Empathie

Empathie gilt als erstrebenswert – aber zu viel davon kann schaden. Doch was genau bedeutet Empathie, wie kann man sie messen und verbessern?

Foto zeigt zwei Männer, die sich umarmen.
Empathie umfasst zwei verschiedene Komponenten: emotionale Empathie und kognitive Empathie © Maskot/Getty Images

Was ist Empathie?

Eigentlich bedeutet das spätgriechische Wort empátheia so viel wie „Leidenschaft“. Seinen heutigen Sinn verdankt der Begriff Empathie maßgeblich zwei Psychologen: dem deutschen Theodor Lipps und seinem britischen Kollegen Edward Bradford Titchener. Lipps hatte Anfang des 20. Jahrhunderts den psychologischen Prozess der Einfühlung untersucht. Er verstand darunter „ein inneres Mitmachen, eine imaginierte Nachahmung des Erlebens des Anderen“. Titchener übersetzte Einfühlung später mit „empathy“. Empathiefähigkeit ist demnach so etwas wie Einfühlungsvermögen.

Wissenschaftliche Definition

Eine exakte wissenschaftliche Definition von Empathie, auf die sich alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verständigen können, steht bis heute aus. Zu diesem Schluss kommt zumindest der britische Psychologe Benjamin Cuff, der vor einigen Jahren zusammen mit Kolleginnen eine Reihe von Schlüsselpublikationen auf diesem Gebiet ausgewertet hat. Dabei identifizierte er 43 Begriffserklärungen, die sich zumindest in Teilen unterschieden. Oft versteht man unter dem Begriff im Wesentlichen die Gabe, die Emotionen der Mitmenschen nachzufühlen und sich vorstellen zu können, was sie denken oder empfinden. Zur Empathie zählt aber auch, angemessen darauf zu reagieren – sein Gegenüber in den Arm zu nehmen, ihm seine Hilfe anzubieten oder sich nach einer positiven Erfahrung mit ihm zu freuen. In der psychologischen Forschung spricht man mitunter auch von der „motivierenden Komponente“ des Einfühlungsvermögens: Empathische Menschen möchten dazu beitragen, dass es dem Anderen besser geht.

Empathie ist nicht gleich Mitgefühl

Empathie ist zwar verwandt mit Mitleid und Mitgefühl, aber keineswegs dasselbe. Bei Empathie empfinden wir (zumindest ein Stück weit) wie eine andere Person; ist sie traurig, trauern wir mit; ist sie ärgerlich, werden wir ebenfalls sauer. Wenn wir Mitleid empfinden, tut uns der andere dagegen leid - wir bedauern seine Umstände. Auch der Begriff Mitgefühl hat paradoxerweise wenig damit zu tun, dass wir dasselbe fühlen wie die Person, auf die es sich richtet. Wenn wir ein Kind beobachten, das sich vor einem kläffenden Dackel fürchtet, dann teilen wir seine Angst vermutlich nicht. Dennoch möchten wir die für das Kind unangenehme Situation beenden, zum Beispiel indem wir zu ihm gehen und den Dackel verscheuchen. Wie Empathie geht Mitgefühl also ebenfalls mit der Motivation einher, helfen zu wollen, allerdings ohne die für Empathie typische emotionale Einfühlung – so beschreibt es zumindest der US-Psychologe Paul Bloom.

Ekpathie: der Gegenspieler

Der spanische Psychiater Luis de Rivera hat vor einigen Jahren den Begriff der Ekpathie geprägt. Ekpathie ist gewissermaßen der Gegenspieler der Empathie: die Fähigkeit, die Gefühle, Einstellungen und Gedanken, die durch andere in uns hervorgerufen wurden, aktiv auszublenden. De Rivera versteht darunter also nicht etwa einen Mangel an Empathie, der sich in emotionaler Kälte und Gleichgültigkeit gegenüber den Befindlichkeiten der Mitmenschen äußert. Stattdessen betrachtet er Ekpathie als eine Art Akt des Selbstschutzes: Aus seiner Sicht verhindert sie, dass wir „emotional überflutet“ werden und uns von den Gefühlen anderer zu sehr mitreißen lassen. Durch diese Distanzierung lassen wir uns auch weniger leicht manipulieren, meint er.

