Kreativität steht hoch im Kurs und ist insbesondere am Arbeitsmarkt zu einer unverzichtbaren Ressource geworden. Nicht umsonst versprach vor einiger Zeit ein Anbieter von Kreativitätstrainings seinen Kunden, sie würden bald „schneller erfinden, als die Chinesen kopieren können“. Die zu Werbezwecken überspitzte Formulierung transportiert eine Wahrheit, die nachdenklich stimmt.
Galt Kreativität oder Schöpferkraft in früheren Zeiten als eine dem Numinosen entstammende Gabe, rückt heute vor allem ihr…
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oder Schöpferkraft in früheren Zeiten als eine dem Numinosen entstammende Gabe, rückt heute vor allem ihr funktionaler Aspekt ins Zentrum der Aufmerksamkeit. So wurde die Schöpferkraft in der Antike dem Wirken eines Geistwesens, dem daimon oder genius zugeschrieben, während man sie in der christlichen Kultur über Jahrhunderte auf göttliche Eingebung zurückführte. Von der Renaissance an wird die schöpferische Kraft, welche den Künstler charakterisiert, zunehmend im Individuum selbst verortet. Sie weist jedoch über die Erfahrungen der Alltagswelt hinaus und macht den Künstler in seiner Spontaneität und Originalität zum Inbegriff menschlicher Selbstverwirklichung. Lange Zeit wurden die kreativen Fähigkeiten des Menschen, für die vor allem Kunst und Wissenschaft Zeugnis ablegen, fast ausschließlich im Kontext des Geniebegriffs diskutiert und waren somit auf einen kleinen, elitären Kreis begrenzt. Im 20. Jahrhundert kommt es jedoch mit zunehmender Demokratisierung der Gesellschaft zu einer Erweiterung des Kreativitätsbegriffs. Nicht nur Politik und Wirtschaft sind nun einbezogen, das kreative Handlungsfeld erstreckt sich in den Alltag eines jeden Menschen.
Kreative Neigungen zu leben gilt weiterhin als Königsweg zur Selbstverwirklichung, den man kochend und strickend ebenso wie malend und musizierend beschreiten kann. Die Tatsache, dass heute jeder Mensch als „potenziell Kreativer“ gilt, hat jedoch auch eine dunkle Seite: Im Zuge des unaufhörlichen Konkurrierens um die ersten Ränge im Innovationswettkampf gilt Kreativität in einer auf Beschleunigung ausgerichteten Arbeitswelt weniger als Gabe denn als Bringschuld. In diesem Sinne scheint das Einfordern von Kreativität in vielen Fällen weniger zur Selbstfindung des Individuums beizutragen als zur Entfremdung von seinem schöpferischen Potenzial. Mit Sicherheit kann man sagen, dass kreative Prozesse im Kontext wirtschaftlicher Notwendigkeiten allzu oft mit einem Gefühl von Leistungsdruck und Getriebensein einhergehen, das sich als kontraproduktiv erweist.
Prominentes Beispiel eines Falles, in dem der kreative Anspruch sich selbst ad absurdum führt, ist der amerikanische Bestsellerautor Jonah Lehrer. Mit seinem hochgelobten Buch Prousts Madeleine. Hirnforschung für Kreative berühmt geworden, als sein 30. Geburtstag noch in weiter Ferne lag, sah sich der junge Starschriftsteller offenbar irgendwann außer Stande, mit stetig steigender Arbeitslast und größer werdendem Erfolgsdruck souverän umzugehen. Ergebnis: Im Jahr 2012, kurz nach der Veröffentlichung seines dritten Buches Imagine! Wie das kreative Gehirn funktioniert, wurde der Experte für Kreativität und Hirnforschung nicht nur überführt, Zitate gefälscht, sondern auch in anderen Veröffentlichungen immer wieder plagiiert zu haben. Zu wissen, wie das kreative Gehirn funktioniert, ist heutzutage vielleicht eine notwendige, offenbar jedoch keine hinreichende Bedingung für erfolgreiche kreative Arbeit.
