerung sich in der Wirklichkeit bestätigt. Duft kann Ähnliches auslösen, ein Zitrusgeruch etwa ein Bedürfnis nach Sauberkeit und die Absicht zu putzen. Doch Düfte können auch die Stimmung verbessern und Konsumwünsche wecken, etwa wenn es vor der Backtheke nach frischen Brötchen duftet.

Beim Stöbern bleibt unser Blick mal an diesem, mal an jenem Angebot hängen. Meistens bemerken wir nicht, dass wir die Marke, die wir wählen, umso häufiger und länger betrachten, je länger wir vor dem Regal stehen. Das liegt nicht nur daran, dass wir bevorzugt das anschauen, was wir ohnehin besser finden. Wir finden auch umgekehrt das besser, was wir häufiger ansehen. Dieser Prozess schaukelt sich hoch, man spricht von einer regelrechten „Blickkaskade“. Deren Richtung können Hersteller und Supermarkt manipulieren: durch die Platzierung im Regal, farbige, helle oder glänzende Verpackungen – was immer den Blick auf sich zieht.

Möglichst viele hinter uns

Ebenso ziehen leere Regale die Blicke auf sich. Sie wirken auf zwei Weisen verkaufsfördernd: Sie zeigen an, was gerade knapp ist, und wir sind immer leicht zu motivieren, uns eine knappe Ressource zu sichern. Und sie liefern einen Hinweis darauf, was andere begehren – und wir deshalb vielleicht auch haben sollten. Das zeigt uns auch großes Gedränge, doch unsere Kauflust würde dabei eher sinken: Beim Einkaufen sind wir zwar meist von vielen Menschen umgeben, an Kontakt sind wir jedoch weniger interessiert. Wenn wir nicht gerade Bekannte treffen, gehen wir anderen eher aus dem Weg. Wenn es dann noch zu ungewolltem Körperkontakt, einer beiläufigen Berührung kommt, sinkt unsere Kaufbereitschaft weiter, und wir gehen eher.

Die Tatsache, dass andere in großer Zahl ein bestimmtes Produkt kaufen, macht dieses aber nicht automatisch attraktiver. Das gilt besonders bei Dingen, wo exklusiver Geschmack gefragt ist, etwa bei Wein. Übrigens auch ein gutes Beispiel dafür, dass wir häufig vom Preis auf die Qualität schließen: Die meisten Menschen können einen Wein nicht einzig anhand der Angaben auf dem Etikett beurteilen. In solchen Fällen neigen wir dazu, mittlere Preiskategorien zu wählen. Was allerdings ein mittlerer Preis ist, kann der Supermarkt prima selbst bestimmen – indem er neben ein teures Produkt ein noch teureres stellt. Die Entscheidung für das teure Produkt erscheint uns damit wie ein vernünftiger Kompromiss.

Und einen weiteren Effekt kann man am Weinregal gut bei sich beobachten: Was wir einmal in der Hand hatten, fühlt sich immer ein bißchen an wie ein Besitz. Es wieder wegzulegen ist psychologisch nicht so wie ein Kauf, den man nicht getätigt hat, es ist eher wie etwas, das man verliert – und Verluste schmerzen uns mehr als entgangene Gewinne.

An der Kasse werden die Menschen um uns herum erneut zum Bezugspunkt. Sieben Wagen noch – das klingt viel! Wie wir uns beim Warten fühlen, hängt aber stärker davon ab, wie viele nach uns folgen. Solange es von denen genug gibt, ist alles nicht so schlimm. Es kommt eben in vielen Lebenslagen darauf an, dass es andere gibt, denen es noch schlechter geht als einem selbst.

Prof. Dr. Georg Felser hat in Trier Psychologie und Philosophie studiert. Seit 2001 ist er Hochschullehrer für Markt- und Konsumpsychologie an der Hochschule Harz in Wernigerode. 1997 erschien sein Lehrbuch Werbe- und Konsumentenpsychologie, das mittlerweile in der vierten Auflage erhältlich ist

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Georg Felser: Werbe- und Konsumentenpsychologie. Springer, Heidelberg 2015

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 6/2021: Menschen verstehen wie die Profis