Arten der Empathie

In einem Punkt ist sich die Forschung heute weitgehend einig: Empathie umfasst zwei grundsätzlich verschiedene Komponenten – eine emotionale und eine kognitive, also verstandesmäßige.

Emotionale Empathie: Ich fühle, was du fühlst

Emotionale (oder auch affektive) Empathie ist das Vermögen, die Emotionen einer anderen Person nachzufühlen: Wir lesen ein Interview mit einem Mann, der bei der Flutkatastrophe im Ahrtal sein Hab und Gut verloren hat, und spüren seine Verzweiflung mit. Wir sehen eine Mutter, die um ihr verstorbenes Kind weint, und fühlen selbst einen Stich in unserem Herzen. Empathie ermöglicht es uns, die Gefühle einer Person in uns so weit zu reproduzieren, dass wir sie verstehen. Dabei spielen auch unsere eigenen Erfahrungen eine Rolle – etwa wenn wir uns an eine Situation erinnert fühlen, in der wir selbst einen schmerzlichen Verlust erfahren haben.

Emotionale Empathie lässt uns also empfinden, was unser Mitmensch empfindet. Sie beschreibt unsere emotionale Antwort auf seinen Gefühlszustand. Dazu muss der andere nicht unbedingt anwesend sein; ja er braucht nicht einmal zu existieren: Die Schicksalsschläge der Protagonistin eines Kinofilms oder einer Romanfigur können uns ebenfalls zu Tränen rühren.

Emotionale Empathie ähnelt in mancher Hinsicht einem anderen Phänomen: der Gefühlsansteckung: Dabei werden Emotionen ebenfalls von Mensch zu Mensch übertragen. Allerdings geschieht das unbewusst – wir sehen, dass jemand weint, und werden traurig; uns ist aber nicht bewusst, wodurch diese Trauer ausgelöst wurde. Bei der emotionalen Empathie ist das anders: Wir wissen, wer die Quelle unserer Emotionen ist, dass wir also nicht einfach „fühlen“, sondern „mitfühlen“. Emotionale Empathie hilft uns, affektive Verbindungen zu anderen herzustellen.

Kognitive Empathie: Ich weiß, was du fühlst

Wir können uns aber auch verstandesmäßig in eine andere Person hineinversetzen, ohne ihre Gefühle zu teilen. Eine Pastorin, die einem Mitglied ihrer Gemeinde beim Verlust einer geliebten Person beistehen möchte, muss dazu nicht unbedingt mittrauern. Sie muss aber verstehen, wie es dem Hinterbliebenen geht, um in dieser Situation die angemessenen Worte zu finden. Diese Fähigkeit nennt man kognitive Empathie. Sie versetzt uns dazu in die Lage, eine Situation aus der Warte unserer Mitmenschen zu sehen und so ihre Emotionen und Gedanken rational nachzuvollziehen. Damit können wir auch besser einschätzen, wie wir uns selbst in dieser Situation verhalten sollten, um unserem Gegenüber zu helfen. Dieser gedankliche Perspektivwechsel (der bei der emotionalen Empathie fehlt) bildet damit auch eine wesentliche Basis von Takt und Fingerspitzengefühl. Für kognitive Empathie braucht es eine Gabe, die in der Psychologie als „Theory of Mind“ bezeichnet wird: das Vermögen, zu erkennen, was sich im Kopf eines anderen Lebewesens abspielt.

