Einfühlsame Kommunikation

Konflikte enden nicht in einem großen Streit, wenn die Kontrahenten sich verstanden fühlen. Das ermöglicht die Methode der gewaltfreien Kommunikation.

Eine junge Frau mit blonden langen Haaren hält fürsorglich einen jungen Hund im Arm und redet einfühlsam mit ihm
Wie schafft man es einfühlsam zu kommunizieren? © Catherine Falls Commercial/Getty Images

Gewaltfreie Kommunikation bedeutet zweierlei: Zum einen handelt es sich um eine Kommunikationstechnik, mit deren Hilfe sich Konflikte deeskalieren lassen; und zum anderen ist es eine Haltung, die sich auf gegenseitigen Respekt und gegenseitige Wertschätzung gründet. In der gewaltfreien Kommunikation, die auch als einfühlsame Kommunikation bezeichnet wird, geht es darum, zu lernen, sich „ehrlich und klar auszudrücken“, wie Marshall B. Rosenberg, der Begründer der Technik, schreibt.

Bei den vier Schritten der…

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der Begründer der Technik, schreibt.

Bei den vier Schritten der gewaltfreien Kommunikation handelt es sich um das Mitteilen

1. einer Beobachtung
2. von Gefühlen
3. von Bedürfnissen
4. einer Bitte.

Eine Grundlage der gewaltfreien Kommunikation ist, zu beobachten, ohne zu bewerten. Wenn man sich den Satz eine Weile durch den Kopf gehen lässt, stellt man fest, vor welche Herausforderung er einen stellt. Denn von klein auf haben wir gelernt, eine Beobachtung mit einem Urteil zu versehen und eine Situation erst einmal pauschal abzustempeln. Folgendes Beispiel soll verdeutlichen, wie wir gelernt haben, zu denken und zu kommunizieren, und welche Alternative die vier Schritte der gewaltfreien Kommunikation bieten.

Ein Paar hatte gemeinsam vereinbart, den zehnten Hochzeitstag mit einem schönen Abendessen zu Hause zu feiern. Sie wollte etwas Besonderes kochen, und er wollte um 19 Uhr zu Hause sein. Letztendlich kam er erst um 20.30 Uhr, das Essen war kalt, seine Frau stocksauer und der Abend im Eimer. Es hagelte Vorwürfe und Schuldzuweisungen, bis hin zu der Unterstellung, dass er sie ja überhaupt nicht mehr liebe. Er knallte daraufhin wutentbrannt die Tür zu und verließ die Wohnung.

1. Schritt: Beobachtung

Eine Beobachtung schildert ganz sachlich, was soeben passiert ist, was man gesehen, gehört, geschmeckt, gerochen oder körperlich wahrgenommen hat. Sie bezieht sich ganz konkret auf eine bestimmte Zeit und den Handlungszusammenhang. Dabei geht es um Fakten und nicht darum, wie wir sie bewerten. Bei diesem ersten Schritt spielen Emotionen noch keine Rolle. Leider passiert es aber oft, dass wir den Partner sofort unkontrolliert mit unseren Gefühlen konfrontieren, was nicht selten zu einer Eskalation der Situation führt. Wenn man sich in den vier Schritten ausdrücken möchte, ist es deshalb wichtig, die nötige Ruhe dazu zu haben. Das bedeutet nicht, dass man keine Emotionen zeigen darf oder seine Gefühle unter den Teppich kehren soll – im Gegenteil: Gefühle spielen eine entscheidende Rolle in der gewaltfreien Kommunikation. Emotional zu reagieren – in Worten und Gedanken – ist ausdrücklich erlaubt, solange man einen Menschen nicht angreift, beschimpft oder verurteilt.

Die Frau aus dem Beispiel hätte in einem ersten Schritt dem Partner ihre Beobachtung schildern können: „Ich erinnere mich, dass wir heute Abend für 19 Uhr verabredet waren. Jetzt ist es 20.30 Uhr.“ (Beobachtung: 90 Minuten später als verabredet.) Leider passiert es oft, dass wir sachliche Beobachtungen mit Bewertungen, Kritik, Interpretationen, Analysen, Schlussfolgerungen oder Unterstellungen vermischen. „Du bist anderthalb Stunden zu spät. Hat man dich wieder nicht gehen lassen?“ „Schön, dass du auch mal nach Hause kommst! Dein Job ist dir anscheinend wichtiger als unsere Ehe, was?“ Das sind Sätze, die widerspiegeln, was sich im Kopf der Frau abspielt, was vorgefallen sein könnte und was sie durch ihre Äußerungen ihrem Mann unterstellt. Genauso oft passiert es, dass man in Situationen, in denen man sich ärgert, verallgemeinert oder übertreibt, was den anderen provoziert; denn auch dabei handelt es sich nicht um sachliche Beobachtungen: „Nie kommst du pünktlich!“ Oder: „Immer, wenn ich mir Mühe mache, ist es umsonst!“ Wörter wie immer, nie, ständig, schon wieder, jemals, jedes Mal oder immer wieder verschärfen – wenn sie als Übertreibung gemeint sind – die Situation und tragen nicht zu einer friedlichen Lösung des Konflikts bei. Sehr wahrscheinlich sieht sich unser Gegenüber stattdessen in solchen Situationen persönlich angegriffen, zieht sich verletzt zurück oder geht zum Gegenangriff über.

