Die eigene Stimme finden
Die Psychologie hat einen neuen Persönlichkeitstyp ausgemacht: Echoistinnen und Echoisten sind gerne für andere da, wollen partout nicht im Mittelpunkt stehen – und landen leicht mal bei Partnern mit narzisstischen Neigungen
Sandy, eine Verwaltungsassistentin in einer Biotechfirma, hat im letzten Jahr unermüdlich geackert. Der Einsatz der 28-Jährigen ist ihrem Chef nicht entgangen. Er plant eine Büroparty, auf der sie eine Mitarbeiterin-des-Jahres-Auszeichnung erhalten soll.…
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unglücklich darüber. Sie hat noch nie gemocht, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen.
Und die Feier soll auch noch an ihrem Geburtstag stattfinden! Die Vorstellung, von ihren Kolleginnen und Kollegen Glückwünsche und Dankesworte entgegennehmen zu müssen, beschert ihr Schweißausbrüche. Der jungen Frau ist das Ganze so unangenehm, dass sie ihren ganzen Mut zusammennimmt und den Chef wissen lässt, wie unbehaglich und ängstlich sie sich fühlt. Und so wird die Feier abgesagt.
Sandy, die in Wirklichkeit nicht Sandy heißt, war eine der Patientinnen des US-amerikanischen Psychotherapeuten Craig Malkin. Malkin nennt Sandy eine „Echoistin“. Er hat diesen Persönlichkeitstyp (siehe Seite 16) wissenschaftlich untersucht.
Die meisten Leute spüren einen kleinen Auftrieb, wenn sie für ihre Leistungen gelobt werden und eine Zeitlang im Rampenlicht stehen. Doch „für echoistische Personen kann selbst positive Aufmerksamkeit furchterregend sein“, schreibt Malkin. „Sie sind davon überzeugt, dass man am sichersten lebt, wenn man nicht hervorsticht.“
Gegenstück zu Narzissten
Echoistische Menschen wie Sandy hassen es, wenn ihnen etwa auf einer Party jemand lauthals ein Kompliment macht und alle sie dann anschauen. Sie haben immer ein offenes Ohr für die Sorgen anderer, aber sprechen ungern über ihre eigenen Probleme. Sie haben Angst davor, etwas Besonderes zu sein, anderen zur Last zu fallen oder als egozentrisch zu erscheinen. Und weil sie lieber anhimmeln als angehimmelt werden, zieht es manche von ihnen zu narzisstischen Partnerinnen oder Freunden hin.
Als Persönlichkeitstyp sind echoistische das Gegenstück zu narzisstischen Charakteren, und tatsächlich gehen beide auf dieselbe Sage zurück: In der griechischen Mythologie ist Echo eine Nymphe, die aufgrund eines Fluches keine eigenen Gedanken zu äußern vermag. Sie kann buchstäblich nur das wiederholen, was der von ihr geliebte Narziss sagt (der aber seinerseits nur sich selbst liebt).
Der Begriff Echoismus wurde 2005 vom amerikanischen Psychoanalytiker Dean Davis geprägt. Bücher von Craig Malkin sowie der englischen Psychotherapeutin Donna Savery haben das Konzept bekannter gemacht. In Großbritannien ist bereits eine Selbsthilfeorganisation für Menschen entstanden, die unter ihren echoistischen Tendenzen leiden.
Psychotherapeutin Savary hat über Jahre mit echoistischen Patienten in Einzel-, Paar- und Gruppentherapien gearbeitet und beschreibt sie als Menschen, denen es an einer eigenen Stimme (own voice) mangelt und die ein schwach ausgeprägtes Ich-Gefühl haben. „Sie sind oft still, unfähig dazu, Raum einzunehmen, und sie neigen dazu, sich den Wünschen anderer anzupassen.“
In seiner harmlosesten Form beinhalte der Echoismus eine Neigung zu Unterwürfigkeit, Schmeichelei und dem Verbergen eigener Gedanken und Wünsche. Im Extremfall könne er zur Pathologie werden, bei der eine Person ihre eigene Existenz und Handlungsmacht ganz aufgibt und sogar als Handlanger für andere auftritt.
Moderate Echoisten
Auch Craig Malkin unterstreicht, dass Echoismus in unterschiedlicher Ausprägung und Stärke auftreten kann. „Echoismus ist als trait, als ein Persönlichkeitsmerkmal zu verstehen. Und wie alle Eigenschaften existiert auch diese mehr oder weniger in jedem von uns und verursacht nur dann Schaden, wenn sie extrem wird.“ Moderate Echoistinnen und Echoisten seien oft besonders rücksichtsvoll, warmherzig und einfühlsam und würden als Menschen, die man um Rat und Unterstützung bittet, geschätzt.