Emotionale und kognitive Empathie sind vermutlich zwei verschiedene, voneinander unabhängige Kompetenzen. So schneiden Menschen, die unter einer Störung aus dem Autismus-Spektrum leiden, bei Tests auf kognitive Empathie häufig vergleichsweise schlecht ab. Ihre Fähigkeit, mit anderen mitzufühlen, scheint dagegen kaum oder gar nicht beeinträchtigt. Genau umgekehrt sieht es bei Männern und Frauen mit psychopathischen Persönlichkeitszügen aus: Sie können sich rational sehr wohl in das Innenleben ihrer Mitmenschen hineinversetzen; daher sind sie häufig auch gut darin, andere Personen zu manipulieren. Da ihnen aber die Gabe abgeht, die Emotionen anderer nachzuempfinden, sind sie gleichzeitig oft ausgesprochen skrupel- und rücksichtslos.

Tatsächlich vermutet man heute, dass für emotionale und kognitive Empathie verschiedene Zentren im Gehirn zuständig sind. So ist bei manchen Menschen eine Hirnregion in der Nähe der Stirn geschädigt, der ventromediale präfrontale Kortex. Dadurch fällt es ihnen schwerer, sich kognitiv in andere Personen hineinzuversetzen. Ihre Fähigkeit zur emotionalen Empathie ist dadurch jedoch nicht beeinträchtigt. Diese wird maßgeblich durch ein Nervenzell-Areal im Bereich der Schläfen gesteuert, die untere Stirnwindung. Im Normalfall sind aber wohl immer beide Systeme aktiv, wenn wir uns in jemanden einfühlen.

Soziale Empathie: Gefühl für die Gruppe

Elisabeth Segal, Professorin an der Arizona State University, hat vor einigen Jahren den Begriff der sozialen Empathie geprägt. Dabei handelt es sich aber nicht um einen weiteren Mechanismus der Einfühlung, eine Art dritte Spielart neben der emotionalen und der kognitiven Empathie. Stattdessen geht es Segal um die Frage, worauf sich die Empathie richtet. Normalerweise versetzen wir uns in einzelne Mitmenschen. Soziale Empathie bezeichnet dagegen die Fähigkeit, die Belange und Interessen von Gruppen zu verstehen, etwa von Menschen aus anderen sozialen Schichten als der eigenen oder aus fremden Kulturen.

Emotionale und kognitive Empathie sind die Basis sozialer Empathie: Wer schon Schwierigkeiten hat, sich in die Lage einer einzelnen Person zu versetzen, dem wird das bei einer ganzen Gruppe erst recht nicht leichtfallen. Segal hält diese Fähigkeit aber für ausgesprochen wichtig: Nur wer zu einem solchen Perspektivwechsel in der Lage ist, kann die Konsequenzen des eigenen Handelns für andere berücksichtigen und sein Tun daran ausrichten. Wer sich beispielsweise in die Situation indischer Landwirte einfühlen kann, denen in der Dürre die komplette Ernte vertrocknet ist, versucht künftig vielleicht eher, unnötige Autofahrten oder Flüge zu vermeiden. Segal sieht in sozialem Empathievermögen daher eine wichtige Voraussetzung für soziale Verantwortung. Umgekehrt seien Rassismus und Vorurteile ein Ausdruck mangelnder sozialer Empathie.

Inzwischen wird der Begriff „soziale Empathie“ zunehmend von Management-Ratgebern zweckentfremdet. Dort bezeichnet er die Fähigkeit, das Beziehungsgeflecht von Gruppen – etwa am Arbeitsplatz – zu verstehen, das Verhalten der Mitglieder zu antizipieren und zu beeinflussen. Mit dem ursprünglichen Konzept von Elisabeth Segal hat das nur am Rande zu tun.

Mimikry und die Spiegelneuronen

Wenn wir jemanden lächeln sehen, dann zucken auch bei uns unbewusst die Mundwinkel nach oben. Ähnliches gilt, wenn wir ein angstverzerrtes oder trauriges Gesicht beobachten – auch in solchen Fällen gleicht sich unsere Mimik an. Dieses Phänomen wird als Mimikry bezeichnet. Es erleichtert uns, die Gefühle unserer Mitmenschen nachzuvollziehen: Unsere Gesichtsmuskulatur versetzt uns gewissermaßen ein Stück weit in den dazu passenden emotionalen Zustand. In der Empathie-Forschung spricht man manchmal auch von motorischer Empathie. Sie ist eine Grundlage der emotionalen Empathie.

