Frustrierende Langsamkeit

Wenn wir bei der Arbeit das Gefühl haben, nicht voranzukommen, sind wir versucht, Abkürzungen zu nehmen und Dinge wegzulassen.

Wir sind frustriert, wenn wir uns zu langsam fühlen © Malte Müller/Getty Images

Die Kolleginnen wirken alle so fit und ich komme heute einfach nicht vorwärts. Wenn ein solches Gefühl zum Dauerzustand wird, kann die Qualität der Arbeit leiden oder sogar Schaden entstehen, denn im Zustand der Enttäuschung über die eigene Langsamkeit nehmen wir gerne Abkürzungen: Wir lassen einzelne Arbeitsschritte weg, um Zeit zu sparen. Dies belegt eine neue Studie von Forscherinnen und Forschern aus den USA. Offenbar schätzen wir während der Arbeit ständig ein, ob wir schnell genug sind und ob wir wohl noch rechtzeitig fertigwerden. Wenn wir uns zu langsam finden, fangen wir an nachzudenken: Gibt es eine Abkürzung?

Das Team lud zunächst 147 Studierende ins Labor ein. Dort erledigten sie an einem Computer in 45 Minuten bestimmte Aufgaben, wie sie in der Arbeitswelt vorkommen können. Dabei konnten die Frauen und Männer eine zentrale Datenbank nutzen, die die richtigen Informationen in 100 Prozent der Fälle lieferte, was aber etwas länger dauerte. Die Alternative war eine lokale Datenquelle, in der noch fehlerhafte Daten enthalten waren, die aber schneller lieferte. Zugleich wurde den Teilnehmenden eine Rückmeldung eingespielt, laut derer sie entweder so schnell wie der Durchschnitt waren, schneller als dieser oder aber zu langsam. Dieses Feedback war nach dem Zufallsprinzip verteilt, sagte also nichts über die tatsächliche Arbeitsgeschwindigkeit aus. 

Zusätzlich befragten die Forscherinnen und Forscher knapp 400 Berufstätige verschiedener Branchen in einer Tagebuchstudie. Diese Teilnehmenden berichteten fünf Tage lang zwei Mal täglich, ob sie bei der Arbeit das Gefühl gehabt hatten, zu langsam zu sein und was sie dagegen unternommen hatten. 

Überhöhte Erwartungen

Diejenigen, denen im Labor mitgeteilt wurde, dass sie langsamer seien als der Durchschnitt aller Teilnehmenden, entschieden sich deutlich häufiger für den schnelleren Zugriff auf die „lokale" und schnellere Datenbank. Die Mitteilung über ihre (vermeintliche) Langsamkeit frustrierte sie und sie dachten über Strategien nach, die Aufgabe schneller zu erledigen. Die häufigste Reaktion auf die Erfahrung der Langsamkeit war, Arbeitsschritte wegzulassen, schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das versuchten auch die Versuchspersonen, die aus ihrem Arbeitsalltag berichtet hatten. Sobald sie sich nicht schnell genug fanden, überlegten sie, welche Abkürzungen möglich wären. 

Darin liege ein Risiko, weil unter Umständen auch entscheidende Arbeitsschritte unterlassen werden könnten. Die Forschenden empfehlen Unternehmen, darauf zu achten, welche Erwartungen Beschäftigte im Hinblick auf ihre Schnelligkeit hätten. Sie könnten überzogen sein. Unternehmen könnten auf zweierlei Art solche unrealistischen Erwartungen dämpfen: Berücksichtigen, dass Angestellte generell manchmal zu diesen Erwartungen neigen und prüfen, welche Arbeitsbedingungen tatsächlich dazu beitrügen, dass man nur langsam vorankomme.

Wir wollen schnell sein

Die Forschenden erklären das schneller-werden-Wollen mit psychologischen Theorien über unsere Selbstregulation: Wenn wir denken, dass wir nicht rechtzeitig fertig werden, frustriert uns das und wir versuchen, dem entgegenzuwirken. Wir fangen an nachzudenken, wie wir das schaffen können. Schneller zu sein stellt uns in Aussicht, dass wir es doch noch schaffen, eine Arbeit rechtzeitig zu erledigen. Das lindert die Frustration. Und die Abkürzung sei ein naheliegendes Mittel – jeder Arbeitsschritt, der entfällt, spart Zeit.

Das Problem: Meistens sind Arbeitsprozesse so definiert, dass jeder Schritt notwendig ist, um gute Qualität und die nötige Sicherheit zu erzielen. Durch Abkürzungen könne die Qualität also leiden, oder sogar Schaden entstehen, beispielsweise, wenn Mitarbeitende der Gastronomie das Händewaschen weglassen, um das Essen schneller bringen zu können. In extremen Fällen kann das Weglassen bestimmter Tätigkeiten und Arbeitsschritte zu Todesfällen und eklatanten Sicherheitsproblemen sowie massiver Belastung der Umwelt führen. Ein Beispiel: Nach der Explosion der Bohrplattform Deepwater Horizon im Jahr 2010, bei der elf Menschen ums Leben kamen, wurde umfassend dokumentiert, dass eine große Zahl von versäumten Arbeitsschritten zu der Katastrophe geführt hatten: Prozesse waren nicht definiert, Tests von Materialien und Abläufen wurden aus Zeit- und Kostengründen nicht vorgenommen, wichtige Entscheidungen zwischen den verschiedenen Teams weder diskutiert, noch kommuniziert, Risiken zu gering eingeschätzt, Warnungen missachtet. Das Einsparen von Zeit und Kosten wurde immer wieder als Begründung für diese Entscheidungen angeführt. 

Vincent Phan u. a.: Goal progress velocity as a determinant of shortcut behaviors. Journal of Applied Psychology, 2022. DOI: 10.1037/apl0001037

Tom W. Reader, Paul O`Connor: The Deepwater Horizon explosion: non-technical skills, safety culture, and system complexity. Journal of Risk Research, 17/3, 2014. DOI: 10.1080/13669877.2013.815652

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