Aufgrund ihrer wechselnden Erscheinungsformen und ihres schillernden Charakters wurde bis heute keine allgemeingültige Definition für Kreativität gefunden. Fast scheint es, als ob sich die „Schöpferkraft“ als tiefmenschliche Eigenschaft sowohl der totalen Funktionalisierung als auch einer endgültigen Festschreibung entziehen wolle. Deshalb lohnt sich der Versuch einer Annäherung, die im Sinne der Hirnforschung einige Bedingungen aufzeigt, die dem kreativen Prozess förderlich sind, diese jedoch möglichst losgelöst vom derzeit gängigen Kontext der Funktionalisierung betrachtet.
Wirft man einen Blick auf das Leben und Wirken von Künstlern und Kreativen, denen genau diese Loslösung gelungen ist, stößt man auf unterschiedliche Verhaltensmuster und Sichtweisen, die uns nicht nur zu kreativeren, sondern vor allem auch zu zufriedeneren Menschen machen können. Umgekehrt erwachsen große kreative Leistungen häufig aus dem klugen Umgang mit persönlichen Schwächen oder leidvollen Erfahrungen, die in der künstlerischen Be- und Verarbeitung transzendiert werden. Insofern führt der gern benutzte Begriff der „kreativen Köpfe“ in die Irre. In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle ist es eben nicht der Kopf beziehungsweise der Intellekt allein, der kreativ ist, sondern der Mensch in seiner Körperlichkeit und Emotionalität sowie seiner untrennbar mit all diesen Aspekten verbundenen persönlichen Geschichte.
In Abhängigkeit davon, wie wir unser Gehirn nutzen, welche Erfahrungen wir machen, welche Aufgaben wir uns stellen und welche Denkstile wir kultivieren, werden bestimmte Hirnareale stärker oder weniger stark miteinander vernetzt, wie Forschungen zur Neuroplastizität belegen. Praktisch heißt dies: Die Wahrscheinlichkeit, kreative Leistungen zu erbringen, wird größer, je öfter wir uns an kreative Aufgaben heranwagen und unser Gehirn in jenen Modi arbeiten lassen, die der Freisetzung kreativen Potenzials förderlich sind.
Die beiden Hirnhälften und die Synthese ihrer Denkstile
Eine Minimaldefinition, die auf jeden kreativen Prozess zutrifft, lautet: „Kreativität ist die Neukombination von Informationen.“ Wie unter anderem der bereits erwähnte Jonah Lehrer in seinem vieldiskutierten dritten Buch zeigt, kommt es zu den sprichwörtlichen „Geistesblitzen“ dann, wenn die linke, vorwiegend analytisch arbeitende und die rechte, eher ganzheitlich ausgerichtete Hirnhälfte gleichermaßen in einen Problemlösungsprozess eingebunden sind und sich durch eine Synthese beider Denkstile eine neue Sicht auf die Dinge und damit auch eine Einsicht ergibt. Dem „Geistesblitz“ geht in der Regel eine Phase der Entspannung voraus, die sich im EEG in Form von Alphawellen manifestiert. Offenheit für unterschiedliche Denkstile und ein Zustand entspannter Wachheit, bei dem das Gehirn auf der Alphafrequenz arbeitet, sind also zwei Aspekte, die dem kreativen Denken förderlich sind.
In einem Beitrag in der New York Times „Über das Schreiben“ hat Joyce Carol Oates diese Erkenntnisse an der bei Schriftstellern überaus beliebten Tätigkeit des ausgiebigen Gehens oder Joggens exemplifiziert – freilich ohne dabei Bezug auf die Erkenntnisse der Hirnforschung zu nehmen: „Beim Laufen fliegt der Geist mit dem Körper, das geheimnisvolle Wachsen und Erblühen der Sprache scheint im Gehirn in einem Rhythmus mit den Füßen und dem Schwingen der Arme zu pulsieren. Idealerweise läuft der Jogger, der Schriftsteller ist, durch die Landschaften und Städte seiner Fiktion (…)“, schreibt Oates. Das Gewirr struktureller Probleme im Schreibprozess, das sich ihr an einem Arbeitsvormittag präsentiere, lasse sich in der Regel durch einen Lauf am Nachmittag auflösen. Vermutlich schwingt ihr Gehirn beim mühelosen Joggen in jenem Zustand des entspannten Wachträumens in der Alphafrequenz, die der Problemlösung vorausgeht, und nach einem anstrengenden Vormittag linkshirnigen Arbeitens treten die tendenziell rechtshirnigen Verarbeitungsmechanismen auf den Plan und leisten ihren Beitrag zum erfolgreichen Schreibprozess. Sicher ist, dass moderates Ausdauertraining positiv auf Gehirn und Psyche eines jeden Menschen wirkt, da durch die Muskelaktivität vermehrt Wachstumsfaktoren produziert werden, welche die Durchblutung und den neuronalen Umbau erleichtern.
