Du manipulierst mich nicht

Machiavellisten sind skrupellose und manipulative Menschen. Bei ihnen muss man stets auf der Hut sein. Tamás Bereczkei erforscht, wie sie ticken.

Die Illustration zeigt eine Frau, die als Haare eine gefährliche Schlange als Hochsteckfrisur trägt
Machiavellisten sind rücksichts- und skrupellos. Sie analysieren ihr Gegenüber genau, um es taktisch zu manipulieren. © Stephan Schmitz für Psychologie Heute

Cesare Borgia wusste genau, was er wollte – und wie er es bekommen würde: Ende des 15. Jahrhunderts verzichtete der erstgeborene Sohn Papst Alexanders VI. für eine Karriere als weltlicher Fürst auf eine kirchliche Laufbahn. Mithilfe von Mord, Verrat und Korruption gelang ihm der Aufstieg: Potenzielle Verbündete umgarnte er mit süßen Worten, politische Gegner ließ er im Tiber ertränken oder erdolchte sie gleich selbst. Als ruchloser Feldherr unterwarf Borgia schließlich halb Italien seinem Fürstentum.

Der…

Sie wollen den ganzen Artikel downloaden? Mit der PH+-Flatrate haben Sie unbegrenzten Zugriff auf über 2.000 Artikel. Jetzt bestellen

Niccolò Machiavelli feierte seinen Zeitgenossen Borgia dafür in seinem politischen Traktat Der Fürst. Darin beschrieb er ausführlich Taktiken, die ein Herrscher anwenden sollte, um Macht zu erlangen und zu verteidigen. Führungspersönlichkeiten, die – wie von Machiavelli gefordert – eine rücksichtlose Machtpolitik verfolgen, despotisch und autoritär agieren und dabei moralische Bedenken über Bord werfen, werden seither als „Machiavellisten“ bezeichnet.

Psychologinnen und Psychologen haben diesen Begriff übernommen, um entsprechende Charaktere zu beschreiben. Diese begegnen uns nämlich nicht nur in Form rücksichtsloser Despoten, sondern auch als Betrügerinnen, Lügner und Schwindler von nebenan. Jene Raubtiere des Alltags sind Meister darin, anderen etwas vorzugaukeln. Sie leben frei nach dem Motto „Der Zweck heiligt die Mittel“ und setzen mit Arglist und Kalkül ihre Interessen durch.

In jedem schlummert ein Raubtier

Der Psychologe Richard Christie von der Columbia University in New York und seine Kollegin Florence Geis, damals ebenfalls an der Columbia University tätig, erfassten Machia­vellismus in den 1960er Jahren erstmals als Persönlichkeitsmerkmal. Die beiden entwickelten einen Fragebogen, mit dem sie messen konnten, wie machiavellistisch jemand ist. Anhand der Zustimmung zu Aussagen wie „Es ist schwer, seine Ziele zu erreichen, ohne Abkürzungen zu nehmen“, „Am besten erzählt man anderen, was sie hören wollen“ oder „Der größte Unterschied zwischen Verbrechern und anderen Leuten ist, dass Verbrecher dumm genug sind, sich erwischen zu lassen“ bestimmten sie die individuelle Ausprägung des Charaktermerkmals.

Es zeigte sich: In beinahe allen Menschen schlummert ein Raubtier. Nur wenige denken und agieren nie machiavellistisch, die meisten rangieren im Mittelfeld, was den Hang zur kühlen Berechnung angeht. Einige jedoch punkten in solchen Tests so hoch, dass man sie als Machiavellistinnen und Machiavellisten bezeichnen kann. Nach aktuellen Schätzungen gilt das für etwa 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung, Männer etwas häufiger als Frauen.

Der Geschlechterunterschied rührt womöglich daher, dass Männer in der Regel stärker zu Konkurrenzverhalten neigen. Frauen sind allerdings häufig rhetorisch talentierter – ebenfalls eine wichtige Voraussetzung für geschickte Heuchelei.

