Herr Hurrelmann, Greta Thunberg, die Freitagsdemonstrationen, die Internetdebatte „OK Boomer“: Gibt es nach 40 bis 50 Jahren erstmals wieder einen Generationenkonflikt mit einer wirklich gesellschaftlichen Dimension?
Ja, wir haben jetzt eine junge Generation oder jedenfalls die auffallend meinungsstarke Spitze der jungen Generation, die einen Generationenkonflikt mit einer Vision angestoßen hat: der Durchsetzung umweltsensibler, klimaschutzorientierter Politik. Das wird mit großem Nachdruck und großer…
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umweltsensibler, klimaschutzorientierter Politik. Das wird mit großem Nachdruck und großer Leidenschaft vertreten – und verbunden mit der Kritik an den älteren Generationen, die sich wenig umweltverträglich verhalten und die Ressourcen der Erde ausgeplündert haben. Die Jüngeren machen die Älteren dafür haftbar.
Einen aggressiven Generationenkonflikt kann ich bisher aber nicht erkennen…
Das alles wird abgefangen dadurch, dass wir eine junge Generation haben, die sich mehrheitlich gut mit ihren Eltern versteht. Und die deshalb Wert darauf legt, keinen offenen Konflikt anzuzetteln, sondern ihre Kritik verlagert auf die machthabenden Politiker und Wirtschaftsbosse, die meist der Babyboomergeneration angehören. Wir sehen also einen leicht abgedämpften Generationenkonflikt mit einer politischen Vision.
Einen Generationenkonflikt light?
Ja, könnte man so sagen – weil die jungen Generationen und ihre Elterngenerationen sich gegenseitig verstehen und respektieren und merken, dass sie aufeinander angewiesen sind. Deswegen ist es kein harter Konflikt. Im Gegenteil: Im Alltag sind sie miteinander verbündet. Die jüngste Shell-Jugendstudie hat gezeigt, dass 90 Prozent der jungen Menschen ein wunderbares Einvernehmen mit ihren Eltern haben und umgekehrt. Fast 75 Prozent der Jüngeren wollen ihre eigenen Kinder in dem Stil erziehen, wie sie selbst erzogen worden sind. Doch in der jungen Generation werden andere Themen und Akzente gesetzt als bei Eltern und Großeltern.
Aber können Kinder ihr Konfliktpotenzial überhaupt entwickeln und schärfen, wenn zu Hause alles friedlich ist?
Die jungen Leute haben dadurch ja vor allem einen Erfahrungshorizont: die tolerante Mutter, den verständnisvollen Vater und das gegenseitige Einvernehmen, dass die Eltern sie im Zweifel immer unterstützen werden. Da könnte dann der letzte Schub fehlen, wenn es hart auf hart käme. Aber: Es liegt auch eine Chance darin, weil schon der leichte Druck auf Mutter und Vater reichen könnte, um beide mit ins Boot zu holen.
Sprich: Wenn die Jungen ihren Eltern nur halbwegs entschieden klarmachen, dass wir alle unsere persönliche Konsumpolitik, unsere Ernährungsgewohnheiten und unsere Mobilität verändern müssen, dann kann sich das gesamtgesellschaftlich stark auswirken. Die Jüngeren beeinflussen die Politik in einer Weise, die sich auf alle Generationen auswirkt und so Veränderungen erzwingt.
Steckt hinter dem Konflikt ein Gefühl der Ungerechtigkeit, vor allem gegenüber der Generation der Babyboomer?
Gegen die 50-plus-Jährigen richtet sich der Groll besonders. Aber ein Ungleichheitsgefühl steckt eher nicht dahinter. Bei den jungen Leuten kommt diese Bedeutung der Klimathematik mehr aus einem intuitiven Gefühl heraus. Sie haben unterschwellig Angst davor, dass die Umwelt sich katastrophal verändert. Sie erspüren Trends sehr früh.
Das Gefühl von Ungerechtigkeit kommt in zweiter Linie auf, wenn sie sehen: Oh, die Generationen der Eltern und Großeltern, die noch 20, 30 Jahre leben, die kommen noch durch. Wir aber nicht mehr. Greta Thunberg bringt es auf den Punkt: 2050 habe ich die Hälfte meines Lebens hinter mir, und dann bin ich nach aller wissenschaftlichen Erkenntnis in Lebensgefahr auf diesem Globus.
Sehen Sie eine Spaltung der Generationen?
Nein. Bisher hat die Bewegung Fridays for Future ihre Haltung nicht so präsentiert, dass es zu einer Spaltung der Generationen gekommen ist, sondern immer wieder versucht, die Älteren mit ins Boot zu holen. Klug wissend, dass politisch nur eine Beeinflussung möglich ist, wenn die größere Gruppe der mittleren Generation und vor allem die riesige Generation der Babyboomer sie unterstützt.
Den größten Generationenkonflikt des 20. Jahrhunderts haben die 68er ausgelöst. Gibt es da Parallelen zu heute?