Die Anbindung an körperliche Aktivitäten, die den Menschen in direkten Kontakt oder gar in Interaktion mit seiner Umwelt bringt, ist Voraussetzung unterschiedlichster Arten kreativer (Erkenntnis-)Prozesse. So ist es oft die besonders feingestimmte Wahrnehmung, welche Künstler und Kreative von vielen anderen Menschen unterscheidet. Diese ist jedoch kein angeborenes Talent, sondern eine Fähigkeit, die im Laufe des Lebens mehr oder weniger bewusst trainiert und kultiviert wird.
Die Designerin Inge Druckrey, die im Laufe ihrer 40-jährigen Tätigkeit als Kunstdozentin unter anderem an der Yale School of Art und der Rhode Island School of Design unterrichtete, sagt von sich selbst, dass sie am Anfang ihrer Karriere ihre visuellen Fähigkeiten langsam entwickeln musste. Dieser sehr bewusst erlebte Prozess hat ihre Unterrichtsmethode stark beeinflusst, bei der es zu Beginn in allererster Linie darum geht, die Studenten das „Sehen“ zu lehren. Im Dokumentarfilm Teaching to See, der Inge Druckreys Methode, „das Sehen zu lehren“, in Szene setzt und dabei auch dem Zuschauer im wahrsten Sinne des Wortes die Augen öffnet, heißt es ganz zu Beginn: „Du lernst wirklich zu sehen. Und das zahlt sich aus, denn plötzlich beginnst du in deinem täglichen Leben wundervolle Dinge zu sehen, die du nie bemerkt hast. Und ich würde sagen, die Fähigkeit, das Sehen zu genießen, ist eines der wunderbarsten Geschenke, die du im Kunststudium erhältst.“ Ist die Fähigkeit zu sehen noch nicht ausreichend entwickelt, fehlt die Basis für eine theoretische Auseinandersetzung mit der Materie, glaubt Druckrey. Und diese Ansicht, welche die emeritierte Professorin für Grafikdesign auf die Inhalte des Studiums bezieht, lässt sich auf weitere Lebenszusammenhänge ausdehnen und erhält dann eine beunruhigende Brisanz: Was wäre, wenn uns für eine theoretische Auseinandersetzung mit persönlichen und globalen Problemen die Voraussetzungen fehlen, bevor wir gelernt haben, unser Auge zu trainieren und wirklich zu sehen?
Dass Erfindungen und Neuentwicklungen auch bei Produktdesignern keine „Kopfgeburten“ sind, zeigt zum Beispiel das Innovationsberatungsunternehmen IDEO. „Denken mit den Händen“ nennt Firmengründer David Kelley, der auch Lehrstuhlinhaber an der Stanford Design School ist, eine Arbeitstechnik, bei der Designer innerhalb kurzer Zeit eine Vielzahl relativ grober Prototypen schaffen. Unter anderem entwickelte IDEO eine Computermaus der ersten Generation und ließ sich dabei von der Funktionsweise eines Deorollers inspirieren. Die Prototypen fungieren als „Verkörperung“ von Ideen, die eine konkrete – und eben auch taktile – Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Problem ermöglichen. Neben den offensichtlichen Pluspunkten, dass auf diese Art die Praxistauglichkeit einer Idee von Beginn an auf die Probe gestellt wird und die konkrete Referenz den Gedankenaustausch mit Kollegen und Kunden über einen Lösungsansatz erleichtert, bietet diese Methode noch einen weiteren Vorteil: Studien belegen, dass bereits das Gestikulieren „beim Denken helfen kann“. So zeigt sich, dass das Arbeitsgedächtnis von Probanden eine höhere Leistung erbringt, wenn diese beim Erläutern eines Problemlösungsprozesses neben der Sprache auch durch Gesten ihren Gedankengang zum Ausdruck bringen dürfen. Gestikulieren reduziert die kognitive Belastung beziehungsweise setzt kognitive Ressourcen frei. Das Denken mit den Händen im Sinne von David Kelley dürfte ähnliche, wenn nicht noch stärkere Wirkungen auf die kognitive Verarbeitung haben.