Diebstahl ohne Skrupel

Das Persönlichkeitsmerkmal Machiavellismus besteht dabei aus drei Hauptzutaten: Die erste ist die Bereitschaft zur Manipulation. Machiavellisten ziehen die Fäden, indem sie anderen Lügen auftischen, ihren Charme spielen lassen oder Zwang anwenden.

Das zweite typische Merkmal ist ein ausgeprägtes Misstrauen: Machiavellistische Menschen schließen von sich auf andere und sind daher ständig auf der Hut. Sie schreiben ihren Mitmenschen negative Eigenschaften zu und trauen ihnen nicht über den Weg. Dank dieser Weltanschauung holen sie fix zum Präventivschlag aus: Sie täuschen andere, bevor sie am Ende noch selbst übertölpelt werden.

Die dritte Zutat sind fehlende moralische Bedenken: Menschen mit sehr hohen Machiavellismus-Ausprägungen sind skrupellos, egoistisch, böswillig, nutzen andere aus und sind bereit, ethische Normen zu brechen.

Das konnte schon 1976 in einem Experiment an der University of Alberta nachgewiesen werden. 84 männliche Soziologiestudenten sollten dafür eine einfache Maschine bedienen. Sie hatten dabei zwei Möglichkeiten, an eine finanzielle Belohnung zu kommen. Sie konnten sie sich selbst verdienen oder einer anderen Person per Knopfdruck etwas von deren Geld wegnehmen. Dabei war klar: Diese war in der Lage zu kontrollieren, ob sie bestohlen wurde oder nicht. Die Hälfte der Probanden bekam ein misstrauisches Gegenüber zugewiesen, das regelmäßig kontrollierte, die andere Hälfte hatte vertrauensselige Partner.

Der Hintergedanke der Forschenden: Normalerweise fällt es uns schwer, jemanden übers Ohr zu hauen, der sich blind auf uns verlässt. Doch nicht so Probanden, die sich zuvor in einem Fragebogen als hochmachiavellistisch herausgestellt hatten: Während die restlichen Versuchspersonen wie erwartet bei gutgläubigen Partnern eher vor Diebstahl zurückschreckten, war es ihnen egal, wie treuherzig das Gegenüber war. Sie griffen in beiden Fällen zu.

Immer ein Pokerface aufgesetzt

Doch wie bringen Machiavellistinnen und Machiavellisten es fertig, so gewissenlos zu handeln? Eine wichtige Voraussetzung dafür ist ihre meist geringe emotionale Intelligenz. Studien zeigen, dass sie einen eher schlechten Zugang zu Emotionen haben – zu denen der anderen und auch zu den eigenen. Sie können sich schlechter in ihr Gegenüber hineinversetzen und emotional mitschwingen, wenn andere ängstlich, traurig oder froh sind.

Auf den ersten Blick müssten diese Defizite von Nachteil sein, weil sie sie daran hindern, enge Beziehungen aufzubauen. Allerdings profitieren Machiavellistinnen und Machiavellisten von diesen scheinbaren Schwächen in zweierlei Hinsicht: Wer wenig Mitgefühl mit potenziellen Opfern empfindet, kann diese erfolgreich ausbeuten. Wo andere Gewissensbisse plagen, behält die Machiavellistin ihre Ziele fest im Blick.

Hinzu kommt: Weil Machiavellisten wenig Emotion zeigen, ist es für andere schwierig, ihre wahren Absichten zu erkennen. Ihre Gefühlskälte verleiht ihnen ein Pokerface. Wenn bei ihnen doch einmal Emotionen aufkommen, können sie diese besonders gut in Schach halten – dank ihrer ausgeprägten Impulskontrolle.

Menschen mit ausgeprägtem Machiavellismus denken zudem klar und rational. Das belegte ein Team um Florence Geis, der Mitentwicklerin des ersten Machiavellismustests, in den 1960er Jahren. Versuchspersonen sollten sich vorstellen, sie seien frisch gewählte Abgeordnete im US-Kongress. In ihrer Rolle sollten sie nun für oder gegen einen bestimmten Standpunkt argumentieren. Einige der vorgegebenen Themen waren emotional aufgeladen, etwa die Ausweitung der Bürgerrechte oder die Wehrpflicht. Andere Themen kamen eher trocken daher, zum Beispiel Verwaltungsprozedere.