Ja. Die Parallele ist zunächst einmal, dass eine junge Generation sich über einen längeren Zeitraum so deutlich und so laut Gehör verschafft. Schaut man genauer hin, sind es vielleicht fünf Prozent eines Jahrgangs, die das organisieren, wie bei der 68er-Bewegung damals auch. Diese fünf Prozent haben den Protest im Kern getragen und große politische Wirkung erzielt. Das ist die nächste Parallele: Beide Generationen haben es geschafft, ein einziges politisches Thema ganz in den Vordergrund zu stellen.
Warum gerade diese beiden Generationen?
Das hängt offenbar mit den Chancen zusammen, die eine junge Generation hat. Beide Bewegungen sind entstanden in Zeiten, in denen die Mitglieder dieser Generationen hervorragende Ausgangschancen hatten oder haben. Die Generationen dazwischen fanden wirtschaftlich problematische Lagen vor – und sind nicht politisch geworden.
Wo hören die Parallelen auf?
Die 68er haben wirklich mit den älteren Generationen gebrochen. Sie sind früh aus dem Elternhaus ausgezogen und haben teilweise den Kontakt zu Mutter und Vater vollständig eingestellt. Die jungen Leute heute sind viel kooperativer. Auch sie kritisieren den Lebensstil ihrer Eltern, aber sie bleiben lange im Elternhaus wohnen und bringen die Geduld auf, ihre Eltern zur Veränderung ihrer Verhaltensweisen anzuhalten.
Welche Unterschiede rühren daher, dass die Menschen jeweils ähnlichen Lebensbedingungen ausgesetzt waren?
Darüber haben wir in den Sozialwissenschaften gerade eine spannende Diskussion. Der Soziologe Martin Schröder hat mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels auf die Lebensspanne der Menschen verschiedener Generationen geschaut. Mit dem Ergebnis, dass die Unterschiede zwischen den Generationen gar nicht sehr groß sind, dass also die verschiedenen Generationen unter immer den gleichen Einflüssen stehen.
Das sehe ich nicht so. Denn an jungen Leuten kann man immer genau ablesen, welche neuen Lebensbedingungen auf Menschen einwirken. Die junge Generation erkennt als erste neue Entwicklungen und Tendenzen. Sie erspürt die Trends intuitiv nach der Pubertät mit diesem siebten Sinn, den man in diesem Alter einfach dafür hat. Und sie wird dadurch besonders stark geprägt. Das heißt nicht, dass die mittlere und ältere Generation das nicht auch aufnehmen würden.
Die Älteren wollen wissen: Wie machen das denn meine Kinder? Wie gehen die mit dem Digitalen und der Schnelllebigkeit heute um, mit den veränderten Perspektiven, dass man sich immer neu erfinden muss in Beruf und Privatleben?
Haben wir es in den Unternehmen ebenfalls mit einem Generationenkonflikt zu tun?
Ja, eindeutig. Die heute unter Dreißigjährigen verhalten sich beim und nach dem Eintritt in den Beruf anders als frühere Generationen. Die älteren Generationen können aus Pflichtgefühl Arbeitsprozesse durchhalten, sich über lange Strecken konzentrieren. Deren Muster ist, dass die Arbeit die Basis ist, um zu leben, dass man die Zähne zusammenbeißen muss.
Und das ist bei der Generation Y und wahrscheinlich auch bei den noch Jüngeren nicht mehr der Fall. Die wollen arbeiten und die Chance bekommen, sich persönlich zu entfalten. Und sie hören auf, wenn sie das Gefühl haben, dass ihnen das nichts bringt. Die junge Generation möchte aus Neigung und Interesse arbeiten. Und das kann zwischen den Generationen durchaus konfliktbeladen sein.
Mitten drin im Generationenkonflikt light sind die politischen Parteien, die bei Jüngeren nicht so beliebt sind. Was können sie tun?
Im Moment haben wir eine junge Generation, die mit riesiger Mehrheit die Demokratie gut findet. Trotzdem können es sich junge Leute kaum vorstellen, sich in einer Partei zu engagieren, weil die von der Generation der Babyboomer und ihren schwerfälligen Entscheidungsprozessen dominiert wird: intensive Sitzungen, mühselige interne Abstimmungen mit schmerzhaften Kompromissen.
Eine Aktivistin bei Fridays for Future kann sich sagen: Ich habe in einem Jahr mit dafür gesorgt, dass wir jetzt ein Klimapaket haben. Die Parteien müssen also deutlich machen, was es bringt, wenn man bei ihnen Mitglied ist, am besten über digitale Kommunikationskanäle. Sie müssen auch inhaltlich auf die jungen Leute zugehen, sie und ihre Themen ernst nehmen und ihnen das Recht geben, sofort die alten, festen Strukturen zu verändern. Vielleicht wäre eine Jugendquote sinnvoll: zum Beispiel, dass die Kandidaten für Posten und Wahlen zu 25 Prozent unter 30 Jahre alt sind.
