Zuversicht mit Augenmaß

​Optimistisch bleiben ist gut, gerade in der Krise. Aber es kommt – wie so oft – auf die Dosis an. Über den unrealistischen Blick in die Zukunft.​

Die Illustration zeigt einen Mann mit sehr großem, langgezogenen Kopf, der mit Zuversicht in die Zukunft schaut
Mit Zuversicht in die Zukunft blicken: Dabei ist Augenmaß gefragt. © Joni Majer

Alles wird gut! Ein Satz, der sehr tröstlich sein kann, wenn es uns schlechtgeht. Generell gilt Optimismus als überaus erstrebenswert: Mit dem Positiven rechnen und zuversichtlich sein bessert die Stimmung und ist gesund. Doch psychologische Forschungen zeigen, dass Optimismus auch Schädliches innewohnt. In einem Überblicksartikel weisen der Forscher James A. Shepperd und sein Team auf die Nachteile des sogenannten „unrealistischen Optimismus“ hin: Enttäuschungen, schlechteres Selbstwertgefühl und…

Sie wollen den ganzen Artikel downloaden? Mit der PH+-Flatrate haben Sie unbegrenzten Zugriff auf über 2.000 Artikel. Jetzt bestellen

„unrealistischen Optimismus“ hin: Enttäuschungen, schlechteres Selbstwertgefühl und beeinträchtigtes Wohlbefinden, sogar riskantes oder schädliches Verhalten können damit einhergehen.

Der Begriff stammt von dem US-amerikanischen Psychologen Neil D. Weinstein, der dazu im Jahr 1979 eine Studie vorstellte. Weinstein ging der Frage nach, unter welchen Bedingungen seine Probanden dazu tendierten, im Hinblick auf zukünftige erwünschte Lebensereignisse zu optimistisch zu sein und im Hinblick auf negative Ereignisse zu glauben, diese würden anderen häufiger zustoßen als ihnen selbst. Weinstein legte Studierenden längere Listen mit zukünftigen Lebensereignissen vor – positiven (Gesundheit, ein gutes Einkommen) und negativen (Kündigung, Scheidung, schwer krank werden) – und ließ sie einschätzen, für wie wahrscheinlich sie es hielten, dass diese Ereignisse in ihrem Leben einmal eintreten würden.

Ständig zu schnell fahren

Weinstein stellte fest, welche Merkmale ein Ereignis haben musste, damit bei den Probanden unrealistischer Optimismus auftrat: Dieser hing davon ab, für wie erwünscht sie es hielten und für wie wahrscheinlich. Außerdem spielte eine Rolle, welche persönlichen Erfahrungen die Teilnehmer bis dahin gemacht hatten. Es gab außerdem Stereotype über Personen, denen bestimmten Ereignisse aus Sicht der Teilnehmer häufiger zustießen: So hatten sie beispielsweise bei der Frage nach dem Auftreten von Verkehrsunfällen ein formelhaftes Bild von Personen im Kopf, die regelmäßig alkoholisiert oder zu schnell fahren. Eine Reihe weiterer Forschungen bestätigte, dass uns zwar bewusst ist, dass es negative Ereignisse – also Unfälle, Erkrankungen oder andere Härten des Lebens – gibt, wir aber wie selbstverständlich davon ausgehen, dass es uns schon nicht treffen wird.

Was geht in uns vor, wenn wir glauben, dass uns erwünschte Lebensereignisse eher zustoßen und unerwünschte seltener? Vermutlich, meinte Weinstein damals, stellten sich seine noch jungen Versuchsteilnehmer in diesem Moment vor, wie sie bestimmte Ereignisse planten: Wenn sie überzeugt waren, dass sie eines Tages heiraten würden, sahen sie sich zum Beispiel Hochzeitseinladungen entwerfen. Oder sie gingen von einem gesunden Lebensstil aus, wenn sie an Erkrankungen dachten. Zugleich nahmen sie an, dass andere Menschen solche Dinge nicht täten. Wenn ich selbst mich vorbereite und gleichzeitig denke, andere täten dies nicht, entsteht schnell die Vorstellung, dass das erwünschte Ereignis in meinem Leben eher vorkommen wird und dies in dem der anderen weniger wahrscheinlich ist.

