Zerstörerische Liebe

Caroline Wenzel zeigt in ihrem Buch, wie man psychische Gewalt erkennt, und welche Hilfsangebote es gibt.

Ungewöhnlich direkt beginnt dieses Buch mit Schilderungen psychischer Gewalt aus Sicht von Betroffenen. Bedrückend daran: Nicht die Leidensgeschichten sind ungewöhnlich, sondern der Umgang damit. Nach den Recherchen der Autorin Caroline Wenzel besteht dringender Handlungsbedarf bei Forschung, Politik und Schulung von Fachkräften. Betroffene würden erst ernst genommen, wenn sie körperliche Verletzungen aufwiesen, und häufig ris­kant falsch beraten.

Exemplarisch dafür stehen drei Beziehungsprotokolle: Eva, die 15 Jahre lang psychische Gewalt in ihrer Ehe erlebte und schließlich psychisch und physisch krank wurde; Anis, der 16 Jahre von seiner Frau gedemütigt wurde, am Ende ging sie mit einem Messer auf ihn los; und Maria, die über zehn Jahre mit einem Mann verheiratet war, der sie erniedrigte, beleidigte und schließlich auf sie einprügelte.

Einordnung und Hilfsmöglichkeiten diskutiert die Autorin in ihrem Buch mit einer Psychoanalytikerin und einem Psychiater, einer Rechtsanwältin sowie zwei Sozialpädagogen einer Männerberatungsstelle. So werden Muster herausgearbeitet, die für psychische Gewalt typisch sind: Allen Varianten gemeinsam ist der rosarote Beginn, als habe man endlich den Menschen fürs Leben gefunden. Diese Zeit aber endet schnell, wobei die Betroffenen immer wieder die trügerische Hoffnung hegen, es werde wieder wie zuvor.

Wenn die Trennung zur Gefahr wird

Darauf folgt eine Achterbahnfahrt zwischen Zuwendung und Aggression in Form von Demütigungen, Beleidigungen und Bevormundung. Aus Angst, der Partner oder die Partnerin werde ihnen oder den Kindern etwas antun, bleiben die Opfer wie gelähmt in dieser Wiederholungsschleife hängen.

Zudem praktizieren die Aggressoren und Aggressorinnen eine Schuldumkehr: Eskaliert ein Streit, heißt es, die oder der andere habe das provoziert, man habe sich nur gewehrt. Oftmals erlischt das Verständnis der Menschen im Umfeld, die den Betroffenen kopfschüttelnd zurufen: „Dann geh doch einfach!“ Ohne schützende Begleitung allerdings ist das ein riskanter Rat. Die im Interview dazu befragte Julia Schellong, Oberärztin für Psychotraumatologie der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik am Universitätsklinikum Dresden, warnt: „Die meisten Gewalttaten oder Morde geschehen im Rahmen der Trennung, auch Morde an Kindern.“

Häufig sei es Glücksache, ob Betroffene an geschulte Fachkräfte bei Polizei, Gericht oder in der Psychotherapie geraten. In dieser Lücke tummeln sich nach Wenzels Recherche Coaches oder selbsternannte „Therapeutinnen und Therapeuten“ ohne Fachausbildung – und verlangen hohe Preise für ihre „Beratung“, obwohl es ein Recht der Opfer auf kostenlose Beratung gibt. Julia Schellong nennt das „Missbrauch mit dem Missbrauch“.

Nach den sogenannten Hellzahlen aus der jährlich erhobenen Statistik von zur Anzeige gebrachten Fällen ist psychische Gewalt Alltag – und läuft dennoch unter dem Radar. Das Buch Vom Traum zum Trauma rüttelt auf und gibt wichtige Impulse fürs Handeln.

Caroline Wenzel: Vom Traum zum Trauma. Psychische Gewalt in Partnerschaften. Hirzel, Stuttgart 2022, 250 S., € 24,–

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2023: Du manipulierst mich nicht
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