Wackernagels Schachnovelle

Das ehemalige RAF-Mitglied Christof Wackernagel deutet in seinem neuen Buch „Politik des Traums" Träume als Ausdruck des kollektiven Unbewussten.

Das letzte Werk von Stefan Zweig ist die bereits im Exil geschriebene Schachnovelle. Der Protagonist droht, in Einzelhaft den Verstand zu verlieren. Er rettet sich, indem er ein Buch über meisterliche Schachpartien nicht nur auswendig lernt, sondern beginnt, gegen sich selbst zu spielen. An diese Erzählung erinnert die Entstehungsgeschichte der Politik des Traums von Christof Wackernagel. In der Isolationshaft als verurteiltes RAF-Mitglied entdeckt er die kreative Welt der eigenen Träume.

Er beginnt, sie rituell aufzuschreiben: mit einem weichen Bleistift, in kleiner Schrift, auf benutztem Papier. Er tut das bis heute. Wackernagel war ein erfolgreicher Schauspieler, als er sich 1977 der RAF anschloss. Nach einer Schießerei wurde er verhaftet und zu 15 Jahren Haft verurteilt, distanzierte sich 1983 vom Terrorismus und kam 1987 nach zehn Jahren Gefängnis frei. Sein Buch erweist ihn als klugen, neugierigen Autor, der die dramatische Begeisterung seiner ersten Entdeckung des Traums in der Isolationshaft nicht vergessen hat, sondern sie quasi der Menschheit als (Er-)Lösungshoffnung anbietet.

Als Schauspieler versteht Wackernagel viel vom Film; besonders interessant ist daher seine Bemerkung einer „fatalen Überbewertung des Films als mit dem Traum vergleichbarem Medium“. Analysandinnen und Analysanden auf der Couch versprechen sich nicht selten, sagen „in dem Film“ statt „in dem Traum“. Wackernagel konstatiert eine lebendige Überlegenheit des Traums, an die das Kino mit seinen Konstruktionen nie heranreichen wird. Fazit: In einer Zeit, in der Verhaltenstherapeuten sich nicht für Träume interessieren und selbst Psychoanalytikerinnen die Beziehungsanalyse akzentuieren, ist Wackernagels Traumbegeisterung eine Inspirationsquelle.

Christof Wackernagel: Politik des Traums. Kunstwerk Traum – Schlüssel zur Utopie. Zu Klampen, Springe 2020, 133 S., € 16,–

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 4/2021: Selbstwert wagen
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