Umgekehrt hingegen bitten echoistische Menschen andere nur selten um Rat, schließlich wollen sie sich niemandem mit ihren „unbedeutenden“ persönlichen Belangen aufdrängen. In diesem Einfühlungsvermögen sieht Malkin allerdings auch einen Schlüssel, extremen Echoismus zu überwinden – nämlich dann, wenn sie es sich selbst gegenüber zulassen: „Sobald sie dasselbe Mitgefühl und Verständnis für sich selbst entwickeln, kann ihre Gabe, Gefühle zu verstehen, nicht nur anderen Menschen, sondern auch ihnen selbst zugutekommen.“
Solange dies nicht geschieht, kann ausgeprägter Echoismus allerdings sehr nachteilige Folgen für die Betroffenen haben. Denn es mangelt ihnen an Selbstwertschätzung. So sind sie ängstlicher und depressiver als andere, wie Malkins Studien zeigen. Mehr noch: Sie leiden leise und suchen seltener Hilfe auf.
Manche lehnten Beziehungen sogar aktiv ab, erläutert der Psychologe, aus Angst, dass andere sie als Klette empfinden könnten, wenn sie ihnen zu nahe kommen. Durch diesen Teufelskreis des schamhaften Abstandhaltens gerieten echoistische Menschen manchmal in große Isolation.
Warum entwickeln sich manche Menschen zu Echoistinnen und Echoisten? Wie bei anderen komplexen Persönlichkeitseigenschaften auch, scheinen laut Malkin sowohl nature (also die genetischen Anlagen) als auch nurture (die Erziehung und Sozialisation) eine Rolle zu spielen. Vorläufige Ergebnisse von Studien, die er und andere durchgeführt haben, legten nahe, dass diese Menschen oft schon mit einer fragilen Natur geboren werden. Dies könne womöglich mit einer Neigung zu verstärkten Schuldgefühlen, Scham und Angst einhergehen – und der Neigung, sich lieber im Hintergrund zu halten.
Sich Zuneigung verdienen
Doch die genetische Veranlagung scheint nicht der entscheidende Faktor zu sein, meint Malkin. Mit genug Liebe und Unterstützung könne sich auch das zaghafteste Kind zu einem halbwegs selbstsicheren Erwachsenen entwickeln. Was einen letztlich in das abträgliche Terrain von Echoismus führe, sei ein Erziehungsstil, der wenig Sicherheit und Unterstützung zulässt. Um sich gesund zu entwickeln, bräuchten Kinder das Gefühl, dass man ihnen zuhört und sie getröstet werden, egal wie sie sich verhalten.
„Wenn Kinder dies nicht bekommen und die Erfahrung unsicherer Liebe machen, versuchen sie Zuneigung auf ungesunde Weise zu verdienen – und eine Art besteht darin, im Schatten bleiben.“ In diesem Sinne sei Echoismus als eine Art Überlebensstrategie zu verstehen, so Malkin.
In seinem Buch Der Narzissten-Test skizziert der Psychologe verschiedene häusliche Szenarien, in denen manche Kinder sich echoistische Verhaltensweisen aneignen.
Eltern, die ständig ängstlich, depressiv oder ärgerlich sind: Kinder von emotional fragilen Eltern lernen, dass der einzige Weg, sich Liebe zu verdienen, darin besteht, den Menschen um sie herum so wenig wie möglich zuzumuten: „Ich kann meine Eltern unmöglich um etwas bitten, sonst fangen sie an zu weinen oder zu schreien. Aber wenn ich nicht viel verlange, werden sie mich vielleicht lieben.“
Eltern, die ständig von ihrem Kind gelobt oder getröstet werden wollen: Man stelle sich eine narzisstische Mutter vor, die nur dann zufrieden erscheint, wenn sie von ihrer Tochter oder ihrem Sohn hört, dass sie besonders talentiert oder eine Supermama ist. „Solche Kinder lernen, jeden Wunsch der Eltern widerzuspiegeln und ihre eigenen emotionalen Bedürfnisse zu verstecken“, schreibt Malkin.
Eltern, die ihrem Kind signalisieren, dass es schändlich ist, in irgendeiner Weise besonders zu sein: In seinem Buch schildert Malkin das Beispiel seiner Klientin Jean, die als Kind bei ihren Eltern auf Schweigen und subtile Missbilligung stieß, sobald sie über einen schulischen Erfolg oder über ihren Traum, Tänzerin zu werden, sprach.
Von Natur aus sensible Kinder seien besonders gefährdet, zu echoistischen Schattengewächsen heranzuwachsen, erläutert Malkin. Aber auch Kinder ohne eine solche angeborene Überempfindlichkeit lernten in einer sehr abträglichen Umgebung, dass es sicherer sei, ihre emotionalen Bedürfnisse zu verstecken. Das komme beispielsweise häufig bei Kindern vor, die mit einem stark narzisstischen Elternteil groß werden.
Miteinander verbunden
Und es sind nicht nur die Eltern, die in einem Kind die Angst säen können, zu viel Raum zu beanspruchen, erläutert der Psychologe. Wenn Geschwister sich von dem besonders talentierten Bruder oder der leistungsstarken Schwester mit ihren guten Schulnoten bedroht fühlen, können sie abweisend oder grausam werden und den unliebsamen Konkurrenten wie einen Paria behandeln. Als Erwachsene fürchteten diese beneideten Kinder dann oft, von anderen für ihre Leistungen angegriffen zu werden, so Malkin, was zu Angst vor Erfolg und zu Selbstsabotage führen könne.
