Lange herrschte bei uns ein gutes Arbeitsklima. Mein direkter Vorgesetzter und auch dessen Chef, der Bereichsleiter, waren äußerst angenehme Menschen. Man respektierte sich gegenseitig, es wurde auch mal auf dem Flur gescherzt – ich ging sehr gerne zur Arbeit.
Das änderte sich, als ein neuer Bereichsleiter den Posten übernahm: Mike, der in Wirklichkeit anders heißt, war zuvor ein hohes Tier bei der Konkurrenz gewesen und kam mit der Mission zu uns, die etwas schwächelnden Verkaufszahlen wieder anzukurbeln.…
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der Mission zu uns, die etwas schwächelnden Verkaufszahlen wieder anzukurbeln. Er hatte offenbar die Hire-and-Fire-Mentalität verinnerlicht: Innerhalb der ersten sechs Wochen in seinem neuen Job hatte er schon zwei Drittel der Abteilungsleiterinnen und -leiter gefeuert.
Mein direkter Vorgesetzter blieb zunächst noch davon verschont. Allerdings attestierte Mike ihm zu wenig „Arschlochpotenzial“ – als sei das etwas Positives. Für alle Kolleginnen und Kollegen, die nicht sofort aussortiert wurden, wehte ab da ein anderer Wind.
Unter Mikes Leitung wurde eine neue Produktstrategie entwickelt, die innerhalb kürzester Zeit umgesetzt werden sollte. Das zog für alle eine hohe Arbeitsbelastung nach sich.
Dabei hatte Mike sehr hohe Ansprüche an die Leistung der einzelnen Mitarbeitenden und baute enormen Druck auf. Er setzte Deadlines, die praktisch unmöglich einzuhalten waren, zitierte Untergebene am Wochenende in die Firma, plante mit wöchentlichen Arbeitszeiten von mehr als 50 Stunden und verlangte tägliche Berichte, wie weit wir mit unserem Pensum vorangekommen waren.
Der Vorgesetzte hörte heimlich mit
Dabei ging er zwar knallhart, aber klug vor: Zu Dingen, die arbeitsrechtlich fragwürdig waren, gab es nie etwas schriftlich. Er baute sich nach und nach ein Netzwerk von Leuten auf, die den gewünschten Druck für ihn nach unten weitergaben, so dass er teils nicht einmal mehr selbst in Erscheinung treten musste, um die Daumenschrauben anzuziehen.
Als einer meiner Kollegen eigenmächtig entschied, an einem Detail des Produkts zu feilen, nahm Mike sich dessen Vorgesetzten vor: „Wie wenig kann man seine Leute im Griff haben?“ Dass der Kollege die Extraarbeit in seiner Freizeit verrichtet hatte und seinen sonstigen Aufgaben gewissenhaft nachkam, interessierte ihn nicht.
Als perfide Überwachungsmaßnahme wählte er sich manchmal heimlich in Telefonkonferenzen ein, hörte still mit, nur um dann alle mit einem Kommentar zu erschrecken.
Einige hielten das Betriebsklima nicht mehr aus und wechselten intern oder kündigten ganz – für Mike nur ein Zeichen dafür, dass sie zu schwach waren, dem Druck standzuhalten: „Die Schwachen gehen zuerst“, war einer seiner Leitsprüche.
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In Besprechungen wehte ein anderer Wind
Wer Mike nur oberflächlich kennt, wäre über all das vielleicht verwundert. Er konnte nämlich hervorragend mit Worten überzeugen und – wenn er wollte – extrem charmant sein. Auf öffentlichen Events gab er sich stets sympathisch, während er in internen Meetings häufig herumschrie und mit der Faust auf den Tisch schlug.
Für mich war es Zeit zu gehen, als ich als Teamleiter eine Liste von „Underperformern“ in meinem Team erstellen sollte. Ich weigerte mich, eine potenzielle Abschussliste zu schreiben, und konnte zum Glück in einen anderen Bereich der Firma wechseln. Ob das strenge Regiment am Ende den Umsatz gesteigert hat, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass man mit diesem Führungsstil viele gute Leute verprellt hat. Ein Jahr nach meinem Wechsel ging es auch für Mike in eine andere Abteilung – um dort als Nächstes „aufzuräumen“.
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Zum Weiterlesen
Tamás Bereczkei: Machiavellianism. The Psychology of Manipulation. Routledge, London 2018
Rainer Sachse: Manipulation und Selbsttäuschung. Wie gestalte ich mir die Welt so, dass sie mir gefällt. Manipulationen nutzen und abwenden. Springer, Berlin 2014