Im Fokus: Klimakrise und Populismus

Warum wird der Klimawandel von Populisten so gerne in Diskussionen genutzt? Axel Salheiser über das Verständnis von Freiheit, das sich dahinter verbirgt

Ein Rettungshubschrauber im Einsatz in den Dolomiten, dahinter ein Gletscher
Erderwärmung und Gletscherschmelze gibt es nicht, behaupten Klimaleugner – denn das würde Verzicht bedeuten. © picture alliance/ ASSOCIATED PRESS | Luca Bruno

Herr Salheiser, warum nutzen populistische Parteien den Kampf gegen den Klimawandel, um damit Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren?

Das Thema ist für populistisch agierende Parteien eine Steilvorlage, gerade für die radikale Rechte. Es eignet sich hervorragend für die Erzählung von den korrupten Eliten, die angeblich gegen den Willen und die Interessen des Volkes handeln und dadurch Ungerechtigkeit und Wohlstandsverluste erzeugen. Denn schließlich geht es an dieser Stelle nicht um symbolische Fragen,…

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und Wohlstandsverluste erzeugen. Denn schließlich geht es an dieser Stelle nicht um symbolische Fragen, sondern um knallharte Verteilungskämpfe. Und es geht um Transformation, also darum, wie wir in Zukunft leben sollen. Beide Punkte rufen bei vielen Menschen Ängste hervor, und das lässt sich eben sehr gut instrumentalisieren.

Und aus dieser Angst heraus leugnen die Anhängerinnen und Anhänger solcher Parteien dann, dass es den Klimawandel überhaupt gibt?

Nein. Umfragen der letzten Jahre zeigen, dass die wirklichen Leugnenden eine kleine Minderheit sind. Die allermeisten sind schon besorgt über den Klimawandel und prinzipiell der Meinung, dass etwas dagegen getan werden muss. Bei der Bewertung von konkreter Klimaschutzpolitik gehen die Meinungen jedoch erheblich auseinander: inwieweit die Maßnahmen angemessen sind oder überzogen; ob sie überhaupt etwas bringen oder ob die negativen Auswirkungen – zum Beispiel auf die Wirtschaft – die positiven Effekte überwiegen. Das sind ja grundsätzlich auch legitime Fragen.

Die AfD vertritt aber deutlich schärfere Positionen – etwa dass die Erderwärmung gar nicht auf unser Handeln, sondern auf natürliche Ursachen zurückzuführen ist.

Ja, und das ist durchaus paradox. Denn von vielen Anhängern der AfD wird der Einfluss des Menschen nicht abgestritten, jedenfalls nicht in dem Umfang, wie es die öffentlichen Verlautbarungen der Partei und ihre Wahlprogramme vorgeben. Dennoch ist die AfD mit ihren Positionen in dieser Frage auch für Gruppen anschlussfähig, die das nicht so extrem sehen. Ich halte diese maximale Positionierung für eine kollektiv geteilte Lüge: Eigentlich wissen alle, dass es den Treibhauseffekt gibt und der Mensch daran schuld ist; nach außen wird aber etwas ganz anderes vertreten.

Das heißt, wenn ich Alice Weidel auf einer Party treffen würde und sie würde nach ein paar Gläsern Wein ganz frisch von der Leber weg mit mir reden, dann würde sie mir sagen: Ja, sicher gibt es den Klimawandel und natürlich haben wir ihn mit verursacht?

Was die individuellen Einstellungen von AfD-Spitzenpersonal in dieser Frage angeht, kann man zwar viel spekulieren, aber keine solide wissenschaftliche Aussage treffen. Man kann aber zumindest die Hypothese formulieren, dass die erdrückenden Belege für den menschengemachten Klimawandel und seine Folgen eigentlich auch an AfD-Politikerinnen und -Politikern nicht vorbeigegangen sein können.

Und dennoch werden sie zumindest offiziell hartnäckig geleugnet.

Ja. Unter anderem deshalb, weil sich dadurch die Emotionalisierung vorantreiben lässt: Man nimmt euch euren Wohlstand, setzt eure Zukunft aufs Spiel, man gefährdet eure Gesundheit durch Windräder, die auch noch die Umwelt verschandeln – und wofür? Für eine ­völlig unbewiesene Hypothese, deren Konsequenzen zudem total übertrieben werden. Dieses Narrativ dient dann letztlich auch einer kollektiven Sinnstiftung und schafft eine Gruppenidentität: Wir sind die Einzigen, die noch dem gesunden Menschenverstand folgen.

Heißt das, dass sich die Anhängerinnen solcher Aussagen ein Stück weit über ihre Haltung zum Klimawandel definieren?