Jeder Versuchsperson wurde eine bestimmte Zeitspanne eingeräumt, um ihre Meinung zu einem der Themen vor den anderen mit Argumenten zu untermauern. Die sollten anschließend auf einer Skala bewerten, wie sehr sie das jeweilige Plädoyer überzeugt hatte. Bei den wenig emotionalen Themen erzielten Rednerinnen und Redner mit einem hohen und einem niedrigen Grad an Machiavellismus in etwa die gleiche Punktzahl.

Anders sah es bei den emotional aufgeladenen Sujets aus: Machiavellistinnen und Machiavellisten brachten hier offenbar die besseren Argumente vor. In den Augen der anderen Versuchspersonen argumentierten sie logischer und stringenter, während andere Teilnehmende sich zuweilen von ihren Gefühlen ablenken ließen.

Wenig Interesse an Romantik

Machiavellisten sind besonders gut darin, Sentimentalitäten zu unterdrücken. Das gilt auch für ihr Liebesleben. Sie haben wenig Interesse an Romantik, wechseln ihre Partnerinnen oder Partner häufig, bevorzugen kurze Affären und neigen eher dazu, sexuellen Missbrauch zu begehen, als weniger machiavellistische Menschen. Partnerinnen und Partner von Machiavellistinnen und Machiavellisten vermissen häufig Einsatz, Loyalität und die emotionale Tiefe in der Beziehung.

Hinweise auf eine ausgeprägte Gefühlskontrolle finden sich sogar im Gehirn. Gemeinsam mit einem Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern untersuchte ich Versuchspersonen mittels funktioneller Magnetresonanztomografie. Die Ergebnisse erschienen 2015 in dem Journal Brain and Cognition. Während die Probandinnen und Probanden in der Röhre lagen, sollten sie ein Taktikspiel spielen, bei dem man sich gegenseitig Geldbeträge zuweist. Verhielt sich das Gegenüber großzügig, schlugen machiavellistische Teilnehmende daraus Profit. Sie hatten dann am Ende mehr Geld verdient als wenig machiavellistische Versuchspersonen.

Indem sie die Großzügigkeit des Gegenübers nicht erwiderten, verletzten sie einen wichtigen sozialen Grundsatz, genannt Reziprozitätsnorm: Eine Hand wäscht die andere. Das erfordert offenbar einiges an kognitiver Kontrolle. Während sie die Mitspielenden auflaufen ließen, war ihr Gehirn besonders rege. Vor allem zeigte sich eine erhöhte Aktivität im dorsolateralen präfrontalen Kortex, einer Region, die eine wichtige Rolle bei der Regulierung von Emotionen spielt.

Meisterin der Anpassung

Eine weitere bemerkenswerte Eigenschaft von Machiavellistinnen und Machiavellisten ist ihre Flexibilität. Sie sind in der Lage, sich effizient an veränderte Umstände anzupassen und auf unterschiedliche Herausforderungen passend zu reagieren. Während Psychopathen, die neben Narzissten und Machiavellisten zu den „dunklen Charakteren“ zählen (lesen Sie dazu auch „Die dunkle Triade: Narzissten, Machiavellisten, Psychopathen), eher kurzfristig denken, impulsiv handeln und für die schnelle Befriedigung ihrer Bedürfnisse einiges riskieren, gehen machiavellistische Menschen besonnen und planvoll vor. Dabei bleiben sie flexibel und ändern wenn nötig die Strategie.

So verhalten sie sich in Laborexperimenten selbstsüchtig, solange sie damit durchkommen, wechseln aber sofort zu einer kooperativeren Taktik, sobald Egoismus von der Versuchsleitung bestraft wird. Aber nicht nur die Androhung von Strafe, sondern auch der Wunsch, Ansehen zu gewinnen, kann so einen Strategiewechsel einläuten.

