Einen Moment nach innen schauen

Nach innen schauen: Wie mehr Selbstaufmerksamkeit dabei hilft, Ziele besser zu erreichen.

Die Illustration zeigt eine schwarze Figur, mit einem Auge als Kopf und drei weiteren Augen im Oberkörper, die nach innen schaut
Alle Augen auf das Selbst: Wer sich selbst mehr Aufmerksamkeit schenkt, kann Ziele leichter erreichen. © Joni Majer

Häufiger Sport treiben. Ausgeruht zu einer wichtigen Präsentation erscheinen. Mehr Zeit für die Freunde und Familie – all das sind typische Ziele. „Tatsächlich ist das meiste menschliche Verhalten zielmotiviert“, sagt die Psychologin Antonia Kreibich, die an der Universität Zürich zu diesem Thema forscht. Ein Ziel ist etwas, das vor uns liegt und wonach wir streben. Solche persönlichen Ziele können sehr unterschiedlich sein: kurzfristige und längerfristige, konkrete und abstrakte, einfache (etwa einkaufen)…

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sein: kurzfristige und längerfristige, konkrete und abstrakte, einfache (etwa einkaufen) oder schwerer erreichbare (eine Fremdsprache lernen).

Tatsächlich verfügen wir – in unterschiedlichem Ausmaß – über eine psychische Ressource, die es uns leichtermacht, unsere Ziele zu erreichen: Selbstaufmerksamkeit. Kreibich und ihre Kolleginnen gingen in einer aktuellen Studie der Frage nach, wie Selbstaufmerksamkeit zur Zielerreichung beiträgt. Sie vermuteten, dass selbstaufmerksame Personen eher in der Lage seien, im richtigen Moment Hindernisse auf dem Weg zu einem Ziel zu erkennen. Kreibich erläutert das an dem Beispiel eines Stücks Kuchen, das wir in einer Auslage einer Bäckerei sehen: Für denjenigen, der sich gesund ernähren möchte, stellt das Stück Kuchen ein Hindernis auf dem Weg zu diesem Ziel dar. Um dieses Hindernis zu überwinden – das Stück Kuchen also nicht zu kaufen –, muss die Person den Kuchen erst einmal als Problem wahrnehmen.

In zwei Befragungen und zwei Experimenten mit mehreren hundert Teilnehmern untersuchten Kreibich und ihre Kolleginnen die Hypothese, dass Selbstaufmerksamkeit dabei hilft, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, und sie stellten fest: Teilnehmer mit einer stärkeren Neigung zu Selbstaufmerksamkeit identifizierten häufiger Hemmnisse auf ihrem Weg zu ihnen wichtigen Zielen. Die Probanden sollten sich zum einen auf persönliche Ziele fokussieren. Oder sie hatten am Computer eine Internetrechercheaufgabe zu erledigen.

Ein Teil von ihnen wurde aufgefordert, während des Arbeitens an der Aufgabe die Aufmerksamkeit auf die eigenen Gefühle zur richten, sich also selbst zu beobachten. Die Forscherinnen erfassten zudem andere seelische Einflüsse, die unsere Aufmerksamkeit für Hindernisse in der Zielverfolgung beeinflussen können, etwa Eigenschaften des Big-Five-Persönlichkeitsmodells wie Gewissenhaftigkeit, Offenheit für neue Erfahrungen oder Neurotizismus sowie darüber hinaus Pessimismus, die Stimmung der Probanden oder ihre Neigung zum Grübeln.

Aus dem Fokus der Forschung geraten

Die betrübliche Nachricht: Tatsächlich ist Selbstaufmerksamkeit offenbar so etwas wie eine stabile Persönlichkeitseigenschaft – manche neigen weniger dazu. Doch es ist nicht schwer, Selbstaufmerksamkeit zu üben: „In unseren Experimenten hat es schon ausgereicht, die Studienteilnehmenden zu instruieren, auf ihre Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen zu achten, während sie eine Aufgabe erledigten.“ Dies habe dazu geführt, dass die Probanden bei der Aufgabe mehr Hindernisse identifizierten.  

Genau dazu brauchen wir Selbstaufmerksamkeit, erklärt Kreibich. Sie bedeutet, immer wieder auf uns zu achten, unser Verhalten zu reflektieren, die eigenen Gedanken und Gefühle wahrzunehmen. Das lässt sich leicht mit Achtsamkeit verwechseln, hat aber nur wenig damit zu tun, erklärt die Psychologin: „Achtsamkeit beschreibt den Zustand, in dem die Aufmerksamkeit auf den Moment gerichtet wird und man eine große Akzeptanz hat gegenüber allem, was man in diesem Moment wahrnimmt. Selbstaufmerksamkeit hingegen ist eine bewertende Instanz, die uns unsere Ziele bewusstmacht. Sie hilft wahrzunehmen, wie weit wir in einem Moment noch vom Ziel entfernt sind. Und sie motiviert uns, den momentanen Zustand so zu ändern, dass wir dem Ziel näherkommen.“

Selbstaufmerksamkeit ist laut Antonia Kreibich seit den 1990er Jahren etwas aus dem Fokus der psychologischen Forschung geraten. Stattdessen widmeten sich viele Untersuchungen dem Grübeln, also den im Kopf kreisenden Gedanken, die in der Regel nicht zu einer Lösung führen und uns eher den Schlaf rauben, als uns voranzubringen. Wer jedoch tagsüber seine Aufmerksamkeit für einen Moment auf sich selbst richtet, grübelt nicht, sondern betreibt eine kurze „Innenschau“ und achtet auf Verhalten, Gedanken und Gefühle. In dem Moment, in dem wir das tun, kann ein Ziel wieder ins Bewusstsein geraten. Und darüber hinaus werden wir sensibel für ein Ereignis, das uns auf dem Weg zu diesem Ziel dazwischenkommt. Anders als beim Grübeln hilft uns Selbstaufmerksamkeit also dabei, die Situation zu verbessern.

Die Fähigkeit, dies zu tun, halten die Psychologinnen vor allem im Hinblick auf langfristige Ziele für sehr hilfreich. Denn indem wir mit hinderlichen Ereignissen und Umständen umgehen, können wir die richtigen Prioritäten setzen. Und indem wir das tun, lernen wir auch, künftige Hürden vorauszusehen und entsprechend so zu handeln, dass wir diese bewältigen können. Ein Nachteil könne es aber sein, wenn wir uns mit einer zu großen Fülle an Hindernissen konfrontiert sehen – dies könne das Gefühl verstärken, dass man das Ziel nicht erreichen kann. Idealerweise sind wir in der Lage, nur diejenigen Schwierigkeiten zu erkennen, die gerade wichtig sind. Wenn Krisen kommen, mögen sich Ziele verzögern, aber erreichen kann man sie trotzdem – wenn man sich ihrer bewusst wird.  

Antonia Kreibich u.a.: The effect of self-awareness on the identification of goal-related obstacles. European Journal of Personality, 34/2, 2020. DOI: 10.1002/per.2234

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 9/2020: Meine Zeit kommt jetzt