Gemütlichkeit und Geborgenheit: Wer über diese beiden Empfindungen der Behaglichkeit nachdenkt, hat schnell bestimmte Bilder dazu im Kopf. Ein Abend auf dem Sofa ist gemütlich, ebenso die ausgebeulte Jogginghose oder der alte Lieblingspullover. Ein Zimmer vermittelt durch seine Art der Einrichtung Geborgenheit, und auch ein Treffen mit der engsten Freundin kann diesen Effekt haben. Wenn es regnet und kalt ist, empfinden wir das als un-gemütlich und bemühen uns, möglichst schnell ins gemütlich Warme zu…
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un-gemütlich und bemühen uns, möglichst schnell ins gemütlich Warme zu kommen.
Wir wissen, wann wir uns gemütlich und geborgen fühlen. Doch obwohl uns beide Begriffe so geläufig sind, ist es schwierig, sie zu definieren. Das fand die Kulturwissenschaftlerin Brigitta Schmidt-Lauber heraus, die einen der Begriffe, die Gemütlichkeit, wissenschaftlich unter die Lupe nahm. Sie befragte dazu Menschen zwischen 14 und 92 Jahren, die in Deutschland lebten und unterschiedliche Berufe ausübten. Sie alle gaben Auskunft, was „Gemütlichkeit“ für sie bedeutete, welche Situationen oder Ereignisse sie „gemütlich“ fanden, wie sie es sich „gemütlich machten“ und welche Gefühle damit einhergingen.
Die Teilnehmer notierten alle Begriffe, die für sie zum Thema passten. In den anschließenden Gesprächen zeigte sich: Die Befragten waren einhellig der Meinung, ihr Urteil über das, was sie „gemütlich“ finden, sei höchst individuell. Für die Forscherin sahen die Ergebnisse vielschichtiger aus: Zwar entdeckte sie eine Vielfalt an Begriffen, die der „Gemütlichkeit“ zugeordnet wurden, die teils sehr persönlich ausfielen: Bei einer Person lösen „Kirschen“ diese Stimmung aus, eine andere findet „Fachwerkhäuser“ gemütlich, bei einer dritten kann „Motorradknattern“ Gemütlichkeit erzeugen. Aber neben diesen individuellen Quellen der Gemütlichkeit fand die Wissenschaftlerin auch große Überschneidungen. Typischerweise wurden folgende Begriffe und Situationen mit Gemütlichkeit assoziiert: Kerze, Sofa und Kissen, ein Essen mit Freunden, Kuscheln mit den Kindern, Frühstück im Bett. Und die Forscherin entdeckte noch eine Gemeinsamkeit: Das allzu Gewohnte taugt danach nicht zur Gemütlichkeit. So nannten beispielsweise „fernsehen“ nur solche Menschen gemütlich, die selten vor der Glotze saßen.
Gemütlichkeit: Angenehm oder kleingeistig?
Der Begriff „Gemütlichkeit“, so fand Schmidt-Lauber heraus, weckt bei vielen Menschen ambivalente Gefühle: Neben angenehmen Assoziationen verbinden einige mit dem Begriff eine kleinbürgerliche Lebensgestaltung, Spießbürgertum, Engstirnigkeit, Kleingeistigkeit und sogar eine unpolitische bis rechtsextreme Einstellung. Tatsächlich trägt Gemütlichkeit den Ruf der Engstirnigkeit nicht ganz zu Unrecht: Denn Gemütlichkeit gibt es nur in einer kleinen Gruppe, die sich oft aus engen Freunden oder Familienangehörigen zusammensetzt. Idealerweise besteht diese Runde aus zwei bis sechs Personen. Sobald man nicht mehr „unter sich“ ist, schwindet für viele die Gemütlichkeit, so die Ergebnisse der Forscherin. Fremde werden daher aus dem Kreis der „Gemütlichkeit“ ausgeschlossen – das ist ihre Kehrseite.
Schauen wir auf die Vorgänge im menschlichen Körper, so liegt unserem Empfinden von „Gemütlichkeit“ immer eine Sinnesreizung zugrunde, die wir als angenehm empfinden. Der Eindruck kann durch optische Reize ausgelöst werden wie den Anblick eines in unseren Augen „schön“ eingerichteten Wohnzimmers bei gedämpftem Licht. Auch akustische Signale wie eine ansprechende Musik oder die Berührung von etwas Angenehmem (wie dem Fell einer Katze oder einer weichen Decke) können uns gemütliche Gefühle bereiten. Die objektiven Gegebenheiten einer Situation machen aber noch keine „Gemütlichkeit“ aus. Trotz der liebsten Katze, des schönsten Kerzenlichts und der flauschigsten Socken hängt es doch immer von unserer subjektiven Zuschreibung ab, ob wir eine Situation als „gemütlich“ empfinden. Wir müssen uns sicher fühlen, ganz bei uns sein, uns nicht verstellen müssen und ein Gefühl der Authentizität verspüren. Gemütlichkeit steht daher für Seelenruhe, Selbstbestimmung und Freiheit.