In einer meiner Studien, die 2010 in Social Psychology erschien, bat ein Vertreter einer Wohltätigkeitsorganisation Studierende, Menschen in Not zu unterstützen. Unter jenen mit starken machiavellistischen Zügen war kaum einer bereit, Wohltätigkeitsarbeit zu leisten. Wurden diese aber im Beisein ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen gefragt, meldeten sich gleich dreimal so viele. Machiavellisten und Machiavellistinnen geben sich demnach im richtigen Moment altruistisch, also wenn sie sich damit beliebt machen und so ihren Einfluss in der Gruppe ausweiten können.

Viele Machiavellisten werden nie erwischt

Diese Art von Opportunismus begegnet uns schon in der griechischen Mythologie: Der Meeresgott Proteus hatte die Gabe, in die Zukunft zu blicken, teilte jedoch ungern sein Wissen mit anderen. Um sich den Bitten um seine Weissagungen zu entziehen, änderte er immer wieder seine Gestalt: wurde zum Löwen, zur Schlange, zum Stier, zum Baum oder zum Vogel, nahm die Form des Wassers oder des Feuers an.

Ähnlich wie bei Proteus liegt die Stärke des Machiavellisten in seiner Vielseitigkeit. Er beschränkt sich nicht auf eine einzige manipulative Strategie, sondern wechselt je nach Bedarf die Taktik. In der einen Situation sind Charme und Verführung probate Mittel der Manipulation, in der anderen erweisen sich Druck oder Erniedrigung als wirksamer. Wenn eine Taktik versagt, funktioniert die nächste, sagt sich die Machiavellistin.

Dank ihrer Wandlungsfähigkeit fliegen Machiavellisten und Machiavellistinnen meist erst spät auf. Wird es mal eng, setzen sie schnell eine andere Maske auf. Selbst Bekannte, Kolleginnen und Familienmitglieder erkennen die Arglist solcher Manipulatoren oft erst spät, denn diese spinnen ihre Intrigen unauffällig und wirkungsvoll. Zwar landen Menschen mit starken machiavellistischen Zügen auch hin und wieder im Gefängnis – etwa wegen Betrugs –, vermutlich werden aber sehr viele von denen, die sich auf kriminelle Machenschaften einlassen, nie erwischt.

Auf direktem Weg in die Chefetage

Zumindest ein Teil der Machiavellisten kommt offenbar sehr gut durchs Leben. Einigen verhilft ihre Skrupellosigkeit sogar auf den Chefsessel. In einzelnen Studien korrelierte die Position, die eine Person in einem Unternehmen erlangt hatte, in hohem Maße mit dem Grad des Machiavellismus. Menschen in der obersten Führungsriege erreichten die höchsten Werte in Machiavellismustests, das mittlere Management kam auf weniger hohe Werte, den geringsten Grad zeigten einfache Angestellte.

Wer neben einer guten Portion Machia­vellismus hohe Intelligenz mitbringt, hat gute Chancen auf eine Führungsposition oder zumindest ein überdurchschnittliches Gehalt. Ihr hohes Verhandlungsgeschick und ihr ausgezeichnetes strategisches Denken tragen zum Aufstieg intelligenter Machiavellistinnen und Machiavellisten bei. Doch auch Skrupellosigkeit kann in manchen Institutionen ein Erfolgsfaktor sein. Machiavellistische Menschen lügen im Vorstellungsgespräch, ohne mit der Wimper zu zucken, setzen ihr Charisma ein, um Vorgesetzte für sich zu gewinnen, und punkten mit ihrer Durchsetzungskraft.

Mitarbeitende sehen häufig ein ganz anderes Gesicht. Gegenüber Untergebenen ist der Ton oft äußerst schroff und fordernd. Genauso wie Machiavellisten persönliche Widersacher ausbooten, tun sie das auch mit geschäftlichen Konkurrenten. Sobald die Interessen des Unternehmens zu denen der Machiavellistin werden, wird sie diese genauso konsequent und ruchlos verfolgen. Für Firmen lohnt es sich daher mitunter, machiavellistische Menschen zu beschäftigen. Das gilt insbesondere für weniger streng organisierte Unternehmen, in denen Angestellte improvisieren können, weil sie nicht allzu stark kontrolliert werden. Hier entfalten machiavellistische Menschen zuweilen ihre fragwürdigen Stärken.

