Was soll der Ärger?

Gelegenheiten, sich zu ärgern, gibt es immer. Und manchmal rasten wir so richtig aus. Welche tieferliegenden Ursachen stecken hinter diesen Ausbrüchen?

Das Foto zeigt einen Mann, der sehr verärgert schaut.
Achtung, gleich folgt ein Wutausbruch! © giszmo/Photocase.de

Wer von uns verliert nicht manchmal die Contenance und rastet nach allen Regeln der Kunst so richtig aus? Die eine seltener, der andere ziemlich oft. Jeder hat sein „emotionales Äquilibrium“, seine persönliche Sollbruchstelle, bis zu der er stressige Situationen auf eine kontrollierte und vernünftige Weise handhaben kann.

Wehe, wenn diese Grenze überschritten wird! „Wut kann, das ist auffällig, lange gezügelt werden, dann aber plötzlich wild und heftig losbrechen“, schreibt der Neurowissenschaftler Giovanni Frazzetto in seinem Buch Der Gefühlscode. Ist der Damm gebrochen, rasten wir aus. Und das ist dann im realen Leben meist gar nicht komisch, mitunter sogar tragisch. In diesem Zustand sagen oder tun wir Dinge, die wir später bitter bereuen. Manche und manchen kosten sie den Job, die Ehe, die Zuneigung der Kinder.

Was passiert in diesen folgenreichen Momenten? „Die emotionalen Eruptionen scheinen aus dem Nichts zu kommen und von einem Moment zum nächsten das Regiment zu übernehmen“, so schildert es die Familientherapeutin Judith Siegel, Dozentin an der New York University. „Manchmal sind unsere Emotionen so heftig, dass es schwerfällt, überhaupt zu denken.“

Zu viel Gefühl also? Nicht wirklich, meint Siegel. In Anlehnung an Hirnforscher wie Joseph LeDoux unterscheidet sie zwischen Gefühlen und Emotionen. Emotionen sind das Rohmaterial, die – auch körperliche – Erregung, die uns in ängstigenden, provozierenden oder sonst wie emotionalen Situationen erfasst. Gefühle hingegen sind das Produkt, der Feinschliff einer Emotion: das, was uns zu Bewusstsein dringt, wenn eine emotionale Erregung die Analyse und Bewertungsinstanzen des Gehirns passiert hat. „Emotionen entwickeln sich als biologische Prozesse“, schreibt Giovanni Frazzetto, „kulminieren aber in persönlich gefärbten mentalen oder seelisch-geistigen Erfahrungen.“

Letzteres sind die Gefühle. Gefühle können intensiv und sehr unangenehm sein, man denke etwa an die Trauer um einen Verstorbenen. Doch starke Gefühle dieser Sorte sind meist normale und sinnvolle Reaktionen, ein Mitschwingen unseres Seelenlebens mit der Lebenssituation, in der wir uns befinden.

Bei emotionalen Kurzschlussreaktionen hingegen seien nicht wirklich Gefühle im Spiel, meint Judith Siegel. Vielmehr beherrscht das emotionale Rohmaterial das Feld – unter Umgehung von Verstand und Herz. Und ohne Abwägung der Konsequenzen! Der Mensch ist seinen Emotionen dann ausgeliefert.

Aus manchen bricht es impulsiv heraus, als Wut und Trotz. Die „Explodierer“ nennt Siegel diesen Typ. Andere wiederum reagieren wie gelähmt, ziehen sich zurück, verlieren sich in Grübeleien. Das, so Siegel, seien die „Implodierer“. Doch genau besehen sind Wutausbrüche und Anfälle von lähmender Mutlosigkeit nur zwei Seiten derselben Medaille, Reaktionsmuster auf eine emotionale Überforderung.

Gefühle sind notwendig. Emotionalen Ausbrüchen hingegen sollte man tunlichst vorbeugen, doch dazu muss man ihre Auslöser kennen. Judith Siegel beschreibt vier typische „Trigger“: Neid, Zurückweisung, Kritik und Kontrollverlust. Um unkontrollierte Eruptionen des Zorns zu vermeiden, kommt es darauf an, den sich allmählich aufstauenden Ärger im Vorfeld zu erkennen. Dann gilt es, Zeit zu gewinnen, innerlich einen Schritt zurückzutreten und zu sondieren, welche „Trigger“ den Ärger ausgelöst haben.

Wie genau diese vier Trigger immer wieder Wutausbrüche auslösen können, lesen Sie in unserem aktuellen Themenheft der Reihe Psychologie Heute compact: Negative Gefühle: Schuld, Scham, Eifersucht - unliebsame Emotionen ergründen und an ihnen wachsen 

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute Compact 59: Negative Gefühle
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