Herr Woodbury, Sie lehnen den Begriff „Klimawandel“ ab. Was ist daran denn schlecht?
Er führt in die Irre. Genau wie die Formulierung „globale Erwärmung“ spiegelt „Klimawandel“ nicht den Ernst des Problems wider. Denn alles wandelt sich. Wir sind es gewohnt, uns zu wandeln. Menschen passen sich an Veränderungen an. Veränderung ist keine große Sache. Was gerade passiert hingegen schon.
Ist das nicht gerade das Gute am Begriff Klimawandel – er transportiert die Botschaft: Wir müssen nicht resignieren, sondern…
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das Gute am Begriff Klimawandel – er transportiert die Botschaft: Wir müssen nicht resignieren, sondern können noch etwas tun?
Es impliziert ja nur, dass sich Menschen anpassen können. Sie wandeln sich, während das Klima sich wandelt. Aber das ist eine passive Reaktion. Was es braucht, ist eine aktive Reaktion. Neulich schrieb der New York Times-Kolumnist Bret Stephens, Klimawandel bedeute Wandel, nicht Untergang. Das zeigt, wie einfach es ist, das Thema mit diesem unbedenklichen Label aus unseren Köpfen zu streichen.
Warum sträuben wir uns denn davor, uns mit dem Thema zu befassen?
Wir fühlen uns angesichts der existenziellen Krise überfordert und machtlos. Unser Gehirnareal, das Gefühle verarbeitet, sorgt entweder dafür, dass wir vor Angst erstarren und nichts tun, oder wir werden wütend, schlagen um uns und beschuldigen uns gegenseitig, wie wir es auf der politischen Bühne sehen. Oder wir fliehen.
Wie können Menschen denn vor dem Klimawandel fliehen?
Mit Ablenkung. Wir beschäftigen unseren Geist auf andere Weise. Mit Smartphones zum Beispiel. Oder mit Schmerzmitteln. In den USA grassiert eine regelrechte Opiat-Endemie. Und der Schmerz, dem die Menschen zu entkommen versuchen, ist eindeutig psychischer Natur. Je chaotischer das Klimasystem wird, davon bin ich überzeugt, desto stärker spiegelt sich dieses Level an Chaos auch in kulturellen und politischen Gruppenpathologien wider.
Das müssen Sie erklären.
Viele Menschen in den USA sagen: Ich glaube nicht an deine Fakten und deine Wahrheit. Ich habe alternative Fakten und eine alternative Wahrheit. Damit wird die Wahrheit subjektiv. Und das ist eine sehr komfortable Weltsicht im Angesicht einer existenziellen Katastrophe.
Sind wir denn alle mehr oder weniger Klimawandelleugner?
Auf bestimmte Weise ja. Leugnung ist erst mal eine natürliche Reaktion auf eine existenzielle Krise. Und genau das tun wir im Prinzip alle schon damit, dass wir die Klimakrise als ein rein wissenschaftliches oder politisches Thema unter vielen anderen sehen. Das erlaubt uns, die Bedrohung von unseren Gefühlen auszulagern. Deshalb finde ich so erfrischend und lehrreich, was Greta Thunberg sagt. Die 16-Jährige Schülerin aus Schweden ist vielleicht die einzige Person auf der Welt, die die Bedrohung nicht verleugnet, sondern als das sieht, was sie ist. Sie sagt: „Ihr seid alle verrückt! Das ist eine existenzielle Bedrohung. Also sollten wir die ganze Zeit darüber reden und alle Zeitungen darüber schreiben.“ Für sie ist es eine sehr persönliche Krise. Und das ist sie für alle. Denn das, was wir dem Planeten antun, traumatisiert uns.
Sie schlagen deshalb vor, nicht mehr von Klimawandel zu sprechen, sondern von Klimatrauma. Ist das nicht etwas übertrieben?
Trauma ist eine psychische Erschütterung, die unsere Fähigkeit übersteigt, damit fertigzuwerden, die uns überwältigt und hoffnungslos und verzweifelt fühlen lässt. Und genau das ist die Klimakrise. Ein globaler Anschlag auf die Biosphäre, viele Arten drohen auszusterben und Wettermuster verändern sich. Mit anderen Worten: Das Leben, wie wir es kannten, verschwindet gerade. Und das ist emotional überwältigend und unheimlich belastend und macht uns machtlos. Die Klimakrise ist also eine Form des Traumas. Das anzuerkennen ist der erste Schritt zur Genesung.
Verwandeln Sie mit dieser Zuschreibung die Welt nicht in das Wartezimmer eines Psychiaters?
Ich möchte die Welt nicht pathologisieren, sondern dass wir anerkennen, dass es ein Problem gibt und wir uns dem stellen müssen. Greta Thunberg drückt es so aus: „Benehmt euch wie Erwachsene.“
Nicht Politiker oder Klimaforscher sollen also die Klimakrise lösen, sondern Psychologen und Psychiater?