Wenn man sich mit Echoismus befasst, taucht unweigerlich sein Gegenstück, der Narzissmus auf. Echoisten haben nicht nur häufig narzisstische Eltern, sagen die Experten. Als Erwachsene fühlen sich manche von ihnen zu narzisstischen Menschen hingezogen – wie Echo in der Sage zu Narziss. Sie lassen sich immer wieder auf Freundschaften oder Partnerschaften mit äußerst selbstbezogenen Menschen ein, selbst wenn sie in diesen Beziehungen leiden.
Laut Malkin sind Echoisten und Narzissten aber noch auf eine grundsätzlichere Art miteinander verbunden, nämlich durch ihre ungesunde Weise, mit Selbstwerterhöhung umzugehen. Darunter verstehen Psychologen den Wunsch, mit sich im Grundsatz zufrieden zu sein und sich für wertvoll zu erachten.
Um dies zu erreichen, kann man etwa seine Schwachpunkte ausblenden oder sich insgeheim für etwas begabter oder leistungsstärker als andere halten. Diese Selbstüberschätzung und Selbstüberhöhung ist – in Maßen – ein ganz natürlicher, gesunder Drang, wie die Forschung zeigt. Diese Tendenz hilft einem dabei, Herausforderungen im Leben anzugehen oder trotz Misserfolgen weiterzumachen.
Echoistische Frauen, narzisstische Männer?
Es ist also bis zu einem gewissen Grad ganz hilfreich im Leben, sich selbst für etwas besser zu halten, als man tatsächlich ist. Echoistische und narzisstische Naturen sind da auf gegensätzliche Weise anders, so Malkin: Ausgeprägt echoistische Menschen meiden jede Form von Selbstwertverstärkung (mehr zum Selbstwert ab Seite 20). Sie deklarieren Erfolge als Zufall und wiegeln Lob ab: „So wichtig und toll bin ich wahrhaftig nicht!“
Narzisstische Typen dagegen drängt es ständig danach, sich besonders zu fühlen, und daher heben sie ihre Stärken und Errungenschaften übermäßig hervor. „Und so machen sich die einen später ständig klein, und die anderen blähen sich unablässig auf“, schreibt Malkin.
Gemeinsam mit anderen hat er eine Skala entwickelt, die anzeigt, wie stark echoistische beziehungsweise narzisstische Neigungen bei einem Menschen ausgeprägt sind. Die Narcissism Spectrum Scale reicht von 0 (extremer Echoist; keinerlei Neigung, sich besonders zu fühlen) bis zu 10 (extremer Narzisst; süchtig danach, herauszustechen). Ein Wert von 5 steht für die gesunde Mitte: Er beschreibt einen Menschen, der im Hintergrund bleibt, wenn es nötig ist, aber auch bei Bedarf die Bühne besteigen und Führungsrollen übernehmen kann. Auf Malkins Website findet sich die Kurzfassung des von ihm und Kollegen entwickelten Tests, mit der man seinen Wert grob bestimmen kann.
Eine Frage der Abgrenzung
Therapeutin Donna Savery bezweifelt, dass Narzissmus und Echoismus auf einem Spektrum liegen, also dass Echoismus tatsächlich nichts anderes als die vollständige Abwesenheit von Narzissmus ist. Sie plädiert stattdessen dafür, die Scheu, die eigene Stimme zu finden, als eigenständiges Phänomen zu sehen. Andere haben grundsätzlichere Zweifel.
Die amerikanische Psychologin und Narzissmusexpertin Ramani Durvasula, die an der California State University in Los Angeles lehrt, hält Echoismus zwar für ein interessantes Konzept, aber sie wünscht sich mehr Forschung, um ihn von anderen psychologischen Phänomenen abzugrenzen, etwa dem der abhängigen Persönlichkeitsstörung.
Auch Professor Stefan Röpke, Leiter des Bereichs Persönlichkeitsstörungen an der Charité in Berlin, sieht große Überschneidungen zu anderen Konzepten. Charakteristika wie die Angst, etwas Besonderes zu sein, niedriges Selbstwertgefühl oder das Unterdrücken von Bedürfnissen würden beispielsweise auch auf hypersensible, dependente, ängstlich vermeidende und chronisch depressive Menschen zutreffen.
Verfechter räumen ein, dass noch viel mehr Forschung nötig sei, um die Symptome, Folgen und Ursachen von Echoismus besser zu verstehen – zum Beispiel zu der Frage, ob sich Frauen eher echoistisch verhalten als Männer. Zwar kämen in der Tat mehr echoistische Frauen in die Therapie als Männer, sagt Savery. Da liegt es nahe, dies darauf zurückzuführen, dass Mädchen darauf sozialisiert werden, auf die Emotionen von anderen zu achten und die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen.
Doch es könnte auch sein, dass echoistische Männer einfach seltener therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, so Savery, beispielsweise aus Scham darüber, sich schwach und „nicht männlich“ zu fühlen. Malkin fand bislang keinen Hinweis darauf, dass Echoismus vom Geschlecht abhängig ist; so ergaben die Tests etwa die gleiche Quote echoistischer Frauen wie Männer.
