Müde in der Videokonferenz

Stimmt es, dass Onlinemeetings müder machen als Treffen vor Ort? Offenbar ja, stellten Psychologinnen und Psychologen in einer kleinen Studie fest.

Videokonferenzen gelten als effizient und produktiv. Aber diese Vorzüge erkaufen wir uns mit einem Preis, stellen Psychologen und Psychologinnen fest. Erstmals überprüften sie das in den Medien beschriebene Phänomen der „Videomeeting-Müdigkeit“ in einer kleinen explorativen Studie mit 55 Erwerbstätigen aus unterschiedlichen Branchen. Das war möglich, weil die Anzahl der Videokonferenzen seit dem Beginn der Corona-Pandemie so stark zugenommen hat. Videokonferenzen machen offenbar tatsächlich auf eine besondere Art müde. Diese Art der Müdigkeit unterscheide sich von der am späten Nachmittag auftretenden arbeitsbedingten Müdigkeit insofern, als sie sich bei den Teilnehmenden direkt und mitten im Meeting einstellte, besonders oft in Videokonferenzen zwischen 10.30 und 11.30 Uhr.

Kolleginnen und Kollegen - und ich

Von dieser Erschöpfung berichteten fast alle, die bei der Studie mitmachen und dafür fünf Tage lang neun Mal täglich über ihre Smartphones befragt wurden sowie individuelle Selbsteinschätzungen schickten. Sie benutzten Begriffe wie „erschöpft“, „abgekämpft“, „belastend“. Eine Person drückte es so aus: „Während des Meetings bin ich müde, danach extramüde.“ Als sehr fordernd erlebten die Verspersonen das pausenlose Schauen auf den Monitor: „Ich spüre die Erwartung, dass ich die ganze Zeit in die Kamera starre,“ hieß es beispielsweise. Es sei anstrengend, nicht nur die Kolleginnen und Kollegen, sondern auch das eigene Konterfei zu sehen, gab ein Teil der Befragten zu Protokoll. Einige berichteten davon, dass sie sich wohler fühlten, wenn sie zwischendurch die Kamera ausschalten durften. Oder sie probierten, ob sie mit dem Ausschalten von Kamera oder Mikrofon die eigene Müdigkeit lindern könnten. Ebenfalls als ermüdend wurden technische Probleme, etwa mit der Übertragung, geschildert. Einige begannen während der Videomeetings, ohne dass sie es merkten, sich mit der Bearbeitung anderer Aufgaben selbst abzulenken. Diejenigen der Probandinnen und Probanden, die sich ihrem Team zugehörig fühlten, waren durch die Onlinemeetings etwas weniger erschöpft als andere, bei denen das weniger der Fall war.  

Unerwartet war für die Forschenden das Ergebnis, dass Videokonferenzen gleich nach der Mittagspause eher als „Muntermacher“ erlebt wurden. Warum das so war, ließ sich nicht klären, vielleicht einfach, weil die Teilnehmenden direkt davor eine längere Pause gemacht hatten und die Videomeetings dazu beitrugen, das normale Mittagstief schnell wieder zu beheben. Teilnehmende befürworteten die Videomeetings und sahen darin für die zu Hause Arbeitenden eine wichtige Möglichkeit sei, die Verbindung zu den Kolleginnen und Kollegen zu halten.

Die Forscherinnen und Forscher haben folgende Empfehlungen:

  • Den frühen Nachmittag nutzen

  • Gelegenheit zum Small Talk vor oder nach dem Meeting, um das Gefühl der Zugehörigkeit zu stärken

  • Zwischendurch auch mal wegschauen, aufstehen und ein paar Schritte gehen

  • Vereinbaren, dass während eines Onlinemeetings nicht nebenbei gearbeitet wird

Darüber hinaus bedürfe es weiterer Forschung, wie Onlinekonferenzen so gestaltet werden können, dass Teilnehmende nicht zu stark ermüden.

Andrew A. Bennet u. a.: Videoconference fatigue? Exploring changes in Fatigue after vidoconference meetings during COVID-19. Journal of Applied Psychology, 2021. DOI: 10.1037/apl0000906

Artikel zum Thema
Beruf
Leere Büros, Online-Meetings, Vereinzelung: Joachim Hipp coacht Führungskräfte und spricht über Corona-bedingte Herausforderungen. ​
Beruf
​Un-Ort der Arbeit, Sehnsuchtsphantasie für Pendler, Corona-Albtraum? Zu Hause arbeiten kann vieles bedeuten. Über die Psychologie des Homeoffice.
Beruf
Narzisstinnen und Narzissten nehmen zwar kollegiale Unterstützung an, aber das kränkt sie und sie können nichts zurückgeben.
Anzeige
Psychologie Heute Compact 76: Menschen lesen