Es ist völlig unrealistisch zu glauben, dass das Problem von oben herab gelöst wird. Wir leben in einer Welt, in der Energiekonzerne im Grunde die Rolle von Regierungen übernehmen. Sie handeln global und halten das Problem aufrecht. Und die Politiker ermöglichen ihnen das, während wir es den Politikern ermöglichen. Selbst das Pariser Klimaabkommen hat daran nichts Grundlegendes geändert.
Wir müssen das Problem selbst lösen und nicht warten, bis Regierungen es tun. Der hauptsächliche politische Wandel kommt von Menschen, die Verantwortung für die Klimakrise in ihrem eigenen Leben übernehmen. Und sozialen Bewegungen beitreten.
Zum Beispiel?
Der Plan eines Green New Deal in den USA stammt nicht aus einer Regierungsbehörde, sondern aus einer Graswurzelbewegung. Sie fordert einen ökologischen Umbau der Industriegesellschaft und wird inzwischen von prominenten Demokraten wie Bernie Sanders unterstützt. Und das wäre eine Lösung für die Klimakrise, die praktikabel ist. Solch eine Art Transformation der Gesellschaft brauchen wir. Wird diese Erfolg haben, dann deshalb, weil es die Leute verlangen.
Sie sagen, das Klimatrauma sei anders als alle anderen Formen des Traumas. Warum?
Es fängt schon damit an, dass wir gleichzeitig Opfer und Täter sind. Außerdem ist das Klimatrauma allumfassend und global, es durchdringt alles und ist kontinuierlich, weshalb wir fortwährend traumatisiert werden. Und das triggert all unsere kulturellen Traumata.
Was meinen Sie damit?
Nehmen wir die „MeToo“-Bewegung oder die „Black Lives Matter“-Bewegung, aber auch die „White Supremacy“-Bewegung. All das spiegelt kulturelle Traumata wider, die wir nie gelöst haben und die alle auf einmal an die Oberfläche gelangen.
Und das Klimatrauma bringt alle diese Probleme auf einmal ans Licht?
Ja, das ist das Besondere daran. Es ist eine dauerpräsente existenzielle Bedrohung. Schmelzende Eiskappen und erodierende Küsten, Stürme und Überflutungen, sterbende Korallenriffe und Regenwälder werden von den Medien rund um die Uhr in unsere Wohnzimmer übertragen. Und das aktiviert alle anderen ungelösten kulturellen Traumata. Wie bei einer posttraumatischen Belastungsstörung: wenn ein Trigger, zum Beispiel ein Feuerwerk, das ursprüngliche Trauma aus einem Kriegseinsatz wieder in Erinnerung ruft.
Das erklärt auch, warum im Umkehrschluss sich viele weigern, die Klimarealität anzuerkennen. Wenn wir das Klimatrauma lösen wollen, müssen wir auch alle anderen kulturellen Traumata lösen.
Auf welche Forschung stützen Sie Ihre Theorie?
Es ist in der Psychologie anerkannt, dass Naturkatastrophen besonders für Menschen traumatisierend sein können, die bereits in irgendeiner Form ein Trauma erlitten haben, sei es durch Misshandlung, einen Unfall oder eine andere Katastrophe. Je mehr traumatische Ereignisse jemand erlebt, desto größer ist deren Auswirkung. Sie verstärken sich gegenseitig, sagt uns die jüngere Forschung.
Wie können wir denn vom Klimatrauma genesen?
Indem wir es als Trauma akzeptieren. Denn ein Trauma bezieht seine Macht aus der eigenen Unwilligkeit, es zu konfrontieren. Das dann doch zu tun ist ein schmerzhafter Prozess, aber er ermächtigt einen zugleich.
Inwiefern?
Er ist schmerzhaft, weil es bereits viel unterdrückte Trauer gibt über das, was wir bereits verloren haben und drauf und dran sind zu verlieren. Er ist ermächtigend, da wir nun wissen, wie wir damit umgehen können. Wenn wir verstehen, dass es ein Trauma ist, verstehen wir auch, dass es um Beziehungen geht. Eine Widerspiegelung all unserer Beziehungen, von uns selbst, unserer Kultur, Gesellschaft und Natur. Und diese Beziehungen kann jeder verändern, um sich wieder mit sich und der Natur zu verbinden.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Unsere ursprüngliche Verbindung zur Natur geht durch unseren Magen – die Nahrung, die wir essen. Wer eine bewusste Verbindung eingeht, kann beides stärken – sich selbst und die Natur. Eine kürzlich in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichte Studie hat untersucht, welchen Effekt es haben würde, wenn wir alle bis zur Mitte des Jahrhunderts auf pflanzliche Kost umsteigen würden. Das Ergebnis: Es würde nicht nur unserer individuellen Gesundheit helfen, sondern auch die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung ermöglichen, Treibhausgase einsparen und so den Planeten schützen. Ernährung sei womöglich das Effektivste, was ein Mensch tun könne, um etwas gegen die Klimakrise auszurichten.