Ja. Das zeigt sich zum Beispiel an den T-Shirts, die manche von ihnen auf ­Demos tragen – Klimabetrug, Schlafschaf, Wahrheitssucher. Man inszeniert sich als Andersdenkende, als Oppositionelle. Das kann sogar subkulturelle Züge annehmen.

Sie sagten eben, charakteristisch für populistische Parteien sei das Narrativ, dass normale Leute mit einem gesunden Menschenverstand von korrupten Eliten regiert werden. Wissenschaft ist auch elitär; wir können nicht alle Expertinnen und Experten sein. Eignet sie sich deshalb so gut als Feindbild?

Das Loblied auf den gesunden Menschenverstand bedeutet ja letztlich, dass man sich selbst Beurteilungsfähigkeit zuschreibt, auch in komplexen Sachverhalten wie dem Klimawandel. Und das kann durchaus anti-elitäre Züge tragen, so nach dem Motto: Die führen irgendwelche Modellrechnungen durch, die nichts mit dem wahren Leben zu tun haben.

Hinzu kommt, dass Wissenschaft oft als staatsnah wahrgenommen wird und damit als wenig unabhängig, à la „Professorinnen und Dozenten sind Beamte; sie werden aus den Landeshaushalten bezahlt“. Generell hat das Vertrauen in viele staatliche Institutionen in den letzten Jahren deutlich abgenommen, und das betrifft auch die Universitäten. Das hat sicher auch etwas mit der Coronapandemie zu tun. Denn dort wurden politische Entscheidungen oft dezidiert mit Studien begründet, so dass der Eindruck entstand: Eigentlich handelt es sich hier gar nicht um einen demokratischen Entscheidungsprozess, sondern um eine Expertokratie.

Die Wissenschaft liefert bereitwillig die Argumente, mit denen die Politik unliebsame Entscheidungen begründet?

Genau, nach dem Prinzip „eine Hand wäscht die andere“. Dennoch denke ich, dass die Naturwissenschaften immer noch eine relativ hohe Akzeptanz genießen – einfach weil sie sich mit handfesten Dingen beschäftigen. Die Sozial- und Geisteswissenschaften gelten dagegen oft als Laberfächer. Oder wie Populisten es gerne einmal streuen: Fächer, in denen eigentlich keine Wissenschaft betrieben wird, sondern Ideologie.

Viele Menschen bezeichnen sich nicht als Leugnerinnen der Erderwärmung, sondern als klimawandelskeptisch. Warum?

Ja, das ist eine sehr interessante Strategie. Skepsis ist viel anschlussfähiger als Totalverweigerung. Sie ist ein Wert, der in der Gesellschaft eine hohe Akzeptanz genießt: nicht einfach in blindem Vertrauen der politischen Führung zu folgen, sondern kritische Fragen zu stellen und Positionen gegeneinander abzuwägen. Wer sich als Skeptiker bezeichnet, setzt sich damit als besonders kritischer Kopf in Szene.

Dieses Narrativ ist sehr schmeichelhaft. Und das verfängt oft gerade bei denjenigen, die eigentlich die geringste Expertise haben. Denn es suggeriert: Ja, auch du kannst mitreden. Es gibt einen Wunsch danach, in der Diskussion gehört und ernst genommen zu werden. Und die populistischen Bewegungen verstehen sich darauf, diesen Wunsch zu bedienen.

Skepsis anzumelden und von anderen einzufordern ist letztlich aber auch eine Strategie, den Klimaschutz zu verzögern und ihm Steine in den Weg zu legen: „Ich bin noch nicht überzeugt; ich hätte da noch einige Fragen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind so weitreichend, dass wir uns sicherer sein müssen.“

Viele Parteien sehen den Klimawandel heute als globalen Notfall – wir müssen darauf reagieren, wir haben keine andere Wahl. Populistische Bewegungen versprechen dagegen Wahlfreiheit: Es ist eure Entscheidung, wie ihr leben möchtet. Lassen sich ihre Anhängerinnen und Anhänger schlicht und einfach ungerne Vorschriften machen?

Ja, ich glaube, dass das eine große Rolle spielt. Manche Menschen haben das Gefühl, zu wenig Einfluss auf die Entscheidungen nehmen zu können, die sie betreffen. Populistische Parteien nutzen das ganz geschickt, indem sie sagen: Eure Freiheit wird im Grundgesetz garantiert, und dennoch schränken die anderen sie immer weiter ein. Wir sind die Einzigen, die sie euch zurückgeben wollen. Wir garantieren euch die Sicherheit vor einem übergriffigen Staat und die Freiheit, so zu leben, wie ihr es wollt.

Dahinter stecken libertäre Ideen, die in Ländern wie den USA schