Die Luft ist schwül. Vögel zwitschern unsichtbar im Dickicht. Ein Wasserfall rauscht. Ein Spalt zwischen zwei Felsen gibt den Blick auf eine Lichtung frei. Ein Schild informiert, dass in diesem Gehege ein Waran lebt. Doch wer ihn entdecken möchte, braucht Glück, Geduld und muss sich zwischen verschiedenen Glasscheiben hin- und herbewegen, um die ideale Perspektive zu finden.
In der Fachsprache der Zoodesigner werden solche Gehege Immersionslandschaften genannt. Mithilfe von Szenografie und psychologischen…
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ionslandschaften genannt. Mithilfe von Szenografie und psychologischen Tricks wird dabei ein atmosphärisch dichter Raum erzeugt, der nicht mehr als ein Teil der menschlichen Architektur, sondern als eine fremde, den Tieren zugehörige Welt erscheint. Für die Besucherinnen und Besucher simulieren die Anlagen einen Spaziergang durch die freie, „unberührte“ Natur beziehungsweise unsere Vorstellung davon.
Die Dramaturgie des Spaziergangs beruft sich einerseits auf die Wege und malerischen Ausblicke des englischen Landschaftsgartens, andererseits ahmt sie die fragmentarische Schnitttechnik des Films nach: Die Besucherwege sind im Zickzack angelegt, und das Blickfeld wird gezielt versperrt, so dass man nie eine vollständige Übersicht über die Anlage hat.
Wohlige Gänsehaut
Anders als beispielsweise in den Bärengräben des 19. Jahrhunderts sitzt das Tier nicht mehr auf dem Präsentierteller. Stattdessen soll es von oben auf die Besucherinnen und Besucher herabschauen oder kann sich im verwinkelten Gehege verbergen. Diese dominante Position und Inszenierung sollen Respekt und Empathie den Tieren gegenüber hervorrufen, auch um das Interesse an ihren oft bedrohten Artgenossen in freier Wildbahn zu fördern.
Trotzdem – besonders im Winter, wenn in den Freiluftgehegen die üppige Bepflanzung fehlt und Sichtbeton und Käfige zum Vorschein kommen, erinnern wir uns immer wieder daran, dass die Tiere ihr gesamtes Leben in Gefangenschaft verbringen beziehungsweise in „menschlicher Obhut“, wie es in der Zoofachsprache heißt. Ihre gesamte Umgebung ist menschengemacht, sämtliche Umweltreize. Das gibt uns Sicherheit, erfüllt uns aber teils auch mit Unbehagen.
Wilde Tiere in Aktion zu zeigen, zu bilden und zu unterhalten, das sind die wichtigsten Aufgaben des Zoos neben Artenschutz und Forschung. Die räumliche Nähe zu dem Exotischen oder Gefährlichen, die Geräusche und Gerüche erzeugen eine wohlige Gänsehaut. Und schaut der Löwe in unsere Richtung, reagiert ein Affe auf einen Zuruf, freuen sich die Kinder, und auch die Erwachsenen sind bewegt. Der Wunsch, einem wilden Tier zu begegnen, erfüllt sich, wenn die Blicke von Mensch und Tier sich treffen.
Abenteuer ohne Gefahr
Als Erlebniswelt verspricht der Zoo eine abenteuerliche, aber gefahrlose Reise, er ist ein Zufluchtsort menschlicher Fantasie. Die Tiere werden zu Projektionsflächen eigener Geschichten des Publikums. Neben den Menschenaffen neigen wir besonders dazu, aufrecht stehende Tiere wie Pinguine zu vermenschlichen und ihnen lustige Anekdoten zuzuschreiben.
Der Löwe hat eine lange Geschichte als Wappentier und repräsentiert mit seiner Mähne königliche Eigenschaften. Schlangen und Insekten – außer Bienen – sind aufgrund von Vorurteilen weniger beliebt. Zwar informieren Beschilderungen über die biologischen Eigenschaften der Tiere, aber nur wenige Besucherinnen lesen nach.