Ob Mann oder Frau – was kann man tun, wenn man darunter leidet, dass man in seinem Leben ständig davor zurückschreckt, sich Gehör zu verschaffen? Ein erster Schritt bestehe darin, die Gewohnheit aufzugeben, sich ständig Vorwürfe zu machen, sagt Malkin. „Selbstbeschuldigungen dienen dazu, unsere Bedürfnisse kleiner und unsere Stimme leiser zu machen: Wenn ich mich selbst als das Problem sehe – zu bedürftig, zu empfindlich, zu nachtragend –, dann habe ich keinen Grund, wütend oder verletzt zu sein. Ich habe kein Recht, um irgendetwas zu bitten.“
Um Selbstvorwürfe im Zaum zu halten, könne man den Gedanken „Was habe ich falsch gemacht?“ durch Fragen ersetzen wie „Fühle ich mich enttäuscht?“ oder „Habe ich Angst, zu sagen, dass etwas nicht stimmt?“. Dieses Umschalten schaffe Raum, seine Bedürfnisse und Gefühle zu spüren.
Bedürfnisse spüren und wahrnehmen
Auch Donna Savery hält es für entscheidend, dass echoistische Menschen nichthilfreiche oder gar zerstörerische Gedanken erkennen, Gedanken, die sich gegen das Selbst richten. In echoistischen Köpfen gebe es fast immer eine innere Stimme, die kritisch und strafend sei und große Macht über das eigene Selbst zu haben scheine. „Es ist eine narzisstische Stimme, die man oft von einem narzisstischen Elternteil verinnerlicht hat.
Und sie warnt vor allem und versucht, alles zu unterminieren, was Wachstum ermöglichen könnte, beispielsweise gesunde Beziehungen, in denen die eigenen Bedürfnisse gehört und gefördert werden.“ Der Schlüssel für Echoisten bestehe darin, selbst wahrzunehmen, wenn eine Erfahrung gut ist, so Savery. „Sobald ein echoistischer Mensch in der Lage ist, die kritische Stimme von der eigenen sich entwickelnden Stimme zu unterscheiden, kann er ihre Autorität hinterfragen und anfangen, Entscheidungen zu treffen, die im eigenen Interesse liegen.“
Letztlich gehe es darum, seine Bedürfnisse nicht nur zu spüren, sondern sie auch auszudrücken, erläutert Craig Malkin. Dazu müsse man sich mit der Angst konfrontieren, dass man bestraft oder gar verlassen wird, wenn man Aufmerksamkeit auf sich zieht. Denn nur wenn man sich – trotz Furcht – dazu überwinde, sich selbst auch einmal in den Mittelpunkt zu stellen, könne man die Erfahrung machen, dass es Menschen gibt, die einen akzeptieren und sogar gerade dann besonders mögen, wenn man seine Gefühle und Wünsche äußert.
Je stiller John war, desto wütender wurde seine Frau
Dies erlebte beispielsweise einer von Malkins Klienten mit dem fiktiven Namen John. Der Literaturwissenschaftler konnte eigentlich fesselnd reden, aber er traute sich nicht einmal, in der Apotheke eine Frage zu stellen. Noch als erwachsener Mann wurde er von seiner Mutter ständig zurechtgewiesen, sobald er es wagte, Bedürfnisse oder Glücksgefühle zu äußern. So hatte er sich mit der Zeit vollkommen zurückgezogen. Dies überschattete nun auch seine Ehe: Je stiller John war, desto wütender und aggressiver wurde seine Frau. Immer sei sie diejenige, die etwa den Handwerker anrufen müsse. Ihre Kritik ließ John noch stiller werden.
Es war ein Teufelskreis: John gab der Welt keine Chance, und so bekam er auch keine positiven Rückmeldungen von anderen. Das änderte sich erst, als er begann, an seinen Ängsten zu arbeiten. Er zwang sich beispielsweise dazu, Verkäuferinnen freundlich zu grüßen und sogar ein kleines Gespräch anzufangen. Dies hob seine Stimmung, und so ging er mehr und mehr aus sich heraus.
