Führung: Mehr Respekt, bitte!

Kaum etwas fehlt Arbeitnehmern vonseiten der Vorgesetzten so sehr wie Respekt. Dabei ist er ein wichtiger Faktor – nicht nur für die Produktivität!

Ein männlicher Vorgesetzter steht lächelnd vor seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und lächelt freundlich
Viele Führungskräfte verstehen es nicht, Anerkennung zu zeigen und für ein vertrauensvolles Miteinander zu sorgen. © Tom Werner/Getty Images

Allen Schnöseln und Abkassierern zum Trotz: Werte wie Ehrlichkeit, Anstand und Respekt sind keinesfalls passé. Für die meisten zählen sie heute gar mehr als Status und Geld – und zwar nicht nur zu Hause, sondern gerade da, wo dergleichen oft als Zusatzzuckerl gilt: am Arbeitsplatz. Vor fünf Jahren zeigten Studienergebnisse des Hamburger Forschungsprojekts RespectResearchGroup, dass Respekt seitens des Vorgesetzten an zweiter Stelle der Dinge steht, die sich Arbeitnehmer wünschen (nur „interessante Aufgaben“…

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an zweiter Stelle der Dinge steht, die sich Arbeitnehmer wünschen (nur „interessante Aufgaben“ zählen mehr). Gleichzeitig fehlte es ihren Antworten zufolge viel zu oft an Wertschätzung und Anerkennung.

Um Unternehmen zu Veränderungen anzuregen, entwickelten die Hamburger Forscher eine Art Respekttest, eine Liste mit zwölf Aussagen zum Verhalten des Vorgesetzten wie etwa „behandelt mich fair“, „vertraut mir, dass ich eigenständig und selbstverantwortlich gute Leistung bringe“, „erkennt mich als vollwertiges Gegenüber an“, „geht offen und ehrlich mit mir um“. Mehrere Studien zu Voraussetzungen von Respekt am Arbeitsplatz, zu Führungsbildern oder Wertevorstellungen von Geführten erhärten seitdem die Erkenntnis: Ein respektvolles Miteinander ist essenziell für eine gute Arbeit – zum Beispiel bei Problemlösungen, die Kreativität erfordern, oder bei der Verzahnung der Arbeit, etwa in multinationalen Teams.

Die Erkenntnisse der vergangenen Jahre veranlassten Professor Niels Van Quaquebeke, der zu den Gründern der Respektforschungsgruppe gehört, schon in der Ausbildung neue Weichen zu stellen. An den privaten Hochschulen Kühne Logistics University und Bucerius Law School in Hamburg unterrichtet er sowohl Studenten als auch Führungskräfte. Das größte Interesse seiner Kursteilnehmer sei zunächst instrumenteller Art: Wie kriege ich den Mitarbeiter dazu, etwas Bestimmtes zu machen? Der Psychologe will jedoch erreichen, dass die Teilnehmer weiterdenken: „Viele Führungsansätze sind effektiv, doch die Frage nach respektvoller Führung ist: Was ist effektiv und kreiert gleichzeitig ein langfristig gutes Arbeitsumfeld?“

Wie wollen wir arbeiten?

Dabei vermisst er den Blick aufs Ganze, sowohl bei Studenten als auch bei gestandenen Führungskräften. Deshalb hakt er zwischendurch ein und stellt Fragen wie: „Was werdet ihr hinterlassen? Welche Arbeitsplätze wollt ihr – für euch, eure Mitarbeiter und auch für eure Kinder?“ Die Reaktion? „Sie sind überrascht. Wir hatten eine Zeitperiode, in der wir verlernt hatten, uns die großen Fragen zu stellen. Wir haben ausgeblendet, was für eine Gesellschaft wir kreieren wollen und dass unsere Unternehmen und Organisationen ein maßgeblicher Teil dieser Gesellschaft sind. Aber mittlerweile erlebe ich eine neue Generation an Studenten und Führungskräften, für die eine komplette Durchökonomisierung nicht die Antwort ist.“

Van Quaquebeke erinnert an das Bild der Karriereleiter und erklärt, wie sich beim Erklimmen die Perspektive ändert: „Die Jungen stehen davor. Sie haben noch nicht die Erfahrung, aber eine Ahnung, wie es sein sollte – sie haben noch alles im Blick. Die auf der Leiter meinen, sich nicht mehr umschauen zu können. Sie fokussieren darauf, die Sprossen möglichst schnell hochzukommen. Die aber oben angekommen sind, lassen plötzlich den Blick schweifen und merken – oh, da gibt es ja noch mehr …“ Analysen der jährlichen Gallup-Umfragen zur Mitarbeiterzufriedenheit unterstreichen seine Einschätzung. Schon seit langem monieren die Meinungsforscher, deutsche Unternehmen hätten vor allem ein Problem: strategisch kurzsichtige, schlechte Führungskräfte – besonders in der Mitte der Karriereleiter –, die die leistungsbereiten guten Mitarbeiter vergraulten.