Eine wichtige Rolle könnten für das Einfühlungsvermögen auch die sogenannten Spiegelneuronen spielen. Dabei handelt es sich um Nervenzellen im Gehirn, die einerseits bei bestimmten Handlungen aktiv werden – beispielsweise, wenn wir die Hand nach einem Apfel ausstrecken. Andererseits zeigen sie ein ganz ähnliches Erregungsmuster, wenn wir dieselbe Handlung lediglich beobachten. Sie verhalten sich also so, als ob wir nicht nur zusähen, sondern selbst aktiv wären. Möglicherweise befähigen sie uns also dazu, uns in die beobachtete Person hineinzuversetzen. Tatsächlich deuten Studien darauf hin, dass Menschen sich umso besser einfühlen können, je aktiver bei ihnen die Spiegelneuronen sind.

Kann Empathie erlernt werden?

Empathiefähigkeit gilt als Voraussetzung für gute soziale Beziehungen. Empathie motiviert uns, anderen zu helfen und uns moralisch zu verhalten, sie erlaubt uns, Konflikte zu vermeiden oder zu lösen, und sie ist wichtig für den Zusammenhalt von Gruppen. Kein Wunder, dass in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von Programmen entwickelt wurden, die zum Ziel haben, das Empathievermögen zu steigern. Die Hirnforscherin Tania Singer, die seit vielen Jahren die neurowissenschaftlichen Grundlagen von Einfühlung und Mitgefühl untersucht, hat kürzlich eine Reihe dieser Ansätze in einem deutschsprachigen E-Book vorgestellt: „Mitgefühl: in Alltag und Forschung“ , das Buch gibt es als kostenlosen Download

Sehr wirksam scheinen bestimmte Formen der Achtsamkeits-Meditation zu sein. Dabei lernen die Beteiligten, ihre Körperempfindungen, Gedanken und Gefühle bewusst wahrzunehmen und sich auf die Quelle dieser Gedanken und Emotionen zu konzentrieren. Flankierend dazu üben sie, die Perspektive einer anderen Person einzunehmen. Einen etwas anderen Ansatz verfolgt die „Loving Kindness“-Meditation, die ursprünglich aus dem Buddhismus stammt. Sie stärkt zunächst das Gefühl der Selbstliebe, das die Teilnehmenden dann in einem zweiten Schritt auf ihre Mitmenschen übertragen. Beide Programme steigern nachweisbar die Empathie. Einen ähnlichen Effekt scheint Studien zufolge auch Musik zu haben: Kinder, die längere Zeit Musikunterricht hatten, sind oft besser darin, sich in andere einzufühlen. Die Gründe dafür sind noch nicht vollständig bekannt. Musik hat eine starke emotionale Komponente; möglicherweise erleichtert sie es dadurch, die eigenen Gefühle wie auch die der Mitmenschen wahrzunehmen. Wer mit anderen musiziert, teilt diese emotionale Erfahrung zudem mit den Mitgliedern der Gruppe – als Musiker fühlt man also mit anderen zusammen.

Menschen mit einem schwach ausgeprägten Empathievermögen kommen öfter mit dem Gesetz in Konflikt. Gezielte Trainings, beispielsweise in der Schule, könnten daher möglicherweise einen Beitrag zur Kriminalitätsbekämpfung leisten – so hoffen zumindest Forschende. Studien zufolge könnte auch die Wirtschaft von derartigen Programmen profitieren. So können Rollenspiele dazu beitragen, dass sich Führungskräfte besser in die Lage ihrer Mitarbeitenden hineinversetzen. Diese wiederum bewerten die Arbeitsatmosphäre als umso angenehmer, je empathischer ihre Vorgesetzten sind. Umfragen bestätigen diesen Effekt. Zugleich wirken sich empathische Chefinnen und Chefs sogar positiv auf die Innovationskraft und Produktivität ihrer Unternehmen aus.