Manchmal geht Gemütlichkeit einher mit einer inneren Einkehr, Abschottung und einer Verweigerungshaltung: Wir igeln uns zu Hause ein, gehen nicht an die Tür, lesen keine Mails, ziehen die Vorhänge zu. Darin liegt ein subversiver Aspekt der Gemütlichkeit: Wenn wir es uns derart „gemütlich“ machen, ziehen wir uns von der Welt zurück und weigern uns, zu funktionieren, es den anderen recht zu machen, die gängigen Normen zu erfüllen. Vielleicht bleiben wir den ganzen Tag im Schlafanzug, essen im Bett, krümeln die Laken voll. So gesehen ist Gemütlichkeit ein kleiner Befreiungsschlag aus dem Korsett der alltäglichen Anforderungen.
Gemütlichkeit als Geborgenheit
Die Kulturwissenschaftlerin Brigitta Schmidt-Lauber stellte außerdem fest, dass ihre Gesprächspartner, die sie zur Gemütlichkeit befragte, immer wieder von Geborgenheitsgefühlen sprachen. Dies kam so häufig vor, dass die Expertin folgert: Geborgenheit ist das grundlegende Charakteristikum für Gemütlichkeit. Oft tauchten in den Gesprächen Erinnerungen an Momente des Umsorgtwerdens als Kind auf. Ein Klassiker war das „Vorgelesenbekommen“, das eine typische Geborgenheitssituation kennzeichnet.
„Der Mensch ist ein Geborgenheitswesen“, so beschreibt es der Psychologieprofessor Hans Mogel von der Universität Passau. Er ist der führende – und nahezu einzige – Forscher, der sich der Empfindung angenommen hat, die wir in unserer Sprache mit dem Wort „Geborgenheit“ umschreiben. Seit Mitte der 1980er Jahre führt er Studien dazu durch. Seine Befragungen von Menschen aller Altersstufen ergaben:
„Sicherheit“ ist das am häufigsten genannte Geborgenheitsmerkmal, gefolgt von den Bereichen „sozialer Kontakt“ und „Nestwärme“. Mogel stieß noch auf viele weitere Aspekte, die für unser Geborgenheitserleben eine wichtige Rolle spielen: So ist beispielsweise die „Familie“ ein bedeutungsvoller Ort der Geborgenheit, ebenso die Erfahrung von „Gemeinschaft“. Das „Zuhause“ wird von fast allen Menschen als herausragende Geborgenheitsquelle erlebt, für viele stellt der „Arbeitsplatz“ eine wichtige Geborgenheitssituation dar. Mogel stieß bei den Datenauswertungen auf einige Unterschiede – Frauen und Männer, alte und junge Menschen finden oft in verschiedenen Situationen Geborgenheit. Für junge Frauen stellt beispielsweise die „Freundschaft“ eine besonders wichtige Quelle der Geborgenheit dar; Männer zwischen 70 und 80 Jahren sehen dagegen die „Partnerschaft“ als herausragenden Geborgenheitsspender an.
Geborgenheitsquellen: Familie, Freunde, Natur, Nachbarschaft
Der Forscher fand noch weitere Aspekte, deren Wichtigkeit sich mit dem Lebensalter wandelt: So wird etwa „körperliche Liebe“ im Jugendalter als enorm wichtige Quelle der Geborgenheit erlebt– sie spielt aber später kaum noch eine Rolle für die Geborgenheit, weder bei Männern noch bei Frauen.
Die „Kirche“ dient vor allem Frauen ab 50 Jahren als wichtige Geborgenheitstankstelle. In der „Natur“ finden besonders Männer Geborgenheit, sie spielt bei Frauen erst ab 50 Jahren eine Rolle. Anderes gilt für den Bereich „Nachbarschaft“: Männer nennen sie in keinem Lebensalter als Quelle der Geborgenheit, für Frauen stellt Nachbarschaft dagegen ab etwa 50 Jahren eine wichtige Geborgenheitssituation dar. Neben diesen Alters- und Geschlechtsunterschieden entdeckte Hans Mogel in jüngster Zeit bei seinen internationalen Forschungen auch kulturelle Unterschiede (siehe Kasten).