Was läuft hier falsch? Positiv formuliert: Welche Voraussetzungen braucht es für eine bessere Arbeitskultur? Der Wirtschaftswissenschaftler Jan Borkowski, der ebenfalls im Rahmen der RespectResearchGroup forschte, machte diese Grundfrage 2011 zum Thema seiner Dissertation: „Respektvolle Führung – wie sie geht, was sie fördert und warum sie sinnvoll ist“. Die bemerkenswertesten Ergebnisse:

- Selbst- und Fremdeinschätzung respektvoller Führung können stark voneinander abweichen, sprich: Oft erleben die Mitarbeiter den Chef oder die Chefin weit weniger respektvoll, als diese sich selbst bewerten.

- Persönlichkeit schlägt Werte: Entscheidend ist, was die Führungskraft von innen her vorlebt. Dies hat deutlich größeren Einfluss darauf, wie respektvoll ihr Führungsverhalten von den Mitarbeitern empfunden wird, als die Werte, die sie vor sich herträgt.

- Wie respektvoll in einem Unternehmen geführt wird, hängt auch von dessen Organisationskultur ab.

- „Von einer gestressten Führungskraft“, so Borkowski, „fühlen sich Mitarbeiter weniger respektvoll geführt.“

- „Respektvolle Führung wirkt sich direkt auf die Mitarbeiterleistung aus.“

Zu den erwartbaren Ergebnissen gehörte sicher, dass respektvolle Führungskräfte eher Persönlichkeitsmerkmale aufweisen wie Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, emotionale Stabilität und Offenheit für Erfahrungen. Hingegen hatte Borkowski nicht damit gerechnet, dass Selbst- und Fremdeinschätzung respektvoller Führung unabhängig voneinander sind und sogar stark voneinander abweichen können.

Verblüffend war für den Forscher auch die geringe Bedeutung der (propagierten) Werte: „Vor dem Hintergrund der Wertediskussion hat es mich überrascht, dass die Persönlichkeit einer Führungskraft tiefer verankert ist und einen größeren Einfluss auf den Grad respektvoller Führung hat, als ihre Werte. Werte nämlich können sich ändern, die Persönlichkeit bleibt. Im Umkehrschluss bedeutet das, und das ist auch eine der Empfehlungen, die ich dazu gegeben habe: Wer in seinem Unternehmen respektvolle Führung fördern will, sollte die richtigen Persönlichkeiten auswählen, anstatt seine Führungskräfte später über Werteschulungen auf Kurs bringen zu wollen.“

Die wohl wichtigste Eigenschaft, die eine Führungskraft mitbringen und einüben sollte, ist die Bereitschaft, sich mit ihren Mitarbeitern zu verständigen und sie mit ins Boot zu nehmen, statt einsame Entscheidungen zu treffen. Seit anderthalb Jahren arbeitet Borkowski selbst als Führungskraft in einem internationalen Unternehmen. Er hat auch dort die Erfahrung gemacht: „Kommunikation ist der Schlüssel zu respektvoller Führung.“

Der Hang zu einsamen Entscheidungen

In einem seiner Fallbeispiele beschreibt er, wie die Vorgesetzte in einer Senioreneinrichtung den Pflegeplan ohne ihre Mitarbeiterinnen erstellte. Die Konsequenz: Sie verlor deren Vertrauen in ihre Führungskompetenz. Die Pflegeschwestern sahen auf den ersten Blick, was nicht funktionieren würde, da sie die Eigenheiten des Alltags besser kannten. Dass sie nicht gefragt worden waren, empfanden sie als Missachtung ihres Fachwissens. Sie fühlten sich zu Befehlsempfängerinnen degradiert. Das Berichtigen solcher Fehler kostet später mehr Zeit, als eine gemeinsame Besprechung erfordert hätte.