Unsoziales Verhalten als Stolperstein

Doch das gilt womöglich nur für besonders gewiefte Exemplare. Denn anders als die eben erwähnten Arbeiten, die Machiavellismus als aufstiegsdienlich auswiesen, kam eine Metaanalyse, die eine Vielzahl internationaler Studien zum Thema auswertete, zu einem ganz anderen Resultat. Sie zeigte im Gegenteil: Im Schnitt verdienen Machiavellistinnen und Machiavellisten sogar weniger als andere.

Ihr unsoziales Verhalten steht ihnen nicht selten im Weg. So fehlen sie oft unerlaubt am Arbeitsplatz, und es werden gehäuft Beschwerden gegen sie eingereicht. Diese Ergebnisse sind im Lichte bisheriger Studien nicht überraschend. Auch wenn sie sehr geschickt vorgehen: Die meisten können ihr wahres Ich nicht ewig verleugnen, und auch die Chefetage – die ja nicht durchgängig von ihrerseits machiavellistischen Persönlichkeiten dominiert ist – bekommt irgendwann Wind davon, dass sie durch ihre Geheimniskrämerei, Lügen und Intrigen Spannungen im Unternehmen erzeugen.

Manipulation evolutionär von Vorteil?

So unangenehm rücksichtslose und manipulative Zeitgenos­sen im direkten Kontakt sein können und trotz des Schadens, den sie mitunter in ihrem Umfeld anrichten – evolutionär betrachtet haben ausgerechnet machiavellistische Charakterzüge die Entwicklung des Menschen womöglich vorangebracht. In den 1980er Jahren entwickelten die schottischen Primatenforscher Richard Byrne und Andrew Whiten dazu die spannende Hypothese der machiavellistischen Intelligenz. Laut ihr verdanken wir unser einzigartig leistungsfähiges Gehirn letztlich dem sozialen Wettbewerb und damit den ersten Machiavellistinnen und Machiavellisten.

Die Fähigkeit zur geschickten Manipulation stellt demnach einen bedeutenden Sprung in der Evolution dar. Wer andere erfolgreich lenken konnte, hatte einen Überlebensvorteil. Das Aufkommen von Täuschung und Ausbeutung zwang unsere Vorfahren wohl, immer komplexere soziale Fertigkeiten zu entwickeln, um im Miteinander den Überblick zu behalten, geschickte Winkelzüge zu durchschauen und wenn nötig subtil zurückzuschlagen. Auch frühe Machiavellisten und Machiavellistinnen benötigten selbst ein hohes Maß an Intelligenz für ihre politischen Manöver, und so förderten sich machiavellistische Tendenzen und Denkfähigkeit womöglich gegenseitig.

Ob sich besondere geistige Gaben auch noch unter den heutigen Machiavellistinnen und Machiavellisten finden, ist jedoch nicht ganz klar. Die Forschung des letzten Jahrzehnts lieferte dazu unterschiedliche Ergebnisse. Hochmachiavellistische Menschen sind im Schnitt weder klüger noch weniger klug als andere. Wie bereits erwähnt, sind sie eher schlecht darin, sich mental und emotional in ihr Gegenüber hineinzuversetzen.

Diese Befunde widersprechen der Hypothese der machiavellistischen Intelligenz auf den ersten Blick. Sie waren für Forschende, die an die Hypothese glaubten, zunächst enttäuschend, regten aber auch zu weiteren Untersuchungen an. Inzwischen können wir die speziellen kognitiven und sozialen Fähigkeiten besser umreißen, die sich bei Machiavellistinnen und Machiavellisten im Lauf der Evolution entwickelt haben.

Feines Gespür für soziale Signale

So reagieren sie sehr sensibel auf soziale Signale, beobachten ihr Gegenüber besonders aufmerksam und passen ihr Verhalten entsprechend an. Gemeinsam mit Andrea Czibor veröffentlichte ich 2014 eine Studie, die darauf hindeutet. Darin spielten Probandinnen und Probanden wieder ein Spiel mit der Aussicht auf eine finanzielle Belohnung. Jede Versuchsperson erhielt ein Startkapital, von dem sie in die Gemeinschaftskasse einzahlen konnte, so viel sie wollte.