Es begann ihm Spaß zu machen, sein kommunikatives Talent zur Geltung zu bringen. So merkte er, dass die Kassierer in den Läden, in denen er regelmäßig einkaufte, sich darauf freuten, mit ihm zu plaudern. „Erst wenn man aus dem Schatten tritt“, so Malkin, könne man herausfinden, ob die Menschen einem zuhören. „Und man stellt vielleicht fest: Sie tun es sogar gerne.“
Annette Schäfer
Zum Weiterlesen
Donna Christina Savery: Echoism. The Silenced Response to Narcissism. Routledge, Abingdon 2018
Craig Malkin: Der Narzissten-Test. DuMont, Köln 2016
Ramani Durvasula: Should I Stay or Should I Go? Surviving A Relationship with a Narcissist. Post Hill Press, New York 2015
Dean Davis: Echo in the Darkness. The Psychoanalytic Review, 92/1, 2005, 137–152
Echoismus erkennen
Derzeit gibt es keine offiziellen diagnostischen Kriterien, aber laut der Psychotherapeutin Donna Savery deutet es auf Echoismus hin, wenn bei einem Menschen vieles von dem Folgenden zutrifft:
Angst zu haben, eigene Gedanken oder Meinungen laut auszusprechen, und sich Vorwürfe zu machen, wenn man es doch tut
immer die Zustimmung von anderen einholen zu müssen oder das zu tun, was andere sagen, anstatt das zu tun, was sich richtig anfühlt; auch: nicht zu wissen, was sich richtig anfühlt
durch die Angst gelähmt zu sein, man werde andere verärgern, wenn man sie auf ihre unangemessenen Forderungen oder Verhaltensweisen aufmerksam macht
wiederholt Beziehungen mit narzisstischen Partnern oder Freunden einzugehen
unfähig zu sein, eine schädliche Beziehung zu einem Narzissten zu verlassen oder ihm Grenzen zu setzen
es als vertraut oder sogar angenehm zu empfinden, wenn man wegen eines Narzissten leidet
sich häufig defensiv oder vermeidend zu verhalten – vielleicht deshalb, weil die Eltern früher dem Kind häufig das Gefühl gaben, wie auf Eierschalen gehen zu müssen, um keine elterliche Reaktion und keinen Angriff auszulösen
nicht in der Lage zu sein, in einer Gruppe die Stimme zu erheben
oft übersehen oder ignoriert zu werden
sich ständig selbst Vorwürfe zu machen, sich selbst zu beschimpfen oder sich auf andere Weise zu verletzen
isoliert von anderen zu sein und keine förderlichen Beziehungen zu haben, die Raum für Wachstum, Entwicklung, gemeinsame Handlungsmacht und Verantwortung lassen
grausame oder sadistische Handlungen nach dem Willen eines anderen auszuführen, ohne dabei Verantwortungsgefühl zu verspüren; ein Handlanger zu sein, der sagt: „Ich habe es getan, weil X mir gesagt hat, ich solle…“
Ganz viel Wert
Noch nicht perfekt. Noch zu zaghaft. Noch nicht kreativ genug. Viele Menschen betrachten vor allem ihre Defizite. Doch der eigene Selbstwert lässt sich aktiv aufbauen. Er wächst durch tägliche Arbeit: an der Wertschätzung für uns selbst
Wie reagieren Sie, wenn Sie gelobt werden, weil Ihr letztes Projekt ein Erfolg war? Murmeln Sie zerknirscht: „Leider haben wir das Umsatzziel trotzdem knapp verfehlt. Das muss nächstes Mal besser werden“? Dann gehören Sie vielleicht auch zu denen, die wortreich darauf hinweisen, dass auf die Geburtstagstorte, die Sie gebacken haben, eigentlich noch Pistazien gehören, Sie aber leider beim Einkaufen das Wichtigste vergessen haben, weil Ihr Zeitmanagement mal wieder völlig aus dem Ruder gelaufen sei. Und der Auftritt Ihres Chors war toll, nur dummerweise haben Sie beim dritten Lied Ihren Einsatz verpatzt.
In diesem Fall könnte Ihr Selbstwert, also der Wert, den Sie sich zuschreiben, eine Vitalkur brauchen. Denn ein niedriger Selbstwert entmutigt, macht anfällig für depressive Verstimmungen. Mit einem magischen Trick allerdings lässt sich ein niedriger Selbstwert nicht – Abrakadabra – in einen hohen verwandeln. Wie jede Veränderung braucht auch die Arbeit am Selbstwert Entschlossenheit, Energie, Durchhaltevermögen und die Bereitschaft, sich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen.
Doch was genau ist der Selbstwert überhaupt? Und warum scheint er so zentral für die seelische Gesundheit? Für die Persönlichkeitspsychologin Astrid Schütz von der Universität Bamberg ist die Basis für den Selbstwert das Bild, das wir von uns haben. Sind wir mit uns insgesamt zufrieden? Können wir positiv auf unser Aussehen, den beruflichen Erfolg, unser soziales Leben, unsere Charaktereigenschaften, unser Handeln schauen?
Selbstwert gilt als eine Persönlichkeitseigenschaft, die situationsübergreifend und zeitlich relativ stabil ist. Gleichwohl kann der Selbstwert fluktuieren, bisweilen sogar heftig. Auch bei Menschen, die sich eher positiv einschätzen, kann er in den Keller rutschen, wenn sie beispielsweise einen beruflichen Misserfolg erleiden. Günstig ist ein stabiler Selbstwert – er muss nicht maximal hoch sein –, der gelegentliche Fehlschläge verkraftet.
Beeinträchtigte Lebensqualität
Der amerikanische Psychotherapeut Nathaniel Branden, der das Konzept Ende der 1960er Jahre populär machte, sprach von self-esteem, also Wertschätzung für sich selbst. Im Deutschen wurde das mit „Selbstwertgefühl“ übersetzt – ein Wort, das es bis in die Alltagssprache geschafft hat. Doch streng genommen besteht der Selbstwert nicht aus Gefühlen, sondern aus Bewertungen und Einschätzungen.
