Beschützerinstinkt hilft nicht

Wenn ein Familienmitglied stirbt, sind oft auch Kinder mit betroffen. Was können Eltern tun, um ihr Kind nach dem Verlust eines geliebten Menschen zu unterstützen?

Foto zeigt trauriges Mädchen, das von einer Frau tröstend im Arm gehalten wird
Die Traurigkeit gemeinsam zulassen - das hilft Kindern nach einem Todesfall. © plainpicture/Hollandse Hoogte

Als Eltern sind wir natürlicherweise darauf ausgerichtet, Schaden und seelische Belastungen von unseren Kindern fernzuhalten. Diesem eingeübten und sonst auch meistens sinnvollen Impuls zu widerstehen ist im Zusammenhang mit dem Tod eines Elternteils oder Geschwisterkindes sehr schwer.

Was Geheimnisse anrichten können

Bei vielen Themen und Ereignissen mag es zutreffen, dass sie noch nicht für ein Kindergemüt geeignet sind. Ist allerdings ein Kind persönlich davon betroffen und ändert sich das Leben des Kindes, weil ein nahes Familienmitglied gestorben ist, so ist es ganz wichtig, dass Sie Ihr Kind einbeziehen. Das kann jeweils altersgerecht gelingen. Geheimnisse sowie alle Versuche, ernste und schreck­liche Ereignisse vor dem Kind zu verbergen und fernzuhalten, schaden ihm. Kinder spüren Verschleierungen. In der Folge fühlen sie sich nicht nur gekränkt, dass sie nicht miteinbezogen werden, sondern sie beginnen, ihrem Umfeld nicht mehr so recht zu trauen. Selbst in einer unbelasteten Situation ist das natürlich schlimm; in einer Verlustsituation kann das sehr schlechte Auswirkungen auf Ihr Kind haben: Die Welt Ihres Kindes ist durch den Tod des geliebten Menschen erschüttert, und nun verliert es auch noch sein Vertrauen in die verbliebenen anderen wichtigen Bezugspersonen. Zudem ist in so einer schwierigen Situation die Fantasie Ihres Kindes nicht zu unterschätzen. Das Gehirn sucht Erklärungen und reimt sich mangels offener und ehrlicher Informationen eine Menge zusammen, was wesentlich schlimmer als die Realität ist. So kann es geschehen, dass wir mit unserem Beschützerinstinkt das Gegenteil von dem erreichen, was wir beabsichtigen.

Abschiedsrituale machen für Kinder ebenso Sinn wie für Erwachsene

Abschiedsrituale wie die Beerdigung oder sich am offenen Sarg noch einmal zu verabschieden sowie kleine Abschiedsgeschenke wie Bilder, Briefe und andere Andenken in den Sarg zu legen, haben ihren Sinn. Wieso sollten diese nur Erwachsenen vorbehalten sein? Erklären Sie Ihrem Kind möglichst genau, was vor sich geht, warum die Menschen das tun und wie es ihnen damit geht. Fragen Sie Ihr Kind, was es selbst denkt, fühlt, gerne tun oder nicht tun möchte. Daher ziehen Sie Ihr Kind mit in die Vorbereitungen ein, muten Sie Ihrem Kind Aufgaben zu und geben Sie ihm die Chance, an der Krise zu wachsen, auch wenn es Ihnen dafür viel zu früh erscheint. Das Schicksal fragt einfach nicht nach dem richtigen Timing. Das eigene Kind in dieser Weise zu begleiten ist oft sehr schwer, zumal Sie selbst ebenfalls um die geliebte Person trauern. Machen Sie sich dieses klar: Ihr Kind hat einen geliebten Menschen verloren, es muss damit in Zukunft leben – und das ist wesentlich schlimmer und härter als eine Beerdigung oder eines der anderen Rituale. Sie helfen uns – großen Menschen ebenso wie kleinen. Dürfte Ihr Kind aber an einem hilfreichen Ritual nicht teilnehmen, bei dem alle anderen dabei waren, würde es sich ausgeschlossen fühlen. Das würde die Lücke, die der Verstorbene hinterlässt, nur vergrößern. Vertrauen Sie darauf, dass auch Ihr Kind Kraft aus der Gemeinschaft und den Ritualen ziehen wird. Haben Sie keine Sorge, dass etwas un­zumutbar für Ihr Kind sein könnte. In der Regel können Sie die Situation durch offene und ehrliche Gespräche nicht verschlimmern. Sind Sie dennoch unsicher? Das kann durchaus sein, da Sie selbst durch den Verlust auch zutiefst getroffen und wahrscheinlich ebenfalls erschüttert sind. Dann suchen Sie für sich und Ihr Kind Unterstützung, eventuell auch durch eine Trauerbegleitung.