Der Psychologieprofessor sieht die Suche nach Geborgenheit als zentralen Lebensinhalt jedes Menschen an. Doch wo finden wir Geborgenheit? Und: Können wir selbst etwas dazu beitragen, dass sich dieses Gefühl einstellt? Durchaus. Ob wir uns in einer bestimmten Situation – oder grundsätzlich in unseren Lebensumständen – eher geborgen fühlen oder nicht, hängt neben den äußeren objektiven Umständen immer auch von unserer inneren Verfassung ab. Das bedeutet, dass wir auf zweierlei Weise für mehr Geborgenheit in unserem Leben sorgen können: Wir können zum einen unsere Lebensumstände „geborgenheitsfreundlich“ gestalten und zum anderen unsere Einstellung zum Leben überdenken. Wie das gelingt, dazu hat sich der Psychotherapeut Ulfilas Meyer Gedanken gemacht. Er beschreibt in seinem Buch Geborgenheit. Unsere Suche nach dem inneren Halt verschiedene Wege. Immer geht es darum, Kontakt aufzunehmen – mit der Welt oder mit sich selbst.
Nähe zu anderen Menschen herstellen
Menschen brauchen Bindungen. Babys zeigen diesen Wunsch nach Nähe durch Anklammern und Weinen, wenn sie sich allein gelassen fühlen. Im Erwachsenenalter drückt sich die Lust an Bindung darin aus, dass wir enge Freundschaften und Partnerschaften eingehen und soziale Netzwerke bilden. Jeder braucht beständige und berechenbare Beziehungen. Das gilt besonders für belastende Situationen. Psychologische Experimente belegen, dass schon die reine Anwesenheit von Vertrauten auf uns beruhigend wirkt: Der Herzschlag verlangsamt sich, der Blutdruck sinkt. Forschungen zeigen auch: Wer sozial isoliert ist, trägt ein höheres Risiko, körperlich zu erkranken. „Freundschaft ist Geborgenheit im Du“, so formulierte es die lettische Schriftstellerin Zenta Maurina, die der Psychotherapeut Meyer in seinem Buch zitiert. Oder, allgemeiner gesagt: Durch Nähe zu anderen finden wir Geborgenheit in der Welt.
Rituale pflegen
Der Kaffee am Morgen mit dem Partner, die Samstagabend-Essen in der Wohngemeinschaft, die allmonatliche Skatrunde, der „Tatort“ am Sonntagabend, der Tee vor dem Zubettgehen – egal, welche Rituale wir pflegen, sie alle üben eine beruhigende Wirkung auf uns aus. Rituale sind Routinen und Gewohnheiten, sie sind daher verlässlich, geben unserem Leben Sicherheit und Struktur. Der Termin steht fest, der Ablauf geschieht sogar in einer vorher festgelegten Weise. Abweichungen vom Programm sind nicht vorgesehen, Unwägbarkeiten und Überraschungen gibt es daher kaum. Und genau wegen dieser vorhersagbaren Gleichförmigkeit schlummert in Ritualen ein großes Geborgenheitspotenzial.
Rituale rhythmisieren unser Leben, sie helfen uns, „Ordnung im Leben herzustellen“. Weihnachtsfeiern und Geburtstage strukturieren das Jahr, das wöchentliche Chortreffen kennzeichnet den Montagabend, die Feierabend-Zigarette markiert das Ende der täglichen Arbeit und läutet die Freizeit ein. Rituale geben unserem Leben Verlässlichkeit, denn sie bergen eine Vergangenheit (es war schon immer so) und eine Zukunft (so wird es wieder sein). Und sie gewähren uns eine Auszeit vom Entscheidungsdruck: Wo um Himmels willen soll man in diesen Ferien hinfahren? Skandinavien, Fernost, in die Berge oder ans Meer? Die Möglichkeiten können einen erschlagen. Wer seinen Sommerurlaub traditionell an der Ostsee verbringt, hat ein Problem weniger. Zugleich sind Routinen auch Ruhespender: Weil sie immer gleich ablaufen, lässt sich nichts beschleunigen oder überspringen wie sonst im Alltag. Und sie bieten uns einen Schutzraum: Die ansonsten weiten Räume mit ihren überbordenden Möglichkeiten werden durch Rituale klein. In Ritualen sind wir authentisch. Bei „unserer Kartenrunde“ und auf „unserem Wanderweg“ ist der Zwang zur Selbstinszenierung aufgehoben. Dort müssen wir uns nicht verstellen, wir geben uns, wie wir sind.
