„Pseudowissenschaftliche Beratung“ bei Missbrauch

Zwei Psychologieverbände warnen vor Beratungsinitiativen, die über „rituellen Missbrauch“ aufzuklären behaupten – unsere Meldung dazu aus dem März

Ein Teddybär liegt auf einem Holzstuhl, der vor einer grünen Wand steht.
Bei Kindesmissbrauch und sexualisierter Gewalt ist schnelle Hilfe für Betroffene gefragt. Doch einige Webseiten und Leitfäden seien laut BDP und DGPs pseudowissenschaftlich oder teilweise unzutreffend. © Getty Images | Peter Dazeley

Die beiden großen Psychologieverbände in Deutschland warnen vor einer falschen Darstellung sexueller Kindesmisshandlung und einer tendenziösen und pseudowissenschaftlichen Beratung von Opfern. Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) und die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) haben sich in einem gemeinsamen Brief mit Stellungnahmen beider Verbände an Bundesfamilienministerin Lisa Paus und Bundesjustizminister Marco Buschmann gewandt.

In dem Brief heißt es: „Einige von der Bundesregierung geförderte Webseiten, Leitfäden und Empfehlungen informieren und beraten Opfer sexueller Gewalt leider pseudowissenschaftlich und in Teilen unzutreffend. Dadurch kann sich ihr beabsichtigter Nutzen ins Gegenteil verkehren – Opfer werden nicht geschützt, sondern, im schlimmsten Fall, geschaffen, indem falsche Annahmen von vertrauenswürdig erscheinenden Informationsquellen verbreitet werden.“

Die beiden Psychologieverbände, die 15.000 Psychologinnen und Psychologen vertreten, stellen klar: „Wir unterstützen und befürworten jegliches Engagement zur Stärkung und Verbesserung der Situation von Opfern sexueller Gewalt.“ Sexuelle Gewalt gegenüber Kindern, auch in organisierter Form, sei eine Tatsache und von Strafverfolgungsbehörden dokumentiert.

False Memory: Vermeintliche Missbrauchserfahrungen

Dies gelte jedoch nicht für sogenannte „rituelle“ sexuelle Gewalt, also die behauptete „zielgerichtete Programmierung von Menschen durch Bewusstseinsspaltung“. Auf von der Bundesregierung geförderten Beratungswebseiten wie „Hilfe-Telefon berta“, „Wissen schafft Hilfe“ oder „Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch“ werde „der Eindruck erweckt, dass rituelle sexuelle Gewalt ein häufiges Phänomen sei“, heißt es in der Stellungnahme des BDP. Es gebe jedoch keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass Opfer von sexueller Gewalt systematisch einer solchen „Mind Control“ unterzogen worden seien, so der Verband. „Hinweise basieren auf ungeprüften Selbstaussagen; Ermittlungen blieben, auch international, ohne Ergebnisse“.

Die beiden Verbände weisen darauf hin, dass vermeintlich verdrängte und später wiedererinnerte Erfahrungen sexueller Gewalt in der Kindheit „Scheinerinnerungen“ entspringen können, wie die psychologische Forschung vielfach bestätigt hat. Wenig spreche dafür, dass Erinnerungen an traumatische Ereignisse überhaupt verdrängt und im Bewusstsein abgespalten (dissoziiert) werden könnten, so der BDP. „Im Gegenteil zeigt die Forschung, dass solche Erinnerungen in aller Regel besonders gut abgespeichert werden.“

Eingeredeter Missbrauch?

In unserer Psychologie Heute Ausgabe 5/2023 haben wir das Thema False Memory und therapeutisch suggerierte Missbrauchserinnerungen aufgegriffen. Den Artikel False Memory: Eingeredeter Missbrauch?“ können Sie hier lesen.

Außerdem können Sie im Artikel „Das Trauma, das es nie gegeben hat“ den Bericht eines Betroffenen lesen, der selbst sagt: „17 Jahre meines Lebens glaubte ich an eine Schimäre.“

Quellen

Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) und die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs), Brief mit Stellungnahmen der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen zum Thema „Schutz von Opfern sexueller Gewalt“. Bdp-verband.de, 14.03.2023

Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP), Stellungnahme der Sektion Rechtspsychologie im BDP im Kontext sexueller ritueller Gewalt. Bdp-verband.de, 6. März 2023

Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs), Stellungnahme der Fachgruppe Rechtspsychologie innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs e.V.) zu Forschung und Beratung im Kontext ritueller sexueller Gewalt. Bdp-verband.de, 13. März 2023

Artikel zum Thema
Kann man sich Missbrauch einbilden – sich also daran erinnern, obwohl er gar nicht stattgefunden hat? Über false memories und ihre verheerenden Folgen.
In der Therapie erinnert sich unser Autor an ein traumatisches Erlebnis. 17 Jahre lang glaubt er, es fand wirklich statt. Aber es waren false memories.
Psychische Probleme häufen sich bei Kindern. Welche Rolle spielt dabei die Mediennutzung? Darüber sprechen wir mit Dr. Anna Felnhofer am 30. November.
Anzeige
Psychologie Heute Compact 78: Was gegen Angst hilft