„Psychologie ist zu unpolitisch“

Die kritische Psychologie sei zu unkritisch und eingestaubt. Der Psychologe Christoph Burger wünscht sich eine Generalüberholung.

Die Illustration zeigt den Psychologen, Karriereberater und Coach, Christoph Burger, der meint, dass Psychologie zu unpolitisch sei
Christoph Burger ist Psychologe, Karriereberater und Coach. © Jan Rieckhoff für Psychologie Heute

Wo ist die Psychologie, die uns hilft, das alles zu begreifen? Die es uns mental erleichtert, uns einmal auf den Kopf zu stellen und alle unsere Wertungen herumzudrehen? Die Psychologie, die die Klima­kleberin und den Klimakleber normal nennt und die Normalität hochriskant? Eine Psychologie gar, die davor warnt, zu sehr um sich selbst zu kreisen oder sich in psychologischen Konstrukten zu verlieren, und die stattdessen zum Handeln aufruft? Wir hätten sie bitter nötig!

Es wäre eine Disziplin, die erkennt, wie unendlich schwer es Menschen fallen muss, sich von den gewohnten Gedanken, Vorstellungen und Verhaltensweisen aus 250 Jahren Wachstum zu verabschieden. Eine Psychologie, die den Reparatur- und Optimierungsbetrieb zur Seite schiebt und systemkritisch forscht und handelt. Die die kritische Psychologie entstaubt und auffrischt und eine neue kritische Umweltpsy­chologie etabliert. Die in den radikalen Notfallmodus wechselt und andere Fächer und Menschen mitreißt. 

Und darüber nicht vergisst, dass die meisten Menschen zu viel und die Superreichen über jedes Maß konsumieren. Und Konzernmanager uns für ihren Profit fortwährend mit den fossilen Suchtstoffen füttern. Es gilt jetzt, darauf aufmerksam zu machen und zu erklären, warum die Warnungen vor der ­Klimakrise verpuffen: Solange daneben Anzeigen vom fossilen Weiter-so künden, setzen diese die Ist-Normen – die bekanntlich die Soll-Normen besiegen.

Mehr Systemkritik, um die Notlage zu bewältigen

Die „Klimakommunikation“ würde diese Psychologie weniger in dem persönlichen Gespräch suchen, da doch Machtstrukturen bestimmen, wer mit wem spricht, bevor ein Austausch überhaupt starten kann.

Wir würden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Scientist Rebellion nicht allein auf der Straße sitzen lassen, sondern ihre Aktionen als eine Klimakommunikation begreifen, die dem vorliegenden Notfall angemessen ist.

Wir würden weniger Wert legen auf das Ziselieren der kognitiven Verzerrungen, das schlussendlich nicht erhellt, wie wir sein könnten, da es doch nur eine scheiternde Spezies beschreibt. Wir würden so vielleicht das wenig beachtete Modell der Ich-Entwicklung wiederentdecken. Das zeigt, wie Menschen sich am Ende vom Konsum abwenden und an ihrem reich entfalteten Innenleben erfreuen, an der Natur und am universellen Miteinander, was sich harmonisch zu den indigenen antikolo­nialistischen Denktraditionen gesellt.

Wir hätten eine Psychologie und eine Psychotherapie, die vermittelten, was zu tun ist, und dies selbst vorlebten. Jetzt, da wir unmittelbar vor dem Auslösen der Kipppunkte und möglicher Kipppunktkaskaden stehen. So könnten Menschen zusammenfinden, um unsere Kooperationskrise in eine wahre Krisenkooperation zu verwandeln und gemeinsam die anstehende psychische Herkulesaufgabe zu bewältigen.

Christoph Burger ist Psychologe und arbeitet als Karriereberater und Coach. Er engagiert sich bei Psychologists for Future und im Arbeitskreis Kritische Umweltpsychologie der Initiative ­Psychologie im Umweltschutz

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