Trotz aller Sorgen

Ulrich Schnabel fragt in seinem Buch „Zuversicht“, was es mit der Haltung des Lebensmuts auf sich hat.

Acht alte Männer machen eine Zeitreise und werden von Tag zu Tag jünger. Dieses Wunder geschah 1979, als die Harvardpsychologin Ellen Langer die Herren, alle um die 80, in ein ehemaliges Kloster einlud, in dem alles so eingerichtet war wie zu jener Zeit, als die Probanden zwanzig Jahre jünger waren. Alte Bücher und Zeitschriften lagen herum, im Fernsehen lief Rauchende Colts. Sie wurden nicht altersgerecht betreut und gepflegt, sie mussten selbst kochen und abwaschen. Schon nach einer Woche wirkten sie deutlich verjüngt, zeigten sich beweglicher und schnitten in Hör-, Seh- und Intelligenztests besser ab. Auch wenn acht Personen zu wenige sind, um wissenschaftlich relevant zu sein, weist das Experiment in eine Richtung, die wir schon lange kennen und doch oft schmählich ignorieren: Unsere innere Einstellung, der optimistische oder sorgenvolle Blick auf die Zukunft sind wesentliche Faktoren, die unser Leben bis hinein in biologische Abläufe beeinflussen.

Ulrich Schnabel, der diese Episode erzählt, widmet sich in seinem Buch dem Lebensmut. Er benutzt das altmodische Wort „Zuversicht“, was ganz wunderbar ist, denn schon damit positioniert er sich gegen die Moden des positiven Denkens. Er zielt auf eine tiefer sitzende Einstellung und denkt die Mollklänge in der Welt immer mit – nicht nur individuelle Schicksalsschläge, sondern auch politische und soziale Themen, die Sorgen bereiten: Terrorismus, Artensterben, Globalisierung, Klimawandel. Wie schaffen wir es dennoch, zuversichtlich zu leben?

Ein bekömmliches Maß an Hoffnung

Zunächst klärt Schnabel darüber auf, dass der Homo sapiens oft über die Maßen schwarzsieht. Das hat mit unserer Hirnstruktur zu tun, die evolutionär einem Leben in der wilden Natur angepasst wurde. Heute bewirkt dieses Erbe, dass wir uns sogar hierzulande mit der Sorge peinigen, dass es bald schlechtergehen könnte, obwohl die Wirtschaft noch immer wächst, wir im Frieden leben.

Das Buch ist eine Mischung aus erzählendem Sachbuch und Ratgeber. Schnabel bietet ein ganzes Arsenal an Hilfsmitteln, damit der Leser ein bekömmliches Maß an Mut und Hoffnung finden kann: philosophische von Epiktet, der empfahl, die Dinge zu kontrollieren, die in unserer Macht stehen, und uns nicht bei denen zu verausgaben, die wir nicht ändern können; konkrete Verhaltenstipps, vom berühmten „Abwärtsvergleich“ über bewusstes Atmen und Humortraining bis hin zur heilenden Macht des Schreibens und der positiven Wirkung der aufrechten Körperhaltung. Vor allem aber erzählt Schnabel von Menschen, die trotz hoffnungsloser Situationen „siegten“.

Dass Ulrich Schnabel dem fast vergessenen Viktor Frankl ein Kapitel widmet, ist eine echte Perle in diesem Buch. Der Psychiater und spätere Bestsellerautor, der vier KZs überlebt hat, brachte nach dem Krieg seinen Patienten und Millionen von Lesern nahe, dass der Mensch die Fähigkeit hat, dem Leben unter allen Bedingungen Sinn zuzuschreiben. Wer auch inmitten von Leiden, Sterben und Gefangensein ein Stück innere Freiheit bewahren kann, hat weit größere Chancen zu überleben.

Ilona Jerger

Ulrich Schnabel: Zuversicht. Die Kraft der inneren Freiheit und warum sie heute wichtiger ist denn je. Blessing, München 2018, 255 S., € 22,–

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 5/2019: Bin ich gut genug?
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