Ein anderes Beispiel für das Knirschpotenzial durch Mangel an Respekt schildert die Unternehmensberaterin Andrea Lienhart in ihrem Buch Respekt im Job. Einer ihrer Kunden hatte einen massiven Konflikt mit seinem Team: „Sie haben ihrem Chef die Pistole auf die Brust gesetzt. Sein Führungsstil sei autoritär und unkommunikativ – respektlos. Es lief fast auf eine Revolte hinaus, sie forderten eine Aussprache.“

Dieser Chef, sie nennt ihn „Herrn Schneider“, wollte Lienhart als Moderatorin eines Teamtags buchen und bat sie, ihm dazu eine PowerPoint-Präsentation über Führungsstile vorzubereiten. Das lehnte sie ab, denn der Mann versuchte ganz offensichtlich, business as usual zu machen – und die Konfliktbereinigung an sie zu delegieren. „Er musste sich der Kritik stellen. Seine Führungskräfte hatten es satt, dass er Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg traf, ohne auch nur einmal nach ihren Ideen oder ihrer Meinung zu fragen.“

Als Herr Schneider merkte, dass er um diese Klausur nicht herumkommen würde, stellte er sich zunächst Lienharts Fragen, dann einen Tag lang seinem Führungsteam. Während dieses Treffens lief in einem Produktionswerk in Übersee ein gekündigter Mitarbeiter Amok und drohte, sich und das Werk in die Luft zu sprengen. Via Handy ließ Schneider dem Mann Geld und Straffreiheit anbieten – und bekam so tatsächlich die Krisensituation in den Griff. Seine Führungskräfte indes hatten keinen blassen Schimmer von dem Vorfall – er hatte sie nicht eingeweiht.

„Reden Sie darüber“, forderte die Beraterin ihn in einer Pause auf. Derartige Vorfälle gab es wohl öfter, er fand nichts Außergewöhnliches daran. Herr Schneider sprach also darüber, was da gerade vorgefallen war – und das verlieh dem Treffen der Führungskräfte plötzlich eine eigene Dramatik. An diesem Tag redete Herr Schneider mit seinen Leuten über die Hintergründe seiner Entscheidungen, über seinen Stress und gestand sogar ein, dass er sich bisher zu wenig um den Draht zu ihnen gekümmert habe. Sie erlebten, dass der Mangel an Kommunikation kein Misstrauen war, sondern seine Vorstellung von Effizienz. „Sie waren positiv überrascht, dass er den Mut hatte, seine Schwäche einzugestehen“, sagt Lienhart. Am Ende habe er Applaus bekommen.

„Management by decibel“

„Immer wenn es um Konflikte geht, fällt irgendwann das Wort Respekt“, resümiert Andrea Lienhart. Wie aber kann ein Chef respektvoll reagieren, der zu Recht mit der Leistung von Mitarbeitern unzufrieden ist? „Höflich im Ton, klar in der Sache“, empfiehlt Jan Borkowski. „Es gibt ja Menschen, die machen management by decibel. Das halte ich nicht für angebracht. Eine Führungskraft sollte berechenbar sein: Wenn man klar sagt, welche Leistungen man erwartet, kann man diese später auch einfordern.“ Respektvoller Umgang habe jedenfalls nichts mit Kuscheln zu tun. Er sei anstrengend, denn er verlange, dass man die Perspektive des anderen einnimmt und versucht, ihn zu verstehen.

Prinzipiell unterscheidet die Respektforschung zwei Kategorien: den vertikalen oder Leistungsrespekt, der jemandem aufgrund von besonderen Leistungen oder Fähigkeiten zukommt – sowie den horizontalen oder Anerkennungsrespekt, die Wertschätzung auf Augenhöhe, die jedem aufgrund seiner Menschenwürde zusteht, ob von Chef zu Reinigungskraft oder umgekehrt. „Respekt ist, was beim andern ankommt, also sehr subjektiv, das macht es so schwierig“, sagt Catharina Decker, die zum Leitungsteam der RespectResearchGroup zählt. Die Psychologin sieht hier Parallelen zu Erziehungsstilen. Wie zwischen Eltern und Kindern fördere auch in der Beziehung zwischen Chef und Mitarbeitern der ausgewogene „autoritative“ Umgangsstil die emotionale Bindung und die Zufriedenheit am nachhaltigsten. Wenig zielführend sind hingegen die Extreme autoritär und laissez faire, also starkes Kontrollieren beziehungsweise Laufenlassen. „Wenn – im Sinne von laissez faire – die Führungskraft zwar höflich, aber desinteressiert reagiert, ist das weniger schlimm, als wenn sie ihre Mitarbeiter anschreien oder beschimpfen würde, dennoch ist es respektlos.“