Die inszenierte Welt des Zoos und ihre Botschaften sind stark abhängig vom kulturellen Kontext und Trends. Werden heute Tiere vor allem mit kleinen Kindern in Verbindung gebracht, flanierten vor hundert Jahren vor allem Erwachsene durch den Zoo. Wildtiere anzuschauen ist ein sehr altes, weltweites Phänomen. Bereits im Alten Ägypten, bei Alexander dem Großen oder in den Gärten chinesischer Herrscher existierten umfangreiche Tiersammlungen.
Die ersten Zoologischen Gärten des Bürgertums wurden 1793 in Paris und 1828 in London gegründet. Besonders in Verbindung mit der Kolonialgeschichte sind sie eine Metapher der Macht. Die gefangenen Tiere stehen stellvertretend für die unterworfenen Länder. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden auch Menschen in sogenannten Völkerschauen ausgestellt, häufig kaum bekleidete Menschen aus afrikanischen oder asiatischen Ländern.
"Arche" für bedrohte Arten
Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte die Präsentation wissenschaftlicher werden: Tiere wie etwa Menschenaffen, wirkten nicht länger als menschliche Karikaturen, radelnd oder Tee trinkend, sondern die Kuratorinnen und Kuratoren befassten sich ernsthafter mit ihrem Verhalten und originären Lebensraum.
In den 1970er Jahren protestierte die Bürgerrechtsbewegung für die Rechte von Zootieren. Als Folge entstanden die ersten Immersionslandschaften, wie sie heute üblich sind. Die Inszenierung natürlich erscheinender Lebensräume ist zentral für die neue Botschaft der Zoos als „Arche“ für bedrohte Arten. Gitter sind dabei „hinter die Kulissen“ verlagert. Die ethischen Bedenken, Tiere zur Schau zu stellen, bestehen weiterhin.
Ein Ausflug in den Zoo führt in eine vielschichtige Welt zwischen Nostalgie und Zukunftsvision. Zoos zeigen einerseits den Wunsch des Menschen, die Natur zu beherrschen. Andererseits bieten sie auch Freiraum für sinnliches Erleben, neugieriges Beobachten und die Suche nach Ideen, wie wir Tieren gleichberechtigter begegnen können.
Dr. Christina Katharina May ist Kunsthistorikerin und Kuratorin. Sie verfasste eine prämierte Doktorarbeit über Zooarchitektur. Als Autorin schreibt die Wissenschaftlerin über Zoos sowie zu Kunst, Architektur und Landschaft im 20. und 21. Jahrhundert.
Literatur
Eric Baratay, Elisabeth Hardouin-Fugier: Zoo. Von der Menagerie zum Tierpark. Wagenbach, Berlin 2000.
John Berger: Warum sehen wir Tiere an? In: Das Leben der Bilder oder die Kunst des Sehens. Wagenbach, Berlin 1981.
Jon Charles Coe: Design and perception. Making the zoo experience real. Zoo Biology, 4/2, 1985, 197–208.
Henri F. Ellenberger: The mental hospital and the zoological garden. In: Joseph Klaits, Barrie Klaits (Hg.): Animals and Man in Historical Perspective. Harper and Row, New York 1974.
Edward T. Hall: The hidden dimension. Doubleday Anchor, Garden City 1969.
Cornelius Holtorf: Der Zoo als Ort der Erinnerung. In: Mitchell G. Ash (Hg.): Mensch, Tier und Zoo. Der Tiergarten Schönbrunn im internationalen Vergleich vom 18. Jahrhundert bis heute. Böhlau, Wien 2008.
Heini Hediger: Wildtiere in Gefangenschaft. Schwabe, Basel 1942.
Heini Hediger: Mensch und Tier im Zoo. Tiergartenbiologie. Müller: Zürich, Stuttgart, Wien 1965.
Christina Katharina May: Die Szenografie der Wildnis. Immersive Techniken in zoologischen Gärten im 20. und 21. Jahrhundert. Neofelis, Berlin 2020.
Natascha Meuser: Architektur im Zoo. Theorie und Geschichte einer Bautypologie. DOM, Berlin 2017.
Bob Mullan, Garry Marvin: Zoo culture. The book about watching people watch animals. University of Illinois Press, Urbana/ Chicago 1999.
Jan-Erik Steinkrüger: Thematisierte Welten. Über Darstellungspraxen in Zoologischen Gärten und Vergnügungsparks. Transcript, Bielefeld 2013.