Das klingt nach einem generellen Antidot gegen den Konflikt…
Das kann man wohl sagen. Viele Unternehmen haben ja schon ein Generationenmanagement eingeführt: Sie bringen die Vertreter verschiedener Generationen zusammen und lassen sie ihre unterschiedlichen Positionen und Interessen artikulieren.
Könnte das Thema Rente und Absicherung dann der nächste Fokus im Generationenkonflikt werden?
Das kann ich mir vorstellen. Die jungen Leute, die heute aktiv Umweltpolitik machen, könnten erstens deutlich erkennen, dass Umweltpolitik in viele Politikfelder ausstrahlt: Energie, Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft. Und eine zweite Schiene wäre in der Tat, Generationennachteile klar zu thematisieren. Dann könnten Rente und Absicherung schnell das nächste große politische Thema der Jungen sein, aber auch Schulden.
Wie ließe sich ein Generationenkonflikt so gestalten, dass er für beide Seiten fruchtbar ist?
Indem man die Generationen und ihre Lebenserfahrungen, ihre Stärken und Schwächen in einer klug moderierten Weise zusammenbringt. Und indem man die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Generationen nicht leugnet, sondern sie offen thematisiert.
Als Gesellschaft haben wir es bitter nötig, die verschiedenen Interessen auszugleichen. Siehe Großbritannien: So eine Lebensentscheidung wie der Brexit ist ganz schwer wieder einzuholen und trägt sehr zerstörerische Kräfte in sich, denn es werden die Unterschiede betont und nicht die Gemeinsamkeiten. Und zu einem Interessensausgleich trägt erfreulicherweise die jüngste Generation Z, auch Generation Greta genannt, am stärksten bei.
Sie macht deutlich, dass sie ihre Interessen als junge Generation wichtig findet, und verschafft sich Gehör. Und sie signalisiert gleichzeitig, dass sie mit den älteren Generationen kooperieren will. Eigentlich zeichnen uns damit die jungen Leute die Lösung vor.
Die Babyboomer und ihre Nachfolger
Die Babyboomer, etwa 1956 bis 1970 geboren: Sie fanden in ihrer Jugendzeit eine gute berufliche Ausgangslage in Zeiten des „Wirtschaftswunders“ vor. Sie bilden die zahlenmäßig stärksten Jahrgänge in Deutschland überhaupt. Sie wuchsen in einem geschützten Umfeld auf und erlebten zum ersten Mal nichtautoritäre Familienverhältnisse. Sie entwickelten „postmaterialistische“ Wertorientierungen und setzten sich politisch für eine gute Lebensqualität und eine saubere Umwelt ein. In einigen Unternehmen stellen sie fast die Hälfte der gesamten Belegschaft.
Die Generation X, zwischen 1971 und 1985 geboren, wurde in wirtschaftlichen Krisenzeiten groß. Diese Jugendlichen erfuhren eine gute Ausbildung, konnten ihre Individualität voll entfalten, genossen eine noch so gerade sichere Wohlstandsgesellschaft, zeigten aber deutliche Spuren der Unsicherheit und Unzufriedenheit. Weil praktisch alle Leitungspositionen schon durch Babyboomer besetzt waren, als sie ins karriereträchtige Alter kamen, blieben für sie wenige gestaltende Aufgaben übrig.
Die Ypsiloner: Die zwischen 1985 und 2000 Geborenen bilden die erste Generation, die in der Wissensgesellschaft aufwuchs und früh die Auswirkungen der Digitalisierung zu spüren bekam. Von ihrer späten Kindheit an sind sie mit der Nutzung digitaler Endgeräte vertraut. Parallel dazu haben sie in ihrer Jugendzeit lange Phasen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktkrise erdulden müssen. Sie waren zu Flexibilität und Opportunismus gezwungen und gewöhnten sich eine fragende und suchende Grundhaltung an, die im Amerikanischen mit dem Wort why auf den Punkt gebracht wird. So ist die Metapher der „Generation Y“ entstanden.
Generation Z: Zur jüngsten Generation, die bisher die Bezeichnung „Z“ erhalten hat, lassen sich die nach 2000 Geborenen zusammenfassen. Die ersten von ihnen treten jetzt in das Berufsleben ein.
Klaus Hurrelmann, Soziologe und Psychologe, ist Professor an der Hertie School of Governance in Berlin. Hurrelmann ist Mitautor der aktuellen Shell-Jugendstudien und hat mit Erik Albrecht das Buch Generation Greta verfasst, das dieser Tage bei Beltz erscheint
Besuchen Sie uns bei Psychologie Heute live! auf der Leipziger Buchmesse: Zum Thema „Generationenkonflikt“ diskutieren Klaus Hurrelmann, Erik Albrecht und zwei Vertreterinnen der „Generation Greta“. Durch das Gespräch führt Psychologie Heute-Redakteurin Susanne Ackermann. Am Freitag, 13. März, um 14 Uhr im Forum Sach- und Fachbuch, Halle 3, Stand H300