Aus welchem Buch stammt er?
Literarisch inspirierte Kolleginnen und Kollegen könnten versucht sein, meinem Patienten ein Scrivener-Bartleby-Syndrom anzudichten. Aber das ist es nicht. Herr O. würde es durchaus vorziehen, etwas zu tun, doch dazu ist er schlicht zu müde. Medizinische Abklärungen etwa bezüglich einer postviralen Fatigue haben keinen entsprechenden Befund ergeben: Es müsse „etwas Psychologisches“ sein, lautet die einhellige Meinung, der sich auch Herr O. anschließt.
Er bittet um eine Psychoanalyse mit einer Frequenz von vier Stunden die Woche. Seine Behandlung geht nun mittlerweile schon ins fünfte Jahr. Seine Tage daheim verbringt Herr O. weiterhin meistens liegend, sein Mittagsschlaf ist ihm geradezu heilig. Ein nicht unbeträchtliches Erbe an Immobilien, um deren Verwaltung er sich jedoch kaum kümmert, ermöglicht ihm diesen Lebensstil. Während ich am Sinn der Behandlung zunehmend zweifle, ist mein Patient damit sehr zufrieden. Auf der Couch zu liegen und frei zu assoziieren sei genau das, was er von einer Therapie erwarte. Meine Deutung, die Psychoanalyse könnte Teil seines Symptoms geworden sein, lässt er nicht gelten. Er habe in den letzten Jahren über vieles nachgedacht, und das sei doch schließlich das Ziel einer Psychoanalyse.
Ich murmle: „Ja schon, irgendwie, aber…“– zu müde, um ihm wortreich zu widersprechen; ich nehme mir aber vor, meine Resignation bei Gelegenheit einmal genauer als Gegenübertragungsreaktion zu analysieren, wenn ich jemals die Kraft dazu finden sollte.
Aus welchem Buch stammt der beschriebene Patient? Hier finden Sie die Auflösung.