Felix Ekardt stört: „Unsere Liebe zur Fernreise“

Stell Dir vor, es ist Pandemie – und viele grübeln nur darüber nach, dass sie nicht mehr verreisen können. Das stört Felix Ekardt.

Stell dir vor, es ist Pandemie – und ein nicht unerheblicher Anteil der Menschen grübelt nicht über die Bedrohungslage oder die Einschränkung von Grundrechten nach, sondern darüber, dass Freizeitoptionen und Urlaubsreisen wegfallen. Dabei sind gerade Fernreisen schon bislang ein ziemliches Desaster: ökologisch nämlich.

Fernreisen verbinden viele Menschen mit Erlebnissen und Erfahrungen, und diese sind in der westlichen Welt seit dem 19. Jahrhundert so etwas wie das primäre Lebensziel. Darüber wird vergessen, dass wir mit unserem fossilen Brennstoffverbrauch Teil einer langfristig tödlichen Praxis sind. Der Klimawandel tötet heute schon Menschen. In dem Moment, wo Wasser knapp wird und Kriege und Bürgerkriege wahrscheinlicher werden, wird das noch in viel größerem Umfang passieren. Außerdem: Warum sind uns Erlebnisse so wichtig? Und was bringen mir Reisen in Länder, die ich in zwei Wochen kaum kennenlerne?

Dass uns der Klimawandel so wenig juckt, ist nicht verwunderlich. Wer gut verdient und gebildet ist, interessiert sich zwar oft theoretisch für den Klimaschutz, hat aber gerade wegen seines Wohlstands nicht selten einen großen ökologischen Fußabdruck mit Fernreisen. Eigennutzenkalküle beeinflussen uns eben stärker als Wissen und Moral. Bestimmte Lebensstile gelten außerdem als normal – zum Beispiel mal eben schnell zu fliegen, wenn man sich das leisten kann.

Wir zeigen auf die jeweils anderen

Ganz wichtig sind dabei auch unsere Emotionen: Bequemlichkeit, Gewohnheit, Verdrängung, die Neigung zu Ausreden oder dazu, andere zu Sündenböcken zu machen – sollen sich doch die Chinesen ändern, statt dass ich auf meine schönen Reisen verzichte! Eigennutz und Emotionen erklären zugleich, dass wir bei der Pandemie eher handeln als beim Klimaschutz. Die Bedrohung erscheint uns greifbarer.

Der Klimaschutz kann nur gelingen, wenn wir in zwei Dekaden in der EU und vielen anderen Staaten aus den fossilen Brennstoffen aussteigen – bei Strom, Wärme, Mobilität, Kunststoffen, Zement und Agrarwirtschaft. Dem weichen wir mit Henne-Ei-Debatten aus, welcher Akteur zuerst zu handeln hat: Politikerinnen, Produzenten oder Konsumentinnen und Konsumenten. Dabei besteht die politische Sphäre nicht nur aus Politikern, sondern auch aus Wählern und Lobbyisten. Zur Sphäre von Konsum und Produktion gehören nicht allein die Konsumentinnen und Konsumenten, sondern auch Unterneh­men, die etwas anbieten, Politikerinnen und Politiker, die etwas erlauben, sowie die Wählerinnen und Wähler, die sie wählen.

Wir zeigen auf die jeweils anderen Akteure. Die Politik mit null fossilen Brennstoffen wird aber nicht vom Himmel fallen. Die muss jemand politisch erkämpfen, und es muss jemand anfangen, in diesem Sinne zu leben. Denn solange niemand gemeinsam mit anderen postfossil zu leben beginnt, wird kein Politiker sich trauen, diesen Weg ernsthaft zu beschreiten.

Felix Ekardt ist Jurist, Philosoph und Soziologe, Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin sowie Professor für öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Rostock

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 4/2021: Selbstwert wagen
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