Der Philosoph David Lauer kritisiert allerdings, dass die Fähigkeit zur Einfühlung heute allzu oft als reines Mittel zum Zweck gesehen wird, worin auch immer dieser liegen mag: im Knüpfen von Freundschaften, beruflichem Erfolg oder blanken Durchsetzen der eigenen Vorstellungen. Aus seiner Sicht ist eine derart (miss-)verstandene Empathie kaum mehr als eine „zur manipulativen Verkaufsmethode verkommene Sozialtechnik“.

Empathie lernen: 5 Tipps

  1. Seien Sie aufmerksam. Und zwar zunächst einmal gegenüber den Signalen Ihres eigenen Körpers: Wer Hunger hat, gestresst ist oder sich im Hinterkopf mit irgendwelchen Problemen beschäftigt, der kann sich nicht auf seine Mitmenschen einlassen. Zudem kann sich leichter einfühlen, wer seine eigenen Emotionen zu deuten weiß.

  2. Im Gespräch mit anderen gilt: Legen Sie das Handy zur Seite und schenken Sie Ihrem Gegenüber Ihre volle Konzentration. Achten Sie nicht nur auf seine oder ihre Worte, sondern auch auf Gestik und Mimik. Und fragen Sie nach – seien Sie neugierig!

  3. Begegnen Sie ihren Mitmenschen unvoreingenommen. Vorurteile legen uns Scheuklappen an; mit einem vorgefassten Urteil ist es schwer, sich in die Lage eines anderen zu versetzen und die Welt durch seine oder ihre Augen zu sehen. Versuchen Sie, nicht auf das Trennende zu fokussieren, sondern auf das, was Sie mit der anderen Person gemeinsam haben. Die Grundbedürfnisse der Menschen sind gleich, und am universellsten ist vielleicht die Sehnsucht nach einem glücklichen Leben.

  4. Üben Sie den Perspektivwechsel. Nicht nur, indem Sie versuchen, sich in die Lage Ihrer Gesprächspartnerin oder Ihres Gesprächspartners zu versetzen, sondern auch, indem Sie Ihren Horizont erweitern: Diskutieren Sie mit Menschen, die nicht Ihrer Meinung sind. Lesen Sie Zeitungsartikel, die nicht das bestätigen, was Sie ohnehin schon glauben. Verlassen Sie Ihre Echokammern.

  5. Seien Sie empathische Eltern. Studien zeigen: Das Fundament für ein gutes Einfühlungsvermögen wird in der Kindheit gelegt. Eine vertrauensvolle, wertschätzende und enge Bindung zu Mutter und Vater führt zu einfühlsameren Kindern. Insbesondere dann, wenn Sie ihnen Empathie auch gegenüber anderen vorleben: Sie sind das Rollenmodell, an dem Ihre Kinder sich orientieren und von dem sie eigenes Verhalten lernen.

Wie wird Empathie gemessen?

Fast genauso unübersichtlich wie der Wildwuchs der Empathie-Definitionen ist die Lage bei der Frage, wie sich die Einfühlungsgabe am besten testen lässt. Zwei Forschende aus Brasilien haben kürzlich für einen Übersichtsartikel die wichtigsten Publikationen der letzten zehn Jahre zu dieser Thematik gesichtet. Sie zählten darin 23 unterschiedliche Empathie-Tests. Einen Sieger kürten sie nicht: Ihrer Ansicht nach ist nicht klar, ob die Methoden tatsächlich das Einfühlungsvermögen messen oder eine andere, damit verwandte Fähigkeit. So liefern unterschiedliche Tests oft verschiedene Ergebnisse – das dürfte nicht sein, würden sie tatsächlich dasselbe messen. Unter den bekanntesten und am häufigsten genutzten Verfahren sind der Interpersonal Reactivity Index (IRI), der Empathie-Quotient (EQ) und die Basic Empathy Scale (BES).

Der IRI-Test

Der Interpersonal Reactivity Index, kurz IRI, ist der Empathie-Test, der am häufigsten in der Praxis eingesetzt wird. Hier finden Sie ihn in der deutschen Version des Saarbrücker Psychologen Christoph Paulus. Sie können ihn bei sich selbst durchführen. Drucken Sie den Fragebogen dafür am besten aus oder notieren Sie sich jeweils, welche Frage Sie wie beantwortet haben.

1. Ich empfinde warmherzige Gefühle für Leute, denen es weniger gut geht als mir.
nie ____ selten____manchmal____oft____immer____

2. Die Gefühle einer Person in einem Roman kann ich mir sehr gut vorstellen.
nie ____ selten____manchmal____oft____immer____

3. In Notfallsituationen fühle ich mich ängstlich und unbehaglich.
nie ____ selten____manchmal____oft____immer____

4. Ich versuche, bei einem Streit zuerst beide Seiten zu verstehen, bevor ich eine Entscheidung treffe.
nie ____ selten____manchmal____oft____immer____

5. Wenn ich sehe, wie jemand ausgenutzt wird, glaube ich, ihn schützen zu müssen.
nie ____ selten____manchmal____oft____immer____

6. Ich fühle mich hilflos, wenn ich inmitten einer sehr emotionsgeladenen Situation bin.
nie ____ selten____manchmal____oft____immer____

7. Nachdem ich einen Film gesehen habe, fühle ich mich so, als ob ich eine der Personen aus diesem Film sei.
nie ____ selten____manchmal____oft____immer____

8. In einer gespannten emotionalen Situation zu sein, macht mir Angst.
nie ____ selten____manchmal____oft____immer____

9. Mich berühren Dinge sehr, auch wenn ich sie nur beobachte.
nie ____ selten____manchmal____oft____immer____

10. Ich glaube, jedes Problem hat zwei Seiten und versuche deshalb beide zu berücksichtigen.
nie ____ selten____manchmal____oft____immer____

11. Ich würde mich selbst als eine ziemlich weichherzige Person bezeichnen.
nie ____ selten____manchmal____oft____immer____

12. Wenn ich einen guten Film sehe, kann ich mich sehr leicht in die Hauptperson hineinversetzen.
nie ____ selten____manchmal____oft____immer____

13. In heiklen Situationen neige ich dazu, die Kontrolle über mich zu verlieren.
nie ____ selten____manchmal____oft____immer____

14. Wenn mir das Verhalten eines anderen komisch vorkommt, versuche ich mich für eine Weile in seine Lage zu versetzen.
nie ____ selten____manchmal____oft____immer____

15. Wenn ich eine interessante Geschichte oder ein gutes Buch lese, versuche ich mir vorzustellen, wie ich mich fühlen würde, wenn mir die Ereignisse passieren würden.
nie ____ selten____manchmal____oft____immer____

16. Bevor ich jemanden kritisiere, versuche ich mir vorzustellen, wie ich mich an seiner Stelle fühlen würde.
nie ____ selten____manchmal____oft____immer____

Auswertung: 

Unsere Empathiefähigkeit setzt sich aus verschiedenen Aspekten zusammen. In diesem Test zeigen sich kognitive Anteile im Faktor „Perspektivwechsel“, emotionale finden sich in den drei Kategorien „Mitgefühl“, „Distress“, dem Unwohlsein, wenn andere Menschen in Not sind, und „Fantasie“, der Fähigkeit, sich in Roman- oder Filmfiguren hineinzuversetzen. Um Ihre Werte zu ermitteln, vergeben Sie jeweils eine „1“ für die Antwort „nie“, eine „2“ für „selten“, eine „3“ für „manchmal“ eine „4“ für „oft“ und eine „5“ für immer.

