Wenn in einem Text die Einrichtung eines Zimmers beschrieben wird, entstehen beim Lesen Bilder im Kopf. Man sieht das blaue Sofa, den gläsernen Tisch, darauf die weiße Vase mit roten Rosen, das Sonnenlicht auf dem Parkettboden. Bei rund zwei bis drei Prozent der Menschen passiert das nicht – vor ihrem inneren Auge bleibt es schwarz und still, egal wie plastisch eine Schilderung ist. Dieses Phänomen wird Afantasie genannt.
Zwei Forscherinnen und zwei Forscher testeten nun 30 Menschen, die Afantasie haben. Diese schilderten auch persönliche Erinnerungen im Vergleich zur Kontrollgruppe viel weniger lebendig und detailärmer. Dasselbe passierte, als sie gebeten wurden, sich zukünftige Ereignisse auszumalen.
Wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schreiben, sei ihre Studie die erste empirische Prüfung des autobiografischen Gedächtnisses von Menschen mit Afantasie. Das eingeschränkte Vorstellungsvermögen kann angeboren sein oder sich in seltenen Fällen nach einem Unfall oder Schlaganfall entwickeln. Forschende nehmen an, dass Bereiche des Gehirns nicht (mehr) richtig zusammenarbeiten. Der Leidensdruck sei bei den Betroffenen jedoch nicht sehr hoch.
Alexei J. Dawes u.a.: Memories with a blind mind: Remembering the past and imagining the future with aphantasia. Cognition, 2022. DOI: 10.1016/j.cognition.2022.105192