Was sehen Sie hier, Bernd Loebe?

Ein Bild, zwei Fragen: Was sucht die junge Frau in diesen Akten? Der Frankfurter Opernintendant Bernd Loebe deutet die Szene.

Was assoziiert Bernd Loebe mit dieser Szene? ©

„Eine Frau zeigt ihre Überlegenheit. Nicht nur indem sie meint: ‚Bis hierher und nicht weiter!‘, gebiert die kühle Selbstversicherung das Abstecken von Grenzen. Es ist keine Überlegenheit zum Selbstzweck. Voraus ging der Versuch, in einmütiger Zweisamkeit das gemeinsame Leben mit ihrem Freund zu gestalten. Der Griff zu den Akten ist eine Metapher: Ihr Innenleben, ihre Gedankenwelt sind nun geordnet und bereit, dem Verstand zu folgen.

Die Vergangenheit ist bewältigt, strukturiert, eingeordnet als Basis für ein neues Leben mit weniger Chaos, weniger Dominanz des Emotionalen. Dieses neue Leben mag per se etwas unaufgeregter sein, etwas langweiliger, umso mehr ist es angstbefreit. Dieses angstfreie Leben wird als besondere, lange ungekannte Variante des eigenen Lebens empfunden.

Der Blick der Frau verheißt auch Drohung. Die Drohung vor erneuter Belästigung, vor neuen Unterdrückungs­versuchen. Ihre eigene Emanzipation empfindet sie allerdings als Waffe für die Zukunft. Im nächsten Schritt auf der Suche, mit dem Finden einer gefühlten Freiheit wird das Lächeln zurückkehren.“

Was könnte Ihre Bildbeschreibung mit Ihnen persönlich zu tun haben?

„Der Hang zum Aufheben, Einordnen, zum Verstehen durch Niederschreiben war mein Leben lang sehr ausgeprägt. Selbst heute, umgeben von digitalem Blendwerk, hacke ich meine Theatererlebnisse in eine alte Olympia, brauche die Kraft des Einfalls auch für meine Ohren. Angsthaft ist mein Leben bis heute. Die Wurzeln hierfür liegen in meiner Kindheit und Jugend.“

Bernd Loebe ist seit 2002 Intendant und seit 2010 Geschäftsführer der seither vielfach ausgezeichneten Oper Frankfurt. Eine der nächsten Premieren ist am 20. Februar Gioachino Rossinis ­Bianca e Falliero unter der musikalischen Leitung von Giuliano Carella und der Regie von Tilmann Köhler (oper-frankfurt.de).

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