2. Schritt: Gefühle

Nachdem man also eine neutrale Beobachtung geäußert hat, folgt in einem zweiten Schritt die Wiedergabe der damit verbundenen eigenen Gefühle. Das Mitteilen von Gefühlen bringt uns mit dem anderen in Kontakt und macht verständlicher, wie es uns in einer bestimmten Situation geht. Würde die Frau aus unserem Beispiel sagen: „Jedes Mal, wenn ich mich auf einen gemeinsamen Abend freue, musst du mich enttäuschen!“, würde sie die Verantwortung für ihre Gefühle vollständig in die Hände ihres Mannes legen. Wenn sie lediglich ihr Gefühl wertfrei zum Ausdruck bringen würde, könnte sie sagen: „Ich bin ziemlich traurig und enttäuscht.“

3. Schritt: Bedürfnisse

Dass eben nicht ein anderer die Verantwortung für unsere Gefühle trägt, erkennt man, wenn man sich nach den Bedürfnissen fragt, die den Gefühlen zugrunde liegen. Das ist der dritte Schritt des Sich-aufrichtig-Mitteilens in der gewaltfreien Kommunikation. Nach der Benennung seines Gefühls erfolgt die Beschreibung des dahinterliegenden Bedürfnisses. Mit dem Satz „Ich möchte, dass du nicht immer zu spät kommst!“ ist allerdings kein Bedürfnis zum Ausdruck gebracht. Stattdessen könnte die Frau aus dem Beispiel in einem dritten Schritt sich wie folgt äußern: „Ich bin ziemlich traurig und enttäuscht [2. Schritt: Gefühl], denn mir ist es wichtig, dass wir uns aufeinander verlassen können“ (3. Schritt: Bedürfnis – Verlässlichkeit).

4. Schritt: Bitte

Der vierte Schritt, das Mitteilen einer aufrichtigen Bitte, führt dazu, dass wir mit unserem Partner auf verbaler Ebene wieder in einen Dialog kommen, denn mit einer Bitte richten wir uns direkt an ihn und sagen ihm, was wir brauchen, damit es uns besser geht. In der gewaltfreien Kommunikation gibt es zum einen beziehungsorientierte Bitten, in denen es darum geht, sich des Verständnisses des Partners zu vergewissern – zum Beispiel „Ich würde gerne wissen, wie es dir geht, wenn ich das sage“ –, und zum anderen gibt es lösungsorientierte Bitten, die zur Klärung der Situation beitragen. Lösungsorientierte Bitten beziehen sich konkret auf die Situation und richten sich auf die Gegenwart. Es ist hilfreich, diese Bitten handlungsbezogen, konkret und positiv zu formulieren. Wenn man den Partner darum bittet, etwas nicht (mehr) zu tun, kann das zu vielen Missverständnissen in der Zukunft führen. Wenn die Frau aus dem Beispiel ihren Mann bitten würde, in Zukunft „nicht mehr zu spät zu kommen“, ist er vielleicht das nächste Mal eine Stunde zu früh zu Hause – was sie wiederum ärgern könnte, denn zu diesem Zeitpunkt möchte sie vielleicht noch diverse Dinge allein erledigen. Sie könnte ihn also „gewaltfrei“ bitten: „Könnten wir jetzt vereinbaren, dass du mir in Zukunft eine Stunde früher Bescheid gibst, wenn es bei dir mehr als 15 Minuten später als verabredet wird?“

Eine Bitte ist in der gewaltfreien Kommunikation nur dann wirklich eine Bitte, wenn sie demjenigen, an den sie gerichtet ist, eine Entscheidungsfreiheit zubilligt und weder ausgesprochen noch unausgesprochen ein Sollte („Du solltest bitte noch aufräumen!“) oder ein Müsste („Du müsstest bitte noch schnell einkaufen gehen!“) enthält. Niemand möchte sich gerne zu etwas zwingen lassen. Nach Marshall B. Rosenberg hat jemand, der sich mit einer Forderung konfrontiert sieht, nur zwei Möglichkeiten: Unterwerfung oder Rebellion.

Bei der Formulierung der vier Schritte ist es sinnvoll, so wenig Worte wie möglich und so viele Worte wie nötig zu verwenden. Oft verwirren und überfordern wir unseren Partner, wenn wir lange ausholen, eine Beobachtung in aller Breite schildern, dann unsere Gefühle bis ins kleinste Detail wiedergeben, eine lange Kette unerfüllter Bedürfnisse auflisten und zum Schluss eine komplizierte Bitte formulieren.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem jüngst im Verlag Kreuz erschienenen Buch von Ronald Hempel und Anika Hempel: Liebevolle Partnerschaft. Gewaltfreie Kommunikation für Paare.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 12/2013: Versteh mich doch!