Allerdings beeinflusst die Art und Weise, wie wir uns bewerten, unser Gefühlsleben enorm. „Ein höherer und stabiler Selbstwert bringt Wohlbefinden und Selbstvertrauen. Ein niedriger Selbstwert beeinträchtigt die Lebensqualität. Menschen, die sich selbst schlecht bewerten, trauen sich nicht, auf andere zuzugehen oder etwas Neues auszuprobieren und sich Ziele zu setzen. Dadurch verpassen sie schöne Erfahrungen, die sie haben könnten, wenn sie mit etwas mehr Mut an Dinge herangehen würden“, sagt Astrid Schütz.
Wie lässt sich der Selbstwert aktiv aufbauen? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Freiburger Psychotherapeutin Friederike Potreck seit Jahren. Bei der Bewertung der eigenen Person spielt vieles zusammen: Familie und Freundeskreis, Aussehen, Charaktereigenschaften, Begabungen, berufliche Leistung, spirituelle Werte, soziales oder politisches Engagement.
Der Selbstwert ist ein Sammelsurium, Friederike Potreck benutzt gerne das Bild einer Kommode mit vielen Schubladen. Je nachdem, welche Schublade man gerade aufzieht, kann die Bewertung ganz unterschiedlich ausfallen. In ihrer therapeutischen Praxis arbeitet sie mit einer pragmatischen Definition: „Der Selbstwert besteht aus der Summe der positiven Selbstbewertungen, die eine Person für sich aktualisieren kann.“
Harter Tobak
Folgt man dieser Definition, ergibt sich der Ansatzpunkt für die Arbeit am Selbstwert fast von selbst. „Ich lerne, mich mehr auf die positiven Aspekte meiner Person und auf das, was ich erreiche, gut mache und was mir gelingt, zu konzentrieren, statt ständig auf das zu schauen, was nicht gut läuft und mir nicht gefällt. Je häufiger ich mich selbst positiv bewerte, desto stabiler wird der Selbstwert“, so Potreck.
Dieser Ansatz stimmt hoffnungsvoll, er hat es aber auch in sich, denn er bedeutet das Ende der Ausreden. Darüber zu klagen, dass man leider nun mal so unsicher sei, gilt nicht. Denn der Selbstwert kommt einem nicht von irgendwoher zugeflogen, sondern er wächst nur durch die direkte Arbeit an der Wertschätzung für sich selbst.
Für Menschen mit niedrigem Selbstwert ist das erst mal harter Tobak. Sie haben sich so daran gewöhnt, sich auf das, was noch nicht perfekt ist oder noch fehlt, zu konzentrieren, dass sie gar nicht mehr realisieren, wie verzerrt ihre Wahrnehmung ist. Liane Schulz, wie wir sie hier nennen wollen, erkannte erst mit Anfang vierzig in einem Meditationskurs, dass sie sich von morgens bis abends entwertete.
Dieses Muster war ihr so vertraut, dass es ihr jahrelang gar nicht aufgefallen war. Im Kurs lernte die Sprachwissenschaftlerin unter anderem die „Meditation der liebenden Güte“ kennen, bei der man sich selbst Gutes wünscht.
Anfangs erschien es ihr nahezu unmöglich, sich selbst mit Wohlwollen zu betrachten. „Mir ist erst durch die Meditation deutlich geworden, dass ich mich dauernd mies bewertet habe. Schon morgens, wenn ich in den Spiegel geschaut habe, fand ich mich zu dick. Mit meinen beruflichen Leistungen war ich auch nie zufrieden. Selbst meine sportlichen Erfolge habe ich kleingeredet.“
Elternbotschaften sind mächtig
Wenn Freunde bewundernd sagten: „Du hast einen Siebentausender bestiegen. Das ist ja Wahnsinn! Das könnte ich nie“, lautete ihre Antwort: „Das habe ich nur geschafft, weil mein Mann dabei war. Ohne ihn wäre ich vollkommen orientierungslos.“ Ein Paradesatz dafür, wie das Nichtanerkennen eigener Erfolge den Selbstwert in den Keller bringt. Liane Schulz hat einen Siebentausender bestiegen. Einen Siebentausender!
Ein selbstwertstarker Mensch würde sagen: Das habe ich super gemacht, ich habe auch lange dafür trainiert. Selbstwertschwache Menschen hingegen relativieren oder verleugnen eigene Erfolge, gute Leistungen oder Eigenschaften, lassen sie nicht als Quelle von Selbstwertschätzung zu.
Für Liane Schulz war der erste Schritt aus der Selbstwertfalle, ihre Bewertungsmuster zu erkennen und sich bewusstzumachen, wie sie entstanden sind. Wie vielen war ihr der Satz „Eigenlob stinkt“ von Kindesbeinen an vertraut. In ihrer Schulzeit in Ostdeutschland sollte sie sich regelmäßig in der Klasse vor anderen selbst einschätzen. „Man musste immer mit ganz viel Selbstkritik anfangen, und ganz am Ende durfte man eine kleine Sache erwähnen, die man gut gemacht hatte.“
Auch zu Hause galten strenge Maßstäbe. Für gute Noten gab es nie Lob, sie wurden wie selbstverständlich erwartet. „Für meine Mutter waren nur Einsen akzeptabel, das habe ich früh verinnerlicht und war todunglücklich über jede Zwei und habe immer mit Angst gelernt.“
Elternbotschaften sind mächtig. Wenn zu „Eigenlob stinkt“ noch Sätze wie „Werde bloß nicht eingebildet“ und „Nimm dich nicht so wichtig“ dazukommen, können diese über Jahrzehnte wirken und Schaden anrichten. Der Psychotherapeut Harlich H. Stavemann spricht von „Selbstwertbomben“. Wir können solche tief verinnerlichten Erfahrungen zwar nicht ungeschehen machen, aber wir können sie als Erwachsene durch neue Erfahrungen „überschreiben“.