Fantasie: Addieren Sie die Werte der Fragen 2, 7, 12, 15: Wert bis einschließlich 10: niedrig ausgeprägt; Wert zwischen 11 und 17 Punkten: durchschnittlich; Wert ab 18: hoch ausgeprägt

Mitgefühl: Addieren Sie die Werte der Fragen 1, 5, 9, 11: Wert bis einschließlich 11: niedrig ausgeprägt; Wert zwischen 12 und 17 Punkten: durchschnittlich; Wert ab 18: hoch ausgeprägt

Perspektivwechsel: Addieren Sie die Werte der Fragen 4, 10, 14, 16: Wert bis einschließlich 10: niedrig ausgeprägt; Wert zwischen 11 und 17 Punkten: durchschnittlich; Wert ab 18: hoch ausgeprägt

Distress: Addieren Sie die Werte der Fragen 3, 6, 8, 13: Wert bis einschließlich 7: niedrig ausgeprägt, Wert zwischen 8 und 14 Punkten: durchschnittlich; Wert ab 15: hoch ausgeprägt

Diese Auswertung dient jedoch nur zur groben Einschätzung, eine detailliertere bietet der Test auf der Seite der Universität des Saarlandes.

Der Galinsky-Test

Wenn Sie einmal in lockerer Runde prüfen wollen, wer sich unter Ihren Bekannten automatisch in andere hineinversetzt, dann machen Sie doch dieses simple Experiment: Drücken Sie den Anwesenden einen Stift in die Hand und lassen Sie sie den Buchstaben „E“ auf ihre eigene Stirn malen, ohne dass sie dabei in einen Spiegel schauen dürfen (nehmen Sie dazu am besten einen abwaschbaren Stift, um Ärger zu vermeiden...). Manche von ihnen werden das „E“ vermutlich so schreiben, dass es für Sie spiegelverkehrt ist – nämlich diejenigen Ihrer Freundinnen und Freunde, die bei der Aufgabe eine ich-bezogene Perspektive eingenommen haben.

Wenn Sie das „E“ dagegen problemlos lesen können, hat die jeweilige Versuchsperson sich beim Schreiben in Ihre Lage versetzt. Der US-Psychologe Glen Hass hat diesen Test vor fast 40 Jahren ersonnen. Einem breiteren Publikum wurde die Methode durch seinen Landsmann Adam Galinsky bekannt. Der Forscher beeinflusste in einem Experiment, wie mächtig sich seine Probandinnen und Probanden fühlten. Menschen, die sich in einer Machtposition sahen, schrieben das „E“ häufiger aus ihrer eigenen Sicht. Macht macht also egozentrisch – und möglicherweise weniger einfühlsam. Allerdings ist der E-Test kein wirklicher Empathie-Test. Er liefert nur einen Hinweis auf die spontane Tendenz, die Perspektive einer anderen Person zu übernehmen.

Empathisches Verhalten im Alltag

Merkmale von Menschen mit viel Empathie

Kennen Sie die Geschichte von Momo? Dem kleinen Mädchen, das so wunderbar zuhören kann? Der Autor Michael Ende hat mit ihr eine Figur geschaffen, die viele zentrale Eigenschaften eines empathischen Menschen in sich vereint. Vielleicht die wichtigste: Momo nimmt ihre Mitmenschen ernst. Sie gibt ihnen das Gefühl, wichtig zu sein. Sie stellt Fragen, statt Antworten zu geben. Sie lässt ihre Gesprächspartnerinnen reden. Und sie bringt sie so dazu, ihr Herz zu öffnen.

Empathische Menschen sind in aller Regel gute Zuhörer. Mit Urteilen halten sie sich zurück. Zudem haben sie ein feines Sensorium dafür, wie sich andere gerade fühlen. Sie begegnen anderen mit Vertrauen, sind hilfsbereit und kooperativ. Dass sie selbst einen Streit vom Zaun brechen, ist ausgesprochen selten. In der Persönlichkeitspsychologie werden diese Eigenschaften unter der Bezeichnung „Verträglichkeit“ zusammengefasst. Wer empathisch ist, erzielt in dieser Persönlichkeitsdimension oft hohe Werte.