Die Summe in der Gemeinschaftskasse wurde in jeder Runde von der Versuchsleitung verdoppelt und am Ende auf alle aufgeteilt – unabhängig davon, wie viel Einzelne beigetragen hatten. Die Altruisten unter den Teilnehmenden investierten 80 Prozent ihres Startkapitals in die Allgemeinheit, die Einzelkämpfer höchstens 20 Prozent und behielten den Rest für sich.

Wie zu erwarten heimsten machiavellistische Probandinnen und Probanden die größten Gewinne ein. Anders als der Rest beobachteten sie genau, wie sich die anderen verhielten, und machten ihre eigene Strategie davon abhängig: Waren viele Altruistinnen und Altruisten unter den Mitspielenden, zahlten auch die Machiavellisten bereitwilliger in die Kasse ein – denn so erzielten sie am Ende höhere Summen.

Außergewöhnlich belohnungsorientiert

Zudem konzentrieren sie sich beharrlich auf ihr Ziel, streben danach, das Beste aus der Situation zu machen, und lassen sich nicht durch Unwichtiges ablenken. In der Fachsprache nennen wir das eine hohe „Aufgabenorientierung“. Außerdem sind Machiavellistinnen und Machiavellisten auf besondere Weise belohnungsorientiert. Sie suchen nicht nur permanent nach Möglichkeiten, an Geld oder Macht zu gelangen, sondern können dabei besonnen vorgehen. In einigen Fällen streben sie nach einer sofortigen und prompten Belohnung, wenn nötig halten sie sich aber zurück und setzen auf indirekte, langfristige Taktiken, um Vorteile zu erlangen.

Zum Beispiel dann, wenn das Verhalten der anderen unvorhersehbar und damit der Ausgang der Auseinandersetzung ungewiss und riskant ist – oder wenn sie sich, wie in der Studie von Andrea Czibor und mir, größere Gewinne davon versprechen.

Wo Ausbeutung nicht effektiv ist, sehen Machiavellistinnen und Machiavellisten davon ab. Das ist zum Beispiel in solchen Experimenten der Fall, in denen alle Mitspielenden um eine begrenzte Menge an Gewinn konkurrieren. Dann lehnen sich machiavellistische Menschen oft zurück, nach dem Motto: „Was soll ich vergeblich kämpfen, wenn alle im Krieg miteinander sind?“ Geben sich die Mitspielenden hingegen kooperativ, wittert der Machiavellist seine Chance: „Wenn alle außer mir nett sind, gehört der Gewinn mir!“ Teamplayer sind also optimale Opfer für Machiavellisten. Tatsächlich wählen sie diese überaus geschickt aus.

Machiavellistinnen und Machiavellisten analysieren eine Person genau („Er scheint introvertiert und emotional instabil zu sein“) und wählen dann Taktiken, die in der Vergangenheit im Umgang mit ähnlichen Charakteren funktioniert haben („Es ist unwahrscheinlich, dass er es bemerkt, wenn ich lüge“). So werden vor allem jene durch Machiavellistinnen und Machiavellisten ausgenutzt, die das Wohl der Gemeinschaft im Blick haben.

Inzwischen dürfte klar sein, dass Machiavellistinnen und Machiavellisten anderen wirklich gefährlich werden können. Ihr flexibles strategisches Denken und ihr Talent zum Taktikwechsel machen es sehr schwierig, sie zu enttarnen. Neuere Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt sorgen jedoch dafür, dass Machiavellistinnen und Machiavellisten zumindest im Job kein leichtes Spiel mehr haben. So setzen insbesondere westeuropäische und US-amerikanische Unternehmen inzwischen stärker auf Teamarbeit. Strenge Organisationsstrukturen mit steilem Machtgefälle weichen vielerorts flacheren Hierarchien.

Führungskräfte entscheiden oft nicht mehr im Alleingang und haben so weniger Gelegenheit, Mitarbeitende zu kontrollieren und auszubeuten. Zudem fliegen Intrigen und Winkelzüge schneller auf, sobald Arbeitnehmende direkteren Zugang zu Informationen erhalten. 