Der Dichter als Gärtner
In jedem Fall liegt die Annahme nahe, dass in dem Moment, in dem unterschiedliche Hirnzentren an der Lösung einer Aufgabe beteiligt sind, die kognitive Verarbeitung ganzheitlicher und der Output ein anderer ist, als wenn der Denkansatz auf die rein abstrakte, analytische Komponente reduziert bleibt.
Es überrascht nicht, dass dieser Ansatz sich im Falle des Produktdesigns als sehr erfolgreich erweist. Weniger naheliegend scheint, dass die sinnliche und taktile Auseinandersetzung mit der äußeren Welt nicht nur Weltsicht und Gedanken eines Dichters formt, sondern auch die Herangehensweise an sein Werk sowie dessen Form und Inhalt beeinflusst. Ein gutes Beispiel hierfür ist Stanley Kunitz, vielfach preisgekrönter Lyriker, der sich im Laufe seiner hundert Lebensjahre vor allem zwei Tätigkeiten mit Leidenschaft hingab: der Dichtung und dem Gärtnern. In seinem letzten Buch, The Wild Braid, illustriert der Dichter, wie beide Tätigkeiten sich gegenseitig nähren und beeinflussen. Das beginnt mit der Formgebung – etwa wenn ein Gedicht wie ein Baum vorsichtig „beschnitten“ wird, bis nur noch das Wesentliche, die Essenz übrigbleibt– oder mit der Vorstellung, dass die Terrassenfelder seines Gartens wie die Strophen eines Gedichts sind: jede für sich vollständig und doch in ihrer Ganzheit mehr als die Summe ihrer Teile.
Für Kunitz ist der Garten „der Kosmos in Miniatur“ und eine „verdichtete Parabel menschlicher Erfahrung“. Eines der immer wiederkehrenden Themen im Werk des Dichters ist die Gleichzeitigkeit von Leben und Tod. „Tod und Leben sind untrennbar miteinander verbunden“, sagt Kunitz. „Wenn ich das Land (als Gärtner) bearbeite, habe ich das Gefühl, ein Ritual von Tod und Wiederauferstehung zu zelebrieren. Ich habe dieses Gefühl jeden Frühling. Ich bin dem Wunderbaren niemals näher, als wenn ich in der Erde grabe.“ An anderer Stelle hat er einmal geschrieben: „Im Tiefsten weiß ich, dass ich gleichzeitig lebe und sterbe (…), das ist ein eher erschreckender Gedanke, der die Wurzel vieler meiner Werke bildet.“
Der Überlebensinstinkt, letzte Fragen zu stellen
Oft sind es grundlegende Fragen, die Künstler umtreiben, und die kreative Arbeit erweist sich dabei in vielen Fällen als Suche nach den Antworten. Die amerikanische Schriftstellerin Amy Tan sieht eine familiäre Tragödie als ein auslösendes Ereignis für ihre Entwicklung hin zu einer Karriere als Schriftstellerin. Als sie 14 Jahre alt war, starben ihr Vater und ihr Bruder im Abstand von sechs Monaten an Hirntumoren. In dieser Form mit dem Tod konfrontiert, der – so glaubte sie – auch ihr selbst und ihrer Mutter bald bevorstünde, werde man sehr kreativ, so Tan, „schon allein aus einem Überlebensinstinkt heraus“. Zu jener Zeit habe sie begonnen, sich jene Fragen zu stellen, die bis heute ihr Werk strukturieren und formen, sagt die Schriftstellerin. „Warum passieren die Dinge?“, „Wie passieren sie?“ – und insbesondere: „Wie beeinflusse ich die Geschehnisse, wie kann ich Dinge geschehen lassen?“