Eine Hütte im Wald
Liane Schulz hat beides erfahren: Wie mächtig die alten Bewertungsmuster waren und wie gut und befreiend es sich anfühlt, neue zu entwickeln. Die Angst, zu versagen, unter der sie als Jugendliche gelitten hatte, plagte sie auch später im Beruf. Solange sie eine fürsorgliche und unterstützende Chefin hatte, gelang es ihr, die ständige Sorge, nicht gut genug zu sein, im Zaum zu halten. Doch als sie eine neue Vorgesetzte bekam, die streng und fordernd auftrat, ging irgendwann nichts mehr. Sie rutschte in eine Erschöpfungsdepression.
In einer Psychotherapie lernte sie, ihren Selbstwert wieder aufzupäppeln und ihren eigenen Einfluss darauf zu erkennen. „Mir ist bewusstgeworden, dass ich Lob entweder gar nicht gehört habe oder nicht annehmen konnte. Das übe ich jetzt Schritt für Schritt.“ In der Meditation schult sie sich darin, wertfrei zu beobachten, was gerade in ihr geschieht. In der Therapie lernt sie ihre Selbstwertfallen kennen. Beides hilft ihr, ihren Wert besser zu spüren.
Doch den größten Durchbruch erlebte Liane Schulz, als sie sich vor einem Jahr eine Hütte im Wald kaufte. Immer wieder fährt sie für ein paar Tage oder eine Woche hin und richtet sich das Haus her. Sie hat das Geländer entrostet, Innenverkleidungen rausgerissen, die Fußböden abgeschliffen, die dicken Kleisterschichten auf der Treppe abgebrannt. „Hier lerne ich mich ganz neu kennen. Ich bin vollkommen im Einklang mit mir, freue mich über jede Leiste, die ich angebracht habe, auch wenn sie ein wenig schief ist.“
Vorher undenkbar
Abends ist sie zu ihrem eigenen Erstaunen stolz auf das, was sie geschafft hat. „Das ging im Job nie. Da habe ich immer nur auf das geschaut, was noch gefehlt hat.“ Die Zeiten, die sie im Wald verbringt, entpuppten sich als Crashkurs im Selbstwertaufbauen. Niemand bewertet sie, das hilft ihr, sich frei zu fühlen – und so zu handeln. „Ich gehe voll auf in dem, was ich tue, und abends bin ich zufrieden. Und ich traue mir Sachen zu, die vorher undenkbar waren.“ Demnächst will sie einen Motorsägekurs machen.
Liane Schulz ist bewusst, dass der Härtetest noch aussteht. Sie will versuchen, die stärkenden Erfahrungen, die sie im Wald macht, in ihren Beruf mitzunehmen und auch dort die Dinge Schritt für Schritt angehen – ohne perfektionistischen Anspruch. „Im Wald bin ich aus der Stressspirale raus. Je weniger ich mich stresse, desto mehr schaffe ich. Weil ich viel schaffe, fühle ich mich gut und kann mich an dem freuen, was mir gelungen ist.“
Selbstwertprobleme entstehen auch durch die Diskrepanz zwischen verschiedenen Selbstbildern, schreiben die Psychotherapeuten Sven Hanning und Fabian Chmielewski in ihrem Buch Ganz viel Wert. Aus unseren kindlichen Erfahrungen lernen wir, wie wir sind, wie wir sein sollten, damit unsere Bedürfnisse erfüllt werden, und wie wir gerne wären, wenn wir keine äußeren Erwartungen erfüllen müssten. Die Autoren sprechen von „Bin-Ich“, „Soll-Ich“ und „Wunsch-Ich“. Die Probleme beginnen, wenn schädliche Regeln im Soll-Ich festgeschrieben werden.
Ein Drittel der ToDo-Liste
Paradoxerweise versuchen Menschen mit einem schwachen Selbstwert auf Teufel komm raus an unerreichbaren Idealen und Zielen festzuhalten, was ihren Selbstwert weiter schwächt. Klaus Maurer – auch er heißt in Wirklichkeit anders – stieg vor einem Jahr in einem Energieunternehmen zur Führungskraft auf. Über Monate hinweg war er jeden Abend frustriert, weil er höchstens ein Drittel seiner To-do-Liste geschafft hatte.
Er blieb länger, hatte deshalb kaum Zeit für seine kleine Tochter, was wiederum seine Frau ärgerlich machte. An schlechten Tagen beschimpfte er sich selbst als Loser, der seiner Vorbildrolle nicht gerecht wird. Sein Coach schlug ihm vor, das Muster, an dem er sich erfolglos abarbeitete, zu ändern. Wie wäre es damit, schlicht kleinere To-do-Listen zu schreiben, mit realistischen Tages- und Wochenzielen?
