Angst vor Machtverlust

Wenn Führungskräfte befürchten müssen, ihren Einfluss zu verlieren, neigen sie zu unethischem Verhalten. Machtverlust korrumpiert, zeigt eine Studie.

Führungskräfte haben Einfluss und Verantwortung in ihren Organisationen und Unternehmen. Dafür werden sie belohnt, etwa indem ihnen mehr Freiräume für ihre Entscheidungen zugestanden werden, sie sich auch stärker auf ihre Ziele konzentrieren können oder sie besseren Zugang zu Ressourcen genießen, wie etwa Dienstwagen. Aus psychologischen Forschungen ist bekannt, dass Menschen, die Macht haben, versuchen, diese zu erhalten. Was zu der Angst führt, sie zu verlieren, wenn sie gefährdet ist – Führungskräfte können den einmal gewonnenen Einfluss mitsamt aller Vorteile wieder verlieren und haben Rivalen. In diese Situation geraten sie in der heutigen Arbeitswelt deutlich häufiger als noch vor wenigen Jahrzehnten, schreiben Psychologen. In einer Studie untersuchten die Autoren erstmals empirisch, was Angst vor Machtverlust mit Führungskräften macht: Sie korrumpiert, lautet das Ergebnis, und führt dazu, dass Managerinnen und Manager beginnen, ihren eigenen Interessen oberste Priorität zu verleihen.

Die Forscher befragten 156 Vorgesetzte und Mitarbeiter aus kleineren, niederländischen Unternehmen sowie 56 Teams und deren Leiter aus weiteren niederländischen Firmen. Zudem nahmen mehr als 380 Führungskräfte aus verschiedenen US-amerikanischen Industrieunternehmen an einer Onlineumfrage teil, für die sie jeweils vier Szenarien lasen und bewerteten. Bei allen Probanden maßen die Psychologen ihre Angst vor Machtverlust, ihre Neigung zu selbstschützendem Verhalten und fragten danach, wie kompetitiv die Teilnehmer ihr jeweiliges Arbeitsumfeld fanden.  

Sich selbst schützen wird wichtig

Die Studie zeigt: Sobald Führungskräfte Angst vor Machtverlust haben, neigen sie zu selbstschützendem Verhalten und verlieren ihr Team sowie ihren Arbeitgeber aus den Augen. So können Vorgesetzte versuchen, Ressourcen mehr zu ihren eigenen Gunsten zu verteilen oder mit allen Mitteln danach streben, Boni zu bekommen - auch wenn diese Versuche auf Kosten des Unternehmens und seiner Mitarbeiter gehen. Die persönlichen Interessen bekommen plötzlich oberste Priorität. Dieser Effekt erwies sich in der Studie als umso stärker, je kompetitiver das Umfeld der Befragten war. Die Forscher empfehlen Organisationen und Unternehmen, das Betriebsklima auch unter Führungskräften im Auge zu behalten. Eine „the winner takes it all“-Mentalität fördere unethisches Verhalten.

Barbara Wisse u. a.: „Fear of losing power corrupts those who wield it”: The combined effect of leader fear of losing power and competitive climate on leader self-serving behavior. European Journal of Work and Organizational Psychology, 28/62019.DOI: 10.1080/1359432X.2019.1635584

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