Vielen vertraut aus dem eigenen Alltag ist die planning fallacy. Obwohl wir es besser wissen könnten, halten wir zäh daran fest, uns zu überschätzen: Wir schätzen den Zeitaufwand der meisten Alltagstätigkeiten geringer ein, als er ist, und werden dann nicht rechtzeitig fertig oder kommen zu spät. Diese Art des unrealistischen Optimismus lässt sich auch an einer Reihe von Großprojekten zeigen, vom Opernhaus in Sydney über die Planung des Eurostars bis hin zum Berliner Flughafen – überall wurde viel zu optimistisch geplant. Der zypriotische Psychologe Spyros Makridakis weist allerdings darauf hin, dass gerade bei den großen Bauvorhaben die Kosten und der Planungsaufwand im Vorfeld oft gezielt geringer angegeben würden und es sich hier nicht um reines illusorisches Denken oder unrealistischen Optimismus handele, sondern auch um eine Strategie, um den Auftrag zu erhalten.

Prinzipiell können wir auf zwei Arten unrealistisch optimistisch sein, also zwei unterschiedliche Vergleichsmaßstäbe nutzen. Indem wir überzeugt sind, wir würden in Zukunft mehr verdienen als Gleichaltrige, orientieren wir uns an einem durchschnittlichen Einkommen. Wenn wir glauben, in Zukunft werde es uns besser gehen als anderen, vergleichen wir uns mit dem individuellen Schicksal anderer. Dabei übersehen wir, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es anderen so schlecht- oder gutgeht wie uns, gleich hoch ist.

Unverletzlich?

Wie der kanadische Psychologe Steven Taylor in seinem Buch Die Pandemie als psychologische Herausforderung schreibt, gibt es unrealistischen Optimismus auch beim Umgang mit Infektionskrankheiten: „Menschen mit einer starken Neigung zu unrealistischem Optimismus sehen sich tendenziell als resistent gegen Infektionen an.“ Damit sei das Gefühl der Unverletzlichkeit verbunden. Verschiedene psychologische Studien zeigen: Menschen, die sich für weniger verletzlich halten, empfinden weniger Angst nach belastenden Lebensereignissen, fangen häufiger an zu rauchen, fahren häufiger alkoholisiert Auto oder nehmen öfter Drogen.

Was sich sagen lässt: Es gibt einen kurzfristigen emotionalen Benefit, wenn jemand unrealistischerweise optimistisch ist: Ängste lassen sich reduzieren, Niedergeschlagenheit überwinden. Das Risiko besteht eher in den langfristigen Nachteilen: riskantem Verhalten und mangelnder Gesundheitsvorbeugung, dem Scheitern an Alltagsaufgaben, wenn man stets von neuem der planning fallacy anheimfällt, Enttäuschung, wenn es zu einer Trennung kommt, mit der man nicht gerechnet hatte. Die gute Nachricht: Es ist leicht, anders zu denken. Psychologen erinnern an Achtsamkeit: die Fähigkeit, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, nicht zu gut und nicht zu schlecht. Das hilft, Abstand zu gewinnen und sich nicht verrückt machen zu lassen.  

Neil D. Weinstein: Unrealistic optimism about future life events. Journal of Personality and Social Psychology, 39/5, 1980, 806–820. DOI: 10.1037/0022-3514.39.5.806

James A. Shepperd u.a.: A primer on unrealistic optimism. Current Directions in Psychological Science, 24/3, 2015. DOI: 10.1177/0963721414568341

Spyros Makridakis, Andreas Moleskis: The costs and benefits of positive illusions. Frontiers in Psychology, 2015. DOI: 10.3389/fpsyg.2015.00859

Steven Taylor: Die Pandemie als psychologische Herausforderung. Ansätze für ein psychosoziales Krisenmanagement. Psychosozial, Gießen 2020

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 10/2020: Die Macht des Selbstbilds