Klaus Maurer war entsetzt. „Kommt gar nicht infrage. Dann kann ich ja gleich aufgeben“, protestierte er. Sein Coach zeichnete ihm den Teufelskreislauf auf, in dem er gefangen war. Er erkannte Erfolge nicht an, setzte sich unrealistische Ziele, maß sich an einem Ideal, das nicht erreichbar war, gab regelmäßig erschöpft und frustriert auf und bestrafte sich, indem er sich selbst geringschätzte. Täglich ruinierte er seinen Selbstwert.
Schweren Herzens hat Klaus Maurer sich inzwischen angewöhnt, sich realistischere Tagesziele zu setzen. Außerdem schreibt er jeden Tag auf, was er gut gemacht hat, was ihm gelungen und womit er zufrieden ist. Anfangs widerstrebte es ihm, kleine Erfolge zu notieren. Sie erschienen ihm nicht der Rede wert.
Doch nach und nach spürte er, wie sich sein Blick auf sich selbst veränderte. Er fühlt sich jetzt besser, geht mit mehr Schwung an seine Aufgaben und kann mehr positive Dinge aufschreiben, was wiederum seine Stimmung hebt. Das Positive zu sehen und zu würdigen braucht tägliche Übung. Es ist wie jeden Tag Liegestütze machen. Irgendwann kommen die Erfolgserlebnisse.
Ein kritisch-konstruktiver Blick
Friederike Potreck fiel auf, wie eng Selbstwert und Energiehaushalt zusammenhängen. Sie registrierte, dass Menschen vor allem dann wieder in alte Entwertungsmuster rutschen, wenn sie wenig geschlafen, bis zur Erschöpfung gearbeitet oder sich wenig aufbauende Erlebnisse gegönnt haben. Sie empfiehlt deshalb als selbstwertstärkende Sofortmaßnahme, den Energietank zu checken und wenn nötig wieder zu füllen (siehe Kasten).
Nähre ich mich genug mit Schlaf, Bewegung, Ernährung und mit Aktivitäten und Begegnungen, die meinen Geist und meine Seele regenerieren lassen? Diese Frage sollten wir uns immer wieder stellen. Gönnen wir uns zu wenig Regenerationszeit, so werden wir energielos.
Die Folge: Wir gehen unser Tagwerk mit weniger Selbstvertrauen, Motivation und Konzentration an, machen daher mehr Fehler und fangen an, uns zu entwerten. Ist unser Energietank hingegen gut gefüllt, haben wir genügend Wohlwollen für uns selbst und einen kritisch-konstruktiven Blick auf das, was wir tun.
Birgit Schönberger
Den eigenen Energietank kennenlernen
Nach einem Modell von Friederike Potreck können Sie sich Ihren Energiehaushalt als Tank vorstellen. Oben gibt es Zuflüsse, unten fließt Energie ab. Überprüfen Sie, wie gut und verlässlich Ihre Energiequellen sprudeln und wie und wodurch Sie Energie verlieren.
Energiequellen (Beispiele)
Nährende Beziehungen (Beziehungen, die Sie inspirieren und in denen Geben und Nehmen ausgeglichen sind)
Selbstakzeptanz (ein grundlegendes Wohlwollen gegenüber sich selbst)
Selbstzuwendung (Zeiten, in denen Sie sich um sich selbst kümmern und sich dafür interessieren, wie es Ihnen geht, und Dinge tun, die Sie erfreuen)
Körperliche Aktivität (Spaziergänge, Sport, jede Art von Bewegung, die guttut)
Energieräuber (Beispiele)
Destruktive Beziehungen (Beziehungen, die Ihnen nicht guttun und Sie schwächen)
Selbstwertschädliche Muster (überzogene Strenge, Konzentration auf das, was nicht gut gelaufen ist, permanentes Vergleichen mit anderen)
Arbeit (zu viel Arbeit, zu wenig Pausen, keine klaren Grenzen)
Körperliche Beschwerden (chronische Schmerzen, Schlafmangel, Unwohlsein aller Art)
So stärken Sie Ihren Energiehaushalt
Vergegenwärtigen Sie sich die wichtigsten Elemente Ihres Energiehaushalts: Wie groß ist Ihr Energietank? Welche Quellen speisen Ihren Tank? Wohin fließt Ihre Energie?
Legen Sie Energietankstellen fest, die Sie regelmäßig aufsuchen können
Vereinbaren Sie mit sich selbst: Welche Energietankstellen werden Sie jeden Tag, jede Woche, jeden Monat aufsuchen?
Nehmen Sie körperliche Bedürfnisse und Beschwerden ernst
Begrenzen Sie Ihre Arbeitszeit.
Zum Weiterlesen
Sven Hanning, Fabian Chmielewski: Ganz viel Wert. Selbstwert aktiv aufbauen und festigen. Beltz, Weinheim 2019
Friederike Potreck-Rose: Von der Freude, den Selbstwert zu stärken, Klett-Cotta, Stuttgart 2006