Verwirrende Botschaften

In der Ukraine kursieren seit Jahren prorussische Falschnachrichten. Werden sie geglaubt? Dieser Frage gingen vier Psychologen nach.

Falschnachrichten werden manchmal verbreitet, um Menschen abzulenken und zu verwirren. © Adam Kuylenstierna/Eye Em/Getty Images

Die Fähigkeit, analytisch zu denken und zu reflektieren, ist entscheidend dafür, Falschnachrichten von richtigen zu trennen - auch dann, wenn Falschnachrichten die eigene politische Haltung bestätigen und es auffällig viele mit einer bestimmten Tendenz gibt. Dies bestätigten vier Psychologen in einem Preprint-Paper. Sie hatten Befragungen von rund 12.000 Ukrainerinnen und Ukrainern aus dem Jahr 2019 ausgewertet, die vom National Democratic Institute der Ukraine, einer US-amerikanischen Stiftung, sowie vom Kyiv Institute of International Sociology, einem Marktforschungsinstitut, erstellt oder in Auftrag gegeben worden waren. Wie die Autoren schreiben, bilde die Ukraine allein durch die schiere Menge an Falschnachrichten, die seit Jahren in Umlauf gebrachtewerden, eine ganz besondere Öffentlichkeit – schon lange, aber vor allem seit der Krim-Krise 2014 ist das Land bevorzugtes Ziel von sehr vielen prorussischen Fake News. 

Die Probandinnen und Probanden waren im Hinblick auf ihr analytisches Denken, ihre Reflexionsfähigkeit sowie ihre Offenheit getestet worden. Außerdem legten die Forscher ihnen bis zu 100 wahre und falsche Nachrichten-Headlines zu einem breiten Themenspektrum von Wirtschaft über Politik, Militär, Kultur, Identität oder aus dem Alltag vor und ließen sie im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt einschätzen. Die Befragten antworteten auf die Fragen nach eigenem Wunsch in Ukrainisch oder Russisch und gaben Auskunft, ob sie prorussisch eingestellt waren oder nicht.  

Die Ergebnisse: Je stärker die Probandinnen und Probanden reflektierten, desto besser waren sie in der Lage, wahre Headlines auch als wahr zu identifizieren. Dies galt auch für diejenigen, die stark prorussisch orientiert waren. Einen Unterschied gab es: Anti-russische Befragte waren etwas besser als prorussische Teilnehmende darin, prorussische Falschnachrichten als solche zu erkennen. Die Autoren kommen zu dem Schluss: In der Ukraine mit einem hohen Aufkommen an Fake News reagieren die Menschen genauso darauf wie bei den Studien in westlichen Ländern, überwiegend in den USA - ausschlaggebend für den Umgang damit sei ihre Fähigkeit analytisch zu denken und zu reflektieren. 

Der Europäische Auswärtige Dienst der EU hatte 2015 die East Stratcom Task Force gegründet, die mit Hilfe eines großen Netzwerks überwiegend aus Journalistinnen und Journalisten prorussische Falschnachrichten im Netz aufspürt und dann von anderen externen Experten den Wahrheitsgehalt prüfen lässt. Zu jeder einzelnen wird dann ein kurzes disproof statement auf der Plattform euvsdisinfo.eu veröffentlicht. Im Jahr 2021 waren laut der Studienautoren insgesamt 11.000 prorussische Falschnachrichten gefunden worden, davon 4100 speziell an Rezipientinnen und Rezipienten in der Ukraine. Das Ziel sei weniger, sie zu überzeugen, als vielmehr Verwirrung und Ablenkung von tatsächlichen Ereignissen, schreiben die Wissenschaftler. 

Aaron Ehrlich u. a.: Does analytic thinking insulate against pro-kremlin disinformation? Evidence from Ukraine. Preprint, Veröffentlichung ist geplant in: Political Psychology. DOI: 10.31234/osf.io./4yrdj

Claudia von Salzen: Die EU und russische Desinformation – Eine Task Force gegen Propaganda. Der Tagesspiegel, 12.12.2015

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