Merkmale von Menschen mit geringer Empathie

Fehlende Empathie macht gleichgültig gegenüber den Gefühlen anderer. Empathielose Menschen neigen daher dazu, egoistisch zu sein und ihr eigenes Wohl in den Mittelpunkt zu stellen. In Gesprächen hören sie oft nur oberflächlich zu. Gerade selbstverliebte Personen sind oft ausgesprochen schlecht darin, sich in ihre Mitmenschen einzufühlen. Fehlende Empathie gilt daher auch als herausstechendes Persönlichkeitsmerkmal von Narzissten. Die sind oft wahre Meister darin, ein Gespräch, das eigentlich von den Sorgen und Nöten des Gegenübers handelt, an sich zu reißen und zu sich zurück zu lenken.

Wer sich nicht in andere hineinversetzen kann, hat es schwer, emotionale Nähe herzustellen und stabile Beziehungen aufzubauen. Mangelnde Empathie geht zudem oft mit antisozialem Verhalten einher: unter anderem Mobbing, Gesetzesverstößen, Gewalt in der Partnerschaft, aber auch Vorurteilen und Rassismus. Eine mögliche Ursache für Empathielosigkeit sind frühkindliche Erfahrungen: Wenn die Beziehung zu den Eltern durch Gefühlskälte und mangelnde Nähe gekennzeichnet war, besteht die Gefahr, dass die Kinder später zu wenig einfühlsamen Erwachsenen heranwachsen.

5 Vorteile von Empathie

  1. Empathie hilft, tiefe gefühlsmäßige Bindungen einzugehen. Sie ist eine Voraussetzung für Intimität und damit für eine erfüllte Partnerschaft.

  2. Sie ist ein Schmierstoff sozialer Beziehungen – sie hilft, Konflikte zu antizipieren und zu vermeiden.

  3. Einfühlungsvermögen macht hilfsbereit und fördert gesellschaftsdienliches Verhalten.

  4. Empathie gilt als wichtige Grundlage für die Entwicklung eines moralischen Kompasses.

  5. Ein empathischer Erziehungsstil hilft Kindern, sich gesund zu entwickeln.

5 Nachteile von Empathie

Ist die Gabe der Einfühlung also uneingeschränkt erstrebenswert? Der US-Psychologe Paul Bloom verneint das. Er ist der Meinung, dass Empathie auch Gefahren birgt:

  1. Wir neigen dazu, vor allem für Mitglieder unserer eigenen Gruppe Empathie zu empfinden – wahrscheinlich, da diese uns ähnlicher sind und wir uns daher stärker mit ihnen verbunden fühlen.

  2. Empathie kann dazu führen, dass wir uns für eine Person einsetzen, in die wir uns einfühlen, das Leid anderer aber ausblenden, obwohl sie unsere Hilfe vielleicht noch viel mehr benötigen würden.

  3. Sie fördert Urteile und Handlungen auf Basis von Emotionen und nicht auf Grundlage rationaler Überlegung. 

  4. Empathie macht manipulierbar. Wer gezielt an unser Einfühlungsvermögen appelliert, erreicht damit leichter seine Ziele. In Studien wurde sogar gezeigt, dass Menschen durch solche Appelle dazu gebracht werden können, sich aggressiver zu verhalten. Empathische Personen können aber auch selbst ihre Gabe dazu nutzen, andere zu beeinflussen

  5. Empathische Menschen leiden unter Umständen zu stark mit. In der Fachliteratur ist dieses Phänomen unter dem Begriff „empathetic distress“ (emphatische Verzweifelung) bekannt. Bei Mitarbeitenden in Gesundheitsberufen kann es zum Beispiel zu Burn-Out und Depressionen führen. Daher kann ein gewisses Maß an Distanzierung hilfreich sein (siehe auch Ekpathie).

Quellen:

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