Zustimmung fühlt sich gut an

In Diskussionen driften Meinungen häufig weit auseinander. Welche Rolle spielen Emotionen dabei?

Eine Hand streicht beruhigend über einen menschlichen Kopf mit einem hundeähnlichen Körper
Andere stimmen uns zu und wir fühlen uns gut damit. © Joni Majer

Meinungen polarisieren sich in öffentlichen Diskussionen seit einigen Jahren immer stärker – Analysen der Debatten in den sozialen Medien zeigen das anschaulich: Im Twitter-Account der ARD-Tagesschau zum Beispiel finden sich täglich populistisch-aggressive Kommentare gegen die seriösen Medien. Genauso viele Leute halten dagegen. Die Überzeugungen der Gruppen driften immer weiter auseinander. Welche psychologischen und sozialen Mechanismen steuern diese Polarisierung? Dieser Frage ist der Informatiker Sven Banisch gemeinsam mit dem Physiker Eckehard Olbrich – beide am Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften – erstmals mithilfe einer Computersimulation nachgegangen. Sie wollten wissen, ob soziale Lernprozesse die Meinungsbildung entscheidend mitbestimmen.

Das Ergebnis: Bei der Polarisierung von Meinungen spielt anscheinend die emotionale Zustimmung zu den Überzeugungen anderer eine entscheidende Rolle. Stimmt man uns zu, freut uns das und tut uns gut. Die Polarisierung beruht offenbar auf einer Art Belohnungslernen. Wir drücken Überzeugungen aus, weil wir mit der Zustimmung anderer belohnt werden wollen. Das Wohlgefühl, das bei denen entsteht, die gleicher Meinung sind, führt zur Polarisierung der Meinung in eine Richtung. Erhält also ein Akteur in einem großen sozialen Netzwerk große Zustimmung aus dem Umfeld, springt das sogenannte Belohnungssystem im Gehirn an, vermuten die Wissenschaftler. Dann wird der Botenstoff Dopamin freigesetzt, ein Wohlgefühl stellt sich ein, die geäußerte Meinung verfestigt sich. Je größer die soziale Zustimmung, desto stärker dieser unbewusst ablaufende Mechanismus. Um zu verstehen, was sich genau abspielt, erstellten die Forscher zunächst ein theoretisches Modell. Dabei gingen sie – anders als in bisherigen Modellen – erstmals davon aus, dass soziales Lernen und das Feedback auf unsere Meinungsäußerungen eine entscheidende Rolle spielen. Um dieses Modell zu prüfen, bildeten die Wissenschaftler es dann in einer Computersimulation ab.

Echokammern sind unvermeidbar

Meinungen polarisieren sich nach diesem Modell über Rückkopplungen. Angetrieben durch diese Rückkopplungen, neigen sympathisierende Untergruppen in einem großen Netzwerk dazu, sich im Laufe der Zeit mehr und mehr einer einzigen Meinung zuzuwenden. Dies kann dazu führen, dass sogenannte Echokammern entstehen. Bei sehr großen Netzwerken seien diese unvermeidbar, erklärt Sven Banisch. Und Echokammern müssten auch nicht völlig nach außen abgeschlossen sein, damit es zur Polarisierung der Meinung in eine Richtung komme.

„Wenn ich erfolgreich bin mit meinen Meinungen, will ich höchstwahrscheinlich auf diesem Kurs bleiben“, sagt Banisch. Denn man will die nächste Belohnung kassieren. „Bei negativem Feedback“, so der Leipziger Informatiker, „stellen nach unserer Theorie manche Leute ihre Meinung auf den Prüfstand und revidieren sie unter Umständen.“ Die andere Möglichkeit: Sie behalten ihre Meinung, überlegen sich aber genau, ob sie sie erneut äußern sollen. Das ist neben der Polarisierung eine zweite Seite der öffentlichen Meinungsbildung: die sogenannte Schweigespirale. Die Meinungsforscherin und Kommunikationswissenschaftlerin Elisabeth Noelle-Neumann stellte diese Theorie in den 1970er Jahren erstmals vor. Die wissenschaftlichen Befunde zu dieser Theorie gelten zwar als widersprüchlich, aber das amerikanische Meinungsforschungsinstitut Pew Research stellte vor ein paar Jahren nach einer Befragung von mehr als 1000 Nutzern der sozialen Medien fest, dass die Schweigespirale im Netz existiert. Die Befragten gaben an, es falle ihnen leichter, sich zu äußern, wenn ihre Meinung mit der Meinung großer Teile der Öffentlichkeit übereinstimme. Die sozialen Medien tragen demnach nicht dazu bei, dass sich Menschen mit einer abweichenden Ansicht ermutigt fühlen, diese zu äußern. 

Zurückweisung lässt manche ­verstummen 

Eine Schweigespirale führt dazu, „dass die Minderheitenmeinung bestimmter Subgruppen allmählich zu einer wahrgenommenen Mehrheitsansicht werden kann“, erläutert Banisch. Würden kleine Gruppen nur geschlossen genug und straff organisiert auftreten, könnten sie unter Umständen selbst große Mehrheiten mit ihrer Haltung zum Schweigen bringen. „Wir alle reagieren sehr sensibel auf zustimmende oder ablehnende Signale im Verhalten unseres Gegenübers und beziehen dieses Feedback unbewusst in unsere eigene Entscheidungsfindung mit ein“, erklärt Banisch. „Soziales Lernen könnte somit diesen Mechanismus der Schweigespirale erklären, warum also manchmal auch Mehrheiten aufhören, ihre Meinung öffentlich preiszugeben.“

Mittlerweile haben sich Banisch und seine Kollegen mit Soziologen der Universität Leipzig zusammengeschlossen – für Studien mit menschlichen Probanden, um die neuen Modelle im Labor zu überprüfen. Die Ergebnisse stehen noch nicht endgültig fest. Bei positivem Feedback auf eine Meinung scheint sich die Theorie zu bestätigen. „Bei negativem Feedback findet eine Revision der geäußerten Ansicht statt“, erklärt Banisch, „wir müssen aber noch auswerten, mit welchem Effekt.“ Ob positives oder negatives Feedback – die Wissenschaftler beschreiben einen affektiven und emotionalen Zugang zum Phänomen der Polarisierung. „Diese Mechanismen gewinnen gerade in Bezug auf neue Medien an Bedeutung“, so Sven Banisch.

Sven Banisch, Eckehard Olbrich: Opinion polarization by learning from social feedback. The Journal of Mathematical Sociology, 2018. DOI: 10.1080/0022250X.2018.1517761

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 8/2019: Paare im Stress
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