Heimatgefühle entdecken
Heimat verwurzelt uns in unserer Kultur und Tradition. Für viele Deutsche der Nachkriegsgeneration ist aber Heimat bis heute ein schwieriger Begriff. Viele nahmen das Wort aus guten Gründen nie in den Mund, weil in unserer NS-Vergangenheit im Namen der Heimat und mit der Betonung der nationalen Herkunft unfassbare Verbrechen begangen wurden. „Heimat schien unserer Generation nicht nötig“, schreibt Ulfilas Meyer, der im Nachkriegsdeutschland aufwuchs, „wir waren dagegen.“ Inzwischen ist der Psychotherapeut sicher, dass wir auf „Heimatgefühle“ nicht verzichten können, denn Heimat stellt einen Anker für die Gefühle der Zugehörigkeit dar.
Auch ein Weltenbürger darf sich Heimatgefühle leisten, es bedeutet nicht, sich auf ein Nationaldenken zu berufen. Der Psychotherapeut versteht Heimatgefühle als besondere Empfindungen zu einem wohlbekannten Flecken Land, zu einem vertrauten Dialekt, zu dem Geruch von Heide oder Meer, den wir aus der Kindheit kennen, oder zu einer bestimmten Art zu kochen. Diese Gefühle zu einem Ort, an dem wir uns in der Kindheit sicher und behütet fühlten, können uns Geborgenheit geben.
Kontakt mit der Natur aufnehmen
Wir verstehen uns als denkende, zivilisierte Wesen – und sind daher von den einfachen Vorgängen in der Natur meilenweit entfernt. Andererseits fühlen viele sich gerade in der Natur geborgen. Wie es zu dieser Behaglichkeit im Angesicht von Bergen, Wäldern oder Wildtieren kommt, das untersucht die Naturpsychologie. Dieser Forschungszweig ist noch neu, aber erste Studien deuten darauf hin, dass wir uns in der Natur tatsächlich psychisch wohler fühlen als in der Hochzivilisation. Immerhin sind Wiesen und Wälder, Steppen und Felder der Lebensraum unserer Vorfahren. Von unseren Sinnen her sind wir daher auf ein Leben in der Natur ausgerichtet.
Die „psychoevolutionäre Theorie“ geht davon aus, dass die Natur einen Erholungsraum darstellt, den wir als Gegenwelt zur bebauten Landschaft erleben. Danach ruhen zum einen in der Natur unsere Ablenkungs- und Unterdrückungsmechanismen, wir tanken dadurch Kraft und bauen Stress ab. Zum anderen weckt die Natur psychische Ressourcen: Sie macht uns ruhig, stärkt das Selbstvertrauen, gibt uns das Gefühl von Einheit mit einem großen Ganzen und stiftet auf diese Weise Sinn.
Das Denken überdenken
Um das Denken brauchen wir uns nicht zu kümmern, es geschieht automatisch: Jeder Reiz, ob von außen oder von innen, bewirkt, dass unser Denkapparat in Gang gerät: Wir sehen oder fühlen etwas, und sofort ordnen wir es ein und bewerten es. Dabei strengen wir uns an, scheinbar sinnlosen Dingen eine Bedeutung zu geben, und wir versuchen, Zusammenhänge herzustellen. Wir meinen, unser Denken ist immer nützlich. Wir glauben, dass wir Wahrnehmungen neutral verarbeiten, Informationen logisch einordnen und vernünftig verwerten. Das ist aber ein Trugschluss. In Wirklichkeit, schreibt Meyer, ist unser Denken „voller neurotischer Muster und selbstgezimmerter Einbahnstraßen“. Es ist „entrückt und verrückt, assoziativ und intuitiv“.
Wie unser Denkapparat arbeitet und was uns im Kopf herumgeht, ist aber wichtig. Denn wir sind mit unseren Gedanken stark identifiziert – wir sind, was wir denken.
Der Psychotherapeut wirbt für das konzentrierte Selbstgespräch, die bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen Gedankenmaterial. „Wer das Selbstgespräch vernachlässigt, die inneren Stimmen im äußeren Lärm nicht mehr hört“, schreibt er, „fürchtet, sich zu verlieren.“ Und das wäre das Gegenteil der Geborgenheit. Sie bedeutet: Sich selbst bewusst zu sein, seiner mächtig zu sein und in sich selbst einen inneren Halt zu finden.
