Unsere Sehnsucht nach Ehrfurcht

Wir mögen es, wenn einzelne immer wieder Hochleistungen erbringen – dagegen finden wir die Erfolge von Teams wenig beeindruckend. Warum ist das so?

Von Erfolgen anderer lassen sich Menschen gerne beeindrucken. Wir haben offenbar eine Sehnsucht danach, dass besonders erfolgreiche Menschen ihre Erfolge über lange Zeit wiederholen. Dagegen finden wir dauerhafte Erfolge von Teams, sei es im Sport, seien es Vorstände von Unternehmen, längst nicht so bewundernswert. Dies fanden der bekannte US-amerikanische Sozialpsychologe Thomas Gilovich und sein Kollege Jesse Walker in neun Studien mit insgesamt rund 2600 Probanden heraus. Die Forscher nennen dies den Streaking Star Effect (streak, hier Glückssträhne).

Der Grund: Hat ein einzelner Mensch wiederholt große Erfolge, ist es leicht, ihm dies auch zuzuordnen, es sind „seine“. Dass eine einzelne Person es schaffen kann, immer wieder, auch unter widrigen Umständen, Erfolge zu haben, weckt Ehrfurcht in uns – die Psychologen stellen fest, dass die Sehnsucht nach Ehrfurcht der wichtigste Grund der Studienteilnehmer für ihren Wunsch nach kontunierlichen Erfolgen war. Wenn wir ehrfürchtig sind, heißt das: Wir nehmen wir unermessliche Weite und Größe wahr, etwas, das größer und mächtiger ist, als wir selbst – etwa außergewöhnliche Fähigkeiten, besonderen Ruhm, große Macht – etwas, das unsere kognitiven Grenzen überschreiten kann – und was unsere Vorstellungen von den Möglichkeiten menschlicher Fähigkeiten sprengt.  

Das Ehrfurchtsgefühl stellte sich bei den Probanden von Gilowich und Walker nicht ein, wenn die Teilnehmer Gruppenleistungen beurteilen sollten, etwa von bekannten US-Basketball-Teams oder Abteilungen in Organisationen. Ehrfurcht bleibe hier aus, weil die Leistungen nicht zugeordnet werden könnten, schreiben die Psychologen. Ob für Teamleistungen eine gute Führung verantwortlich ist, ob Talente besonders gut zusammenspielen, ob es die gute finanzielle Ausstattung eines Sportvereins oder des Unternehmens war, das sei nicht erkennbar und bleibe diffus. Generell neigen Menschen dazu, Erfolge von Team oder anderen Gruppen mehr auf die Situation oder den Kontext zurückzuführen, dagegen die von einzelnen mehr auf das jeweilige Individuum.  

Was Menschen leisten können

Warum sollte es wichtig sein, dass wir Erfolge einzelner mehr goutieren als die von Teams? Es beeinflusst offenbar auch unsere Wahrnehmung von wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit, schreiben die Forscher. Wenn wir annehmen, der große Reichtum einiger weniger gehe auf eine bestimmte soziale Klasse von Wohlhabenden und Erfolgreichen zurück, finden wir das unfair. Doch einzelnen gestehen wir großen wirtschaftlichen Erfolg zu – weil wir annehmen, dass diese Person sehr viel dafür getan hat und womöglich viele Hindernisse überwunden hat. Die Psychologen zitieren den Tennisstar Roger Federer: Er berichtete davon, dass seine Fans ihm nur noch mehr Erfolg wünschten, nachdem er vier Jahre lang mit Verletzungen gerungen hatte und kein wichtiges Turnier gewinnen konnte. Dass verstärkte die Ehrfurcht und Anerkennung seiner Anhänger nur noch.  

Die Psychologen weisen auch darauf hin, dass ihre Probanden objektiv messbare Erfolge bewerteten. So untersuchten sie, wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer es fanden, wenn der Berufsverband der US-Polizei einen fiktiven Mordermittler dafür auszuzeichnen würde, dass er jahrelang immer die meisten Fälle aufklärte. Oder wenn der Verband ganze Abteilungen für ihre Aufklärungserfolge auszeichnete. Die Probanden fanden es durchweg viel beeindruckender, wenn einzelne Ermittler für die höchsten Fallzahlen belohnt wurden. Anders könnte es aussehen, so die Forscher, wenn es um Künstler oder Musiker geht. Denn ihre Erfolge hängen vom Publikumsgeschmack ab, sie sind kaum objektiv zählbar wie die gelösten Fälle eines Polizeiermittlers.  

Unternehmen können sich das für Werbung und Marketing zunutze machen. Aber geht es um Leistungsbewertung in den Organisationen, ist Fingerspitzengefühl gefragt. Psychologische Forschungen zeigen, dass es innerhalb von Teams und in Unternehmen das Arbeitsklima verschlechtert, wenn die Leistungen einzelner sehr hervorgehoben werden, etwa in Form von Bonuszahlungen. Aus Teammitgliedern werden dann Wettbewerber – was sich auf die Teamleistung negativ auswirken kann. Dagegen fragten Gilowich und Walker ihre Probanden nach erfolgreichen Menschen, die weit von ihnen weg waren. 

Jesse Walker, Thomas Gilovich: The streaking star effect: Why people want superior performance by individuals to continue more than identical performance by groups. Journal of Personality and Social Psychology, 2020. DOI: 10.1037/pspa0000256

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