Neue Wege

Warum wir schlechte Gewohnheiten nicht allein mit Selbstdisziplin und Willensstärke loswerden, erklärt die britische Psychologin Wendy Wood.

Wendy Woods Studie Good Habits, Bad Habits ist ein ungewöhnliches Buch. Ungewöhnlich für einen wissenschaftlichen Text ist die auf jeder Seite spürbare Begeisterung der Autorin, mit der sie die Komplexität einer so simplen Erfahrung wie Gewohnheiten anschau­lich macht. Erstaunlich ist auch die unmittelbar alltagspraktische Wirkung, die das Buch schon während der Lektüre entfaltet: Es lädt ein, sich selbst als einem der vielen sprichwörtlichen „Gewohnheitsmenschen“ auf die Spur zu kommen.

Einen überindividuellen, quasi spirituellen Rahmen für das Thema öffnet die Autorin gegen Ende des Buches unter der Überschrift „Die Unverwüstlichkeit der Gewohnheiten“. Wer den eigenen Blick für die Lektüre erweitern möchte, kann damit beginnen und dann zurückblättern.

Zu Beginn des Buches widmet sich Wood, die als Psychologieprofessorin seit drei Jahrzehnten zu den Mechanismen von Gewohnheiten forscht, der naheliegenden, weil uns alle umtreibenden Frage, warum es uns so selten gelingt, gute Vorsätze – mittels derer wir schlechte Gewohnheiten außer Kraft setzen wollen – umzusetzen.

Die Antwort ist leicht: Wir hoffen auf die unterstützende Wirkung unserer Entschlusskraft. Tatsächlich aber sind Gewohnheiten in anderen Gehirnarealen angesiedelt als unser bewusstes Denken: Kognitive Entscheidungen und Kontrollen vollziehen sich in den präfontalen Regionen und im Hippocampus, gewohnheitsmäßige Handlungen hingegen im Putamen in den Basalganglien.

Hohes Verführungspotential durch Vertrautheit

Dass unsere Gewohnheiten nicht durch rationales Entscheidungsdenken gesteuert werden, heißt aber nicht, dass wir ihnen ausgeliefert sind. Nur müssen wir, um die schlechten Gewohnheiten abzulegen, Wege einschlagen, die jenseits der kognitiven Steuerung liegen, in die zu vertrauen wir gewohnt sind.

Durch den bloßen Entschluss, ab heute Müsli statt drei Toasts mit Nutella zu frühstücken, werden wir nicht zu einer Verhaltensänderung gelangen. Wir können unsere Frühstücksgewohn­heit allerdings sehr wohl verändern – und zwar indem wir anstelle schlechter gute Gewohnheiten ausbilden, die mit unseren Zielen übereinstimmen und damit die alten quasi überschreiben.

Knifflig ist dabei nur, dass die Gewohnheiten nicht zwischen guten und schlechten Inhalten unterscheiden –und dass die guten Gewohnheiten, die wir anstreben, meist auf zahllose schlechte Gewohnheiten treffen, die sich eingegraben und durch ihre Vertrautheit ein hohes Verführungspotenzial haben, weil sie Halt und Kontrolle vermitteln: Neben der Müslischale steht anfangs sozusagen immer das Nutella­glas, und es erscheint uns schwer vorstellbar, wie ein Tag ohne diesen süßsämigen Geschmack auf der Zunge gelingen soll.

Doch das rätselhafte Wesen von ­Gewohnheiten ist inzwischen wissenschaftlich gut erforscht, sowohl ihre Entstehung als auch die neuronalen Vorgänge und die praktische Wirkung. Diese Ergebnisse und ihre Herleitung sind der Motor von Woods Studie, die jenseits der verzweigten basalen Prozesse ein weites Feld bis hin zur zerstörerischen Sucht und heilenden Ritualen in den Blick nimmt.

Wiederholen und belohnen

Entscheidend für die Veränderung von Gewohnheiten sind: Wiederholung, Kontext, Belohnung. Dass Wiederholungen elementar sind für die Etablierung von Gewohnheiten, leuchtet unmittelbar ein. Ebenso wichtig aber ist die bewusste Gestaltung des Kontextes.

Für ein gutes Gelingen muss die angestrebte neue Gewohnheit vor allem anfangs eingebettet werden in möglichst viele Reize, die sie attraktiv machen – und Versuchungen gilt es zu entfernen. Dafür braucht es Fantasie sowie Konsequenz gegenüber sich selbst und einer bisweilen murrenden Umgebung. Entscheidend ist auch, dass die unterstützenden Reize stabil sind, um Wiedererkennen und so das Erleben von Halt zu vermitteln.

Woods präsentiert in ihrem Buch überraschende, detailreiche und subtile Erkenntnisse und Zusammenhänge. Für manche Leserinnen und Leser mag die Fülle der referierten Studien mitunter mühsam sein. Aber sie bieten anekdotisch einen Erkenntnisgewinn – und das Weiterlesen lohnt sich. Denn das Buch macht Lust, die notwendigen Trennungen von liebgewordenen Gewohnheiten, die für uns alle durch die globalen klimatischen und gesellschaft­lichen Veränderungen anstehen, selbst anzustoßen und in eigener Regie neue Wege zu beschreiten.

Wendy Wood: Good Habits, Bad Habits. Gewohnheiten für immer ändern. Aus dem amerikanischen Englisch von Heide Lutosch. Piper, München 2022, 336 S., € 18,–.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 6/2022: Die Zeit, als alles neu war
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