Machiavellismus vorbeugen

Doch wie geht es Machiavellisten bei alldem? Leiden sie in Wahrheit unter ihrer Veranlagung? Überkommt sie in stillen Momenten gar die Einsamkeit? Anders als Narzisstinnen und Narzissten, deren schwankender Selbstwert sie in tiefe Krisen stürzen kann, haben machiavellistische Menschen wahrscheinlich nicht häufiger psychische Probleme als andere. Wenn überhaupt, haben sie ein dickeres Fell. Trotz­dem ist es sinnvoll, Machiavellismus vorzubeugen, schließlich leidet das Umfeld sehr wohl.

Der beste Weg, Machiavellismus langfristig in Schach zu halten, ist eine gelungene Sozialisierung. Die Gene, die wir von unseren Eltern mitbekommen, entscheiden zwar mit darüber, wie machiavellistisch oder gutmütig wir werden, eine größere Rolle spielt aber nach allem, was wir wissen, das Umfeld, in dem wir aufwachsen.

Zum einen fördert eine gesellschaftliche Kultur, in der Rücksichtslosigkeit und Gewalt verbreitet sind, machiavellistisches Denken und Handeln. Zum anderen prägt uns das eigene Elternhaus: Erwachsene mit starken machiavellistischen Zügen berichten häufiger als andere von einer Kindheit mit wenig klaren Regeln und kaum stabilen Bindungen. In ihren Familien kamen Kommunikation und Wärme teils zu kurz.

Ein behütetes Zuhause und gute Vorbilder hingegen fördern Rechtschaffenheit und Umsicht – und lassen weniger Menschen zu rücksichtslosen Tyrannen heranwachsen.

Übersetzung aus dem Englischen: Corinna Hartmann

Tamás Bereczkei ist Professor für Psychologie an der Universität Pécs in Ungarn. Dort erforscht er unter anderem Machiavellismus, soziale Kooperation und deren evolutionäre Wurzeln.

Noch mehr zum Thema erfahren Sie in unserem Psychologie Heute Compact-Heft 56: Schwierige Menschen. Von Nervensäge bis Narzisst: Wie wir sie erkennen und wie der Alltag mit ihnen gelingt.

Quellen

Tamás Bereczkei u.a.: The presence of others, prosocial traits, machiavellianism. A personality X situation approach. Social Psychology, 41, 2010, 238–245. DOI: 10.1027/1864-9335/a000032

Tamás Bereczkei: The manipulative skill: Cognitive devices and their neural correlates underlying machiavellian’s decision making. Brain and Cognition, 99, 2015, 24–31. DOI: 10.1016/j.bandc.2015.06.007 

Tamás Bereczkei: Machiavellian intelligence hypothesis revisited: What evolved cognitive and social skills may underlie human manipulation. Evolutionary Behavioral Sciences, 12, 2017, 32–44. DOI: 10.1037/ebs0000096

Tamás Bereczkei : Machiavellianism. The psychology of manipulation. Routledge, London/New York 2018. DOI: 10.4324/9781315106922

Richard Christie u.a.: Studies in machiavellianism. Academic Press, New York 1970

Delroy Paulhus u.a.: The dark triad of personality: Narcissism, machiavellianism, and psychopathy. Journal of research in personality, 36/6, 2002, 556–563. DOI: 10.1016/S0092-6566(02)00505-6

Myron Gable u.a.: Managerial structuring of work as a moderator of the machiavellianism and job performance relationship. Journal of Psychology, 126, 1992, 317–325. DOI: 10.1080/00223980.1992.10543366

Peter K. Jonason u.a.: A protean approach to social influence: Dark triad personalities and social influence tactics. Personality and Individual Differences, 52, 2012, 521–26, DOI: 10.1016/j.paid.2011.11.023

Daniel N. Jones u.a.: The core of darkness: Uncovering the heart of the dark triad. European Journal of Personality, 27, 2013, 521–531, DOI: 10.1002/per.1893

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2023: Du manipulierst mich nicht