Gehört mein Bauch mir?

Frauen leiden weniger an einer Abtreibung als an der daraus folgenden Stigmatisierung, meint Erica Millar in ihrem Buch "Happy Abortions".

Happy Abortions lautet der vermutlich provozierend gemeinte Titel des Buches von Erica Millar. Richtig glücklich über eine Abtreibung werden die meisten Frauen sicherlich nicht sein. Doch viele werden zumindest froh und erleichtert darüber sein, eine ungewollte Schwangerschaft nicht austragen zu müssen. Und sollten sie das nicht dürfen?

Die australische Sozialwissenschaftlerin und Geschlechterforscherin Erica Millar zeichnet in ihrem Buch verschiedene Argumentationslinien gesellschaftlicher und parlamentarischer Debatten in Gesetzgebungsverfahren zum Schwangerschaftsabbruch der letzten Jahrzehnte nach – hauptsächlich im englischsprachigen Raum. Auch mit der deutschen Gesetzgebung, den Prozessen um die Ärztin Kristina Hänel und dem Paragrafen 219a setzt sie sich auseinander.

Millar beschreibt, wie selbst einige Befürworter liberaler Abtreibungsgesetze, die für Wahlfreiheit eintreten, eine stereotype Rhetorik verwenden, der zufolge Frauen, die eine Schwangerschaft nicht austragen möchten, sich notwendigerweise in einer schlimmen Notlage befinden müssen. Sie werden zu Opfern verzweifelter Umstände – oder zu defizitären Wesen. Das heißt, es geht hier um eine Argumentation, die sich zwar als pro choice bezeichnet, aber letztlich doch anti-abortion ist.

Glück nur in der Mutterschaft?

Viele Frauen fühlen sich schuldig, traurig und beschämt, was dazu führt, einen Schwangerschaftsabbruch möglichst geheim zu halten. Als Grundlage dafür identifiziert die Autorin ein Frauenbild, in dem noch immer Glück mit Mutterschaft gleichgesetzt wird. In dieser Logik ist Mutterschaft gut und Abtreibung böse oder zumindest ein „schreckliches Ereignis“. Eine Frau ist demnach – egal ob gewollt oder ungewollt – nicht einfach schwanger, sondern bereits Mutter eines ungeborenen Kindes.

Erica Millar aber plädiert dafür, eine Schwangerschaft nicht als einen objektiven, sondern als einen subjektiven, variablen Zustand neu zu denken. Schwangere Frauen seien nicht automatisch Mütter. „Gälte Mutterschaft nicht mehr als der Inbegriff weiblichen Glücks, wäre Abtreibung endlich ganz unzweideutig die Entscheidung der Frau“, so Millar.

Schweigen hält das Stigma aufrecht

Ein kultureller Wandel könnte dadurch ausgelöst werden, dass mehr Frauen öffent­lich über ihre Erfahrungen mit unge­wollter Schwangerschaft und Schwangerschafts­abbruch sprechen, schlägt Millar vor.

Aus meiner Sicht als langjährige Schwan­gerschaftskonfliktberaterin war dies in den 1980er und 90er Jahren allerdings zumindest unter Frauen deutlich weiter verbreitet als heute und der Schwangerschaftsabbruch vielleicht auch dadurch weniger tabuisiert. Es ist gut vorstellbar, dass manche Frauen weniger an einer Abtreibung leiden als an den damit verbundenen Zuschreibungen an sie und der daraus folgenden Stigmatisierung.

Erica Millar hat ein kluges und differenziertes, lesbares und lesenswertes Buch geschrieben, das sowohl wissenschaftlich fundiert als auch parteilich für Frauen ist.

Marina Knopf ist als Diplompsychologin beraterisch tätig am Familienplanungszentrum Hamburg. Sie ist – gemeinsam mit Elfie Mayer und Elsbeth Meyer – Autorin des Buches Traurig und befreit zugleich. Psychische Folgen des Schwangerschaftsabbruchs (Books on Demand 2015)

Erica Millar: Happy Abortions. Mein Bauch gehört mir – noch lange nicht. Aus dem australischen Englisch von Stephanie Singh. Wagenbach, Berlin 2018, 222 S., € 22,–

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 7/2019: Werden, wer ich bin
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