Das Leben vieler kreativer Menschen zeichnet sich dadurch aus, dass sie keine Scheu haben, sich mit beängstigenden und schmerzhaften Erfahrungen auseinanderzusetzen. Diese Fähigkeit, im Angesicht des Schmerzes offen zu bleiben und sich einer Erfahrung hinzugeben, ermöglicht es, außergewöhnliche Werke zu schaffen. Mehr noch, manchmal beginnen sich die Dinge in neuem Licht zu zeigen, und aus der Zerstörung des Alten erwächst etwas Neues von sonderbarer Schönheit. So geschehen im Falle von Joel Meyerowitz. Nach dem 11. September 2001 fühlte der Fotograf die dringende Notwendigkeit, den Zustand des zerstörten World Trade Centers in New York fotografisch festzuhalten, überzeugt, dass es ohne Fotografien auch keine Geschichte geben werde. Meyerowitz erhielt als einziger Fotograf die Genehmigung, am Ground Zero zu fotografieren. Sein World Trade Center Archive dokumentiert eindringlich die Zerstörung und den Wandel des Ortes über die Monate nach 9/11.
Die Konsequenzen des kollektiven Traumas des 11. Septembers 2001 Tag für Tag zu dokumentieren hat Meyerowitz in einer Weise verändert, die er als sowohl politisch als auch spirituell beschreibt. Nach einer langen Phase, in der er sich als Fotograf in erster Linie der „Kunst um der Kunst willen“ gewidmet hatte, erwachte im Zuge dieses Projektes in ihm der Wunsch, seine Fotografie als sozial engagierte Kunst wieder mehr in den Dienst der Menschen zu stellen.
In diesem Sinne kann es nicht nur die kreative Arbeit, sondern auch das Leben und die persönliche Entwicklung jedes Menschen bereichern, leidvolle Erfahrungen anzunehmen und bewusst zu erleben, anstatt sie einfach nur schnell überwinden zu wollen.
Ein hoffnungsvoll stimmendes Beispiel dafür, dass dies auch für den Umgang mit persönlichen Schwächen gilt, ist der Schriftsteller und Pulitzer-Preisträger Richard Ford, dessen Romane und Kurzgeschichten sich insbesondere durch die klanglichen Qualitäten ihrer Sprache auszeichnen. Auf seine Entwicklung zum Schriftsteller zurückblickend, sagt Ford, dass es möglicherweise seine leichte Dyslexie war, die den Grundstein für seine Karriere legte. Als extrem langsamer Leser habe er eines Tages begonnen, sich auf die nichtanalytischen Aspekte der Sprache, nämlich auf ihren Klang, ihren Rhythmus und ihre Melodik zu konzentrieren, wie er dies als Normalleser nie getan hätte. Sein Schreibstil verdanke sich möglicherweise eben dieser intensiven Beschäftigung mit der materiellen Seite der Sprache.
Es lohnt sich also, darüber nachzudenken, ob man um jeden Preis versuchen sollte, seine vermeintlichen Schwächen auszumerzen. In manchen Fällen mag es viel sinnvoller sein, eine Erfahrung des Mangels anzunehmen, um herauszufinden, wohin sie führt. Wer die Stärke hinter seinen Schwächen entdeckt, lebt nicht nur zufriedener, sondern findet unter Umständen auch jenen einzigartigen Zugang zu einem Thema, der besondere kreative Leistungen ermöglicht.
Literatur
Jonah Lehrer: Imagine: Wie das kreative Gehirn funktioniert. C.H. Beck, München 2014
Rainer M. Holm-Hadulla: Kreativität zwischen Schöpfung und Zerstörung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011
Julie Burstein: Spark. How creativity works. Harper, New York 2011
Susan Goldin-Meadow, Susan Wagner: How our hands help us learn. Trends in Cognitive Science, 9/5, 2005