Aber solange die ganze Infrastruktur auf Kohle, Öl und Gas beruht, nützt es doch nichts, wenn ein paar Leute ihre Ernährung umstellen?
Die Nachfrage der Verbraucher wird unterschätzt. Es ist eine ungenutzte Macht, auf die fossile Energieunternehmen keinen Einfluss haben. Seit den 1960er Jahren nutzen Umweltschützer die Verbrauchermacht und Boykotte in sehr effektiver Art und Weise. Die Klimabewegung würde so viel mehr erreichen, wenn sie nicht nur durch die Straßen marschiert und protestiert, sondern die Hälfte ihrer Energie darauf verwendet, die Menschen zu einer gesunden Ernährung zu ermutigen.
In Deutschland sind Biolebensmittel gerade sehr angesagt – trotzdem liegt ihr Anteil am Lebensmittelmarkt bei gerade mal gut fünf Prozent. Wie lässt sich die Mehrheit überzeugen?
Obwohl ich kein Fleisch esse, sage ich den Leuten nicht, sie sollen es auch so tun. Stattdessen sage ich: „Ihr müsst wissen, woher euer Essen stammt. Seid bewusster bei jedem Bissen. Und wenn ihr euch die Zeit nehmt, zu erforschen, was ihr esst, dann würdet ihr aufhören, giftige Chemikalien in euren Körper einzuführen und anfangen, Biolebensmittel und Fleisch von Tieren zu kaufen, die human behandelt wurden.“ Fast alle meine Freunde in der Umweltszene in Montana sind Fleischesser. Aber sie gehen nur einmal im Jahr raus in den Wald und schießen einen Rothirsch und zwei Rehe. Die verarbeiten sie, legen sie in den Gefrierschrank und ernähren ihre Familien damit ein ganzes Jahr. Das können natürlich die wenigstens Bürger nachahmen, aber es ist eine perfekte Umsetzung meines Credos: Jeder sollte sich bewusst sein, was er isst.
Ist es nicht wichtiger, die Leute davon zu überzeugen, weniger zu fliegen und auf ihr geliebtes Auto zu verzichten?
Natürlich sollten wir Elektroautos gegenüber Benzinern bevorzugen oder aufs Auto verzichten. Aber die Leute darum zu bitten, nicht mehr zu fahren, ist in unserer heutigen Welt kaum machbar. Wenn jemand wirklich einen Beitrag leisten will, um seinen CO2-Fußabdruck zu senken, dann sollte er mit dem Machbaren beginnen – wie auf Fleisch zu verzichten oder Biolebensmittel zu kaufen. Vor einigen Jahren erschien eine Dokumentation mit dem Titel Meat the Truth, die zum Schluss kam, dass ein Vegetarier, der einen Hummer-Geländewagen fährt, das Klima weniger belastet als ein Fleischesser, der einen Prius fährt.
Aber bis jeder seine Essgewohnheiten verändert hat und damit dem Klima hilft, dürfte es wohl zu lange dauern.
Ja, es muss schneller gehen. Deswegen hoffe ich, dass die Erzählung vom Klimawandel zum Klimatrauma wie ein Brandbeschleuniger wirkt, der die Menschen dazu bringt, die Krise zu akzeptieren und endlich anzugehen. Das ist meine große Hoffnung.
In Städten wie Berlin oder San Francisco mag das bei Akademikern Anklang finden, die Zeit und Geld genug haben, um sich mit ihrer Ernährung oder ihrem Lebenswandel auseinanderzusetzen – aber was ist mit den Menschen auf dem Land oder in ärmeren Regionen?
Es geht mir nicht darum, der Landbevölkerung vorzuschreiben, wie sie auf die Klimakrise antworten soll. Das größte Hindernis für die Transformation der Gesellschaft sind ja gerade die privilegierten Leute. Also die Leute in den wohlhabenderen und hippen Vierteln in San Francisco oder Berlin. Deshalb war es ein so kraftvolles Bild, als Greta Thunberg nach Davos ging und den reichsten Menschen in der Welt erklärte, dass ihr Wohlstand und Komfort einhergeht mit nicht zu bändigenden Kosten für die Umwelt.
Jeder, der ein privilegiertes Leben führt, fühlt diese Art von emotionaler Last. Es macht einen nicht glücklich, zu sehen, was im Rest der Welt passiert. Wer diese Trauer zulässt und sich klarmacht, was wir schon verloren haben und verlieren werden, der beginnt, sich wieder mit der Natur des Menschen zu verbinden, von der wir uns seit Beginn der Industrialisierung nach und nach entfernt haben.
Was macht Ihnen Hoffnung?
Ich glaube an die Natur des Menschen. Das hält mich davon ab, zu verzweifeln oder depressiv zu werden. Je größer die Krise, desto mehr erheben wir uns, wie wir es nach Tragödien wie durch den Hurrikan Katrina gesehen haben. Im Angesicht der Existenzbedrohung werden wir auf eine elementare Frage zurückgeworfen: Was heißt es, Mensch zu sein? Diese Frage muss jeder für sich selbst beantworten.