Wenn der Chef es ihnen gegenüber an Respekt fehlen lasse, versuchten manche Mitarbeiter, das auszublenden. Doch „andere gehen lieber. Allgemein ist bei respektlosen Chefs die Fluktuation sehr hoch.“ Ein Mangel an Wertschätzung und Anerkennung strahlt aber auch ins ganze Unternehmen aus, betont Decker, denn: „Die Kollegen nehmen es sehr wohl wahr, wenn jemand unhöflich behandelt wird, und rechnen damit: Das könnte mir auch passieren.“ Auch das neue „Microcontrolling“, bei dem Abläufe bis auf die Sekunde vorgegeben und durchgetaktet sind, empfinden Arbeitnehmer als respektlos. Decker erinnert an das Grundbedürfnis nach Autonomie: „Wo das fehlt, stellen manche einfach auf stur, machen ‚Dienst nach Vorschrift‘. Eine Reaktion, die wir Reaktanz nennen.“

Die individuellen Folgen fehlenden Respekts können nach aktuellem Wissensstand sein: Schlaf- und Konzentrationsstörungen, weniger Leistungsmotivation und Kreativität, mehr Depressionen. Dem gegenzusteuern sollte eigentlich im Interesse der Unternehmen selbst sein. Eine ganze Reihe von Betrieben habe das eingesehen und verstanden, worauf es ankommt, meint Van Quaquebeke. Sie setzen Maßstäbe in der Unternehmenskultur.

Kein Vertrauen ohne Fairness

Das in 45 Ländern vertretene Forschungs- und Beratungsinstitut Great Place to Work etwa veranstaltet Wettbewerbe wie „Deutschlands beste Arbeitgeber“ oder „Beste Arbeitgeber im Gesundheitswesen“. In einer standardisierten Befragung bewerten Mitarbeiter die Kultur ihres Unternehmens. Vertrauen ist dabei eines der vier Hauptkriterien: „Vertrauen wird geschaffen durch die wahrgenommene Glaubwürdigkeit des Managements, den Respekt, der den Mitarbeitern ihrer Auffassung nach entgegengebracht wird, und das Maß an Fairness, mit der Mitarbeiter behandelt werden möchten. Der Stolz und der Teamgeist, den die Mitarbeiter im Unternehmen erleben, sind weitere wesentliche Faktoren einer ausgezeichneten Arbeitsplatzkultur.“

Nicht von ungefähr haben besonders jene Unternehmen einen guten Ruf, die ihre Mitarbeiter zu schätzen wissen. Porsche etwa nimmt bewusst 40 Prozent Auszubildende ohne Abitur und kümmert sich dann auch darum, dass sie am Ball bleiben. Der Unternehmer Claus Hipp, Chef und Namensgeber des Babykostherstellers, schreibt in seinem Buch Achtung Anstand!: „Wesentlicher als ein angemessener Lohn ist, dass Mitarbeiter wertgeschätzt und ihre Leistungen anerkannt werden.“ Daher sollten Führungskräfte regelmäßig die Werkshalle besuchen und mit anpacken. Denn: „Nur wer die Leistung anerkennt, die andere zum Erfolg beitragen, der gewinnt eine durch nichts zu ersetzende Verbindung zu seinen Mitarbeitern.“

Unternehmensberaterin Andrea Lienhart ist überzeugt: „Eigentlich weiß jeder genau, was respektvoll ist und was nicht, man muss nur darauf hören.“

Literatur

Jan Borkowski: Respektvolle Führung. Wie sie geht, was sie fördert und warum sie sinnvoll ist. Gabler, Wiesbaden 2011

Claus Hipp: Achtung Anstand! Vom Wert eines respektvollen Miteinanders. Gräfe und Unzer, München 2013

Andrea Lienhart: Respekt im Job. Strategien für eine andere Unternehmenskultur. Kösel, München 2011

Niels Van Quaquebeke, Daan van Knippenberg: Second generation leader categorization theory: How subordinates’ self- and typical leader perceptions moderate leader categorization effects. Journal of Applied Social Psychology, 42/6, 2012, 1293–1319

Niels Van Quaquebeke, Matthias M. Graf, Tilman Eckloff: What do leaders have to live up to? Contrasting the effects of central tendency- versus ideal-based leader prototypes in leader categorization processes. Leadership (im Druck)


Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 4/2014: Die Sprache des Körpers