Im Grunde sind Menschen geborgen, ist der Psychotherapeut Ulfilas Meyer überzeugt. Wir müssten Geborgenheit nur für uns erlebbar machen. Geborgenheit zu finden sieht er als lebenslange Entwicklungsaufgabe jedes Menschen an – und darin könnte sogar der berühmte „Sinn des Lebens“ bestehen, nach dem wir oft suchen.
Ob-un-djai / Warm ums Herz: Was Thailänder unter Geborgenheit verstehen
Seit November 2013 ist der Psychologieprofessor Hans Mogel in Thailand, dort führte er mit Menschen zwischen 10 und über 90 Jahren repräsentative Interviews zum Thema „Geborgenheit“ durch. Die insgesamt 150 Gespräche wertet der Wissenschaftler derzeit vor Ort in Thailand aus. Um diese Menschen für seine Interviews zu gewinnen, reiste er gelegentlich mit dem Taxi in den thailändischen Dschungel oder in abgelegene Dörfer.
In Thailand haben die Menschen eine etwas andere Vorstellung von Geborgenheit. Sie sprechen von „ob-un-djai“, was wörtlich übersetzt „warm ums Herz“ bedeutet. Diese Wortkombination drückt ein Grundgefühl aus, das dem unserer Geborgenheit entspricht, es beinhaltet Wärme, Wohlbefinden, Sicherheit und Schutz, Nähe und manchmal auch Glück.
Insgesamt entdeckte Mogel bei seinen Interviews in Thailand:
Geborgenheit ist hier stark mit der Existenzsicherung verbunden. „Genug Geld zum Leben“ zu haben scheint bei den Menschen aller Altersgruppen in Thailand ein vorrangiges Merkmal für das Erleben von Geborgenheit zu sein.
Bei den 10- bis 20-jährigen Thai entdeckte der Psychologe außerdem: Ungeborgenheit drückt sich für sie vorrangig in „Konflikten mit anderen Menschen“ aus. Sie zeigten, verglichen mit gleichaltrigen Deutschen, eine größere Angst vor „Streit“.
Für die 20- bis 30-jährigen Thailänder sind wichtige Geborgenheitsspender: die Eltern, Familie, Freunde, Geld, Glück, der König, Thailand. Ungeborgensein drückt sich aus durch: Alleinsein, Streit mit anderen, kein Geld haben. Die Begriff „Liebe und Angst“ sind in Thailand beim Thema „Geborgenheit“ verknüpft. Mogels Erklärung dazu: „Liebe wird als Quelle von Geborgenheit ersehnt und empfunden – gleichzeitig herrscht die Angst, sie zu verlieren und damit eine existenzielle Quelle der Geborgenheit einzubüßen.“
Die wichtigsten Geborgenheitskriterien bei den 30- bis 50-Jährigen sind Eltern und Familie, Liebe, Arbeit, Glück, Kinder.
Bei der Altersgruppe der 50- bis 90-Jährigen fand der Forscher insgesamt eine erhöhte Lebensunsicherheit im Vergleich zu jüngeren Thai. Neben zunehmenden Krankheiten geht das Ungeborgenheitsgefühl des Alleinseins in Einsamkeit über, häufig gepaart mit Existenznot.
Geborgenheit ist …
Was verbinden Menschen mit dem Begriff Geborgenheit? In Deutschland ergab sich bei den Befragungen von Hans Mogel folgende Rangfolge:
- Sicherheit
- Wärme
- Wohlbefinden
- Vertrauen
- Liebe
- Akzeptanz
- Schutz
- Verständnis
- Zuneigung
- Hilfe erhalten
- Zuhause
- innere Ruhe
In jüngster Zeit fand Mogel folgenden Trend: Während die Aspekte „Sicherheit“ und „Wohlbefinden“ weiterhin sehr wichtig sind, nimmt das Kriterium „Wärme“ in seiner Bedeutung für die Geborgenheit ab.
Literatur
Ulfilas Meyer: Geborgenheit. Unsere Suche nach dem inneren Halt. Primus, Frankfurt a. M. 2013
Hans Mogel: Geborgenheit. Psychologie eines Lebensgefühls. Springer, Heidelberg 1995
Brigitta Schmidt-Lauber: Gemütlichkeit. Eine kulturwissenschaftliche Annäherung. Campus, Frankfurt am Main 2003