Auf Ihr Kind und nach innen hören

Es kann sein, dass Sie sich nach dem Verlust Ihres geliebten Menschen zunächst hauptsächlich im Überlebensmodus befinden: Ihre Wahrnehmung ist auf das Wichtigste und auf eine Menge Ängste reduziert. Haben Sie Ihren Lebenspartner verloren, fehlt Ihnen wahrscheinlich jedwede Erfahrung mit so einem Verlust. Sie müssen erstmals in kleinen Schritten und wohl über einen langen Zeitraum hinweg einen neuen Weg durch Ihre Trauer und für sich finden. Versuchen Sie dennoch, Ihr Kind dabei zu unterstützen, auch seinen eigenen Weg der Trauer und der Verarbeitung finden zu können. Stellen Sie sich möglichst seinen Fragen, hören Sie auf die Ideen und Vorschläge. Entwickeln Sie mit Ihrem Kind gemeinsam ein Abschiedsritual, das ganz Ihnen beiden und dem Verstorbenen entspricht. Beerdigung und Trauer dürfen ganz klar Ihren Stempel tragen. Mittlerweile ist es normal geworden, eigene Wege zu gestalten und zu beschreiten. Obwohl das im Moment vielleicht kaum vorstellbar für Sie ist, legen Sie damit in Ihrem Kind einen gesunden Samen dafür, auch später in schwierigen Situationen den Mut zu haben, in sich hineinzu­hören, zu ergründen, wie seine Bedürfnisse sind, eigene Strategien zu entwickeln und diese umzusetzen.

Zeigen Sie Ihrem Kind Ihre Trauer

Wenn Sie Ihre Trauer vor Ihrem Kind verbergen, kann das bei Ihrem Kind eine große Irritation hervorrufen: Ihr Kind trauert, bemerkt aber gleichzeitig, dass es wohl als Einziges immer wieder einmal weint oder sich lustlos, wütend und antriebsschwach fühlt. Daraus könnte Ihr Kind den Rückschluss ziehen, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Deshalb ist es ratsam, Ihr Kind auch Ihre Gefühle mitbekommen zu lassen. Natürlich werden Sie große Trauerausbrüche allein mit sich oder mit einer erwachsenen Hilfs­person ausmachen, aber Ihr Kind darf Ihre Tränen sehen, wenn sie unvermutet kullern. Dann erklären Sie Ihrem Kind, dass Sie gerade an die verstorbene Person denken und Sie diese vermissen. Erzählen Sie, dass Ihre Gefühle sich ständig ändern, dass es Regungen sind, die Sie so überhaupt noch nie erlebt haben, dass Sie sich erst an die neue Situation gewöhnen müssen. Gestehen Sie ruhig, wie ungeduldig Sie oft sind und dass Sie manchmal das Gefühl haben, keine Kraft zu besitzen. Aber sprechen Sie auch darüber, wie sehr Sie sich wundern, wie Ihnen dennoch vieles gelingt, dass nach den kraftlosen und sehr traurigen Momenten die Energie und Ihr Lebensmut wieder auftauchen, wie sehr Sie sich freuen, dass Ihr Kind noch bei Ihnen ist, und dass Sie sicher sind, dass Sie gemeinsam alles irgendwie und vor allem gut überstehen werden, auch wenn Sie im Moment nicht ganz genau wissen, wie es geht. Sagen Sie ruhig, dass Sie bei all dem Traurigen niemals das große Ganze aus den Augen verlieren, nämlich die Liebe zu Ihrem Kind. So eröffnen Sie die Möglichkeit, dass Ihr Kind ebenfalls über seine Trauer spricht und Sie in seine ebenfalls ständig wechselnden Gefühlswelten miteinbezieht. Bei diesen Gesprächen erleben Sie vermutlich, dass Ihr Kind gestärkt und ermutigt daraus hervorgeht, und das verbindet Sie auf eine ganz einzigartige Weise, die Sie unter normalen Umständen kaum erreichen können.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch Kinder in der Trauer: Verstehen, trösten und ermutigen. Ein Begleitbuch für Eltern von Eva Terhorst und Tanja Wenz. Herder, München 2020, 192 S., € 18,-

Artikel zum Thema
Leben
Wie leiste ich richtig Beistand? Ein Waldspaziergang oder das Lieblingsessen kochen: Vieles kann trösten. Manchmal genügt aber auch bloß: Da sein.
Leben
Der Suizid eines Nahestehenden stürzt die Hinterbliebenen in eine Flut widersprüchlicher Gefühle. Was tun, wenn sie nicht verebbt?
Familie
Eine Forschergruppe zeigte, dass sich die Kommunikation der Eltern mit dem Kind nach seinen ersten Schritten ändert.
Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute Compact 64: Trauer und Verlust
Anzeige
Psychologie Heute Compact 76: Menschen lesen