Der Chef einer Abteilung in einer Firma hat ein wichtiges Meeting einberufen. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind pünktlich da, nur der Vorgesetzte nicht. Erst als ihn eine Kollegin anruft, erinnert er sich an das Treffen und er trifft mit deutlicher Verspätung ein. In einem Nebensatz entschuldigt er sich und eröffnet die Sitzung. In den nächsten Minuten kritisiert er plötzlich vor versammelter Mannschaft einen einzelnen Mitarbeiter ungewöhnlich scharf für dessen Arbeitsleistung und Versäumnisse, bis dieser sich ganz klein und bloßgestellt fühlt.
Was ist hier passiert? Etwas an der Reaktion des Vorgesetzten auf sein eigenes Zuspätkommen, an der knappen Entschuldigung und der unerwarteten Kritik an einem Einzelnen vor dem ganzen Team wirkt unangemessen. Das Verhalten deutet darauf hin, dass hier Projektion am Werk ist: der psychische Mechanismus, der die Schablone vieler Wahrnehmungsverzerrungen bildet.
Projektionen gehören zu den alltäglichen psychischen Vorgängen und sind ein beliebtes Mittel in unserer psychischen Hausapotheke. Kein Mensch kommt ohne sie aus – der eine mehr, die andere weniger –, mit meist harmlosen Konsequenzen. Doch Projektionen sind nicht selten die Quelle von Konflikten. Und in bestimmten Machtverhältnissen oder gesellschaftlichen Krisen werden sie zum gefährlichen Vehikel von Frustration und Aggression, am bekanntesten wohl in der Gestalt des Sündenbocks.
Psychisches Innenleben wird zur äußeren Realität
Doch was sind Projektionen überhaupt? Warum projizieren Menschen? Und geht von Projektionen wirklich nur ein destruktives Potenzial aus?
Gemeinhin beschreibt der Begriff einen psychischen Vorgang, bei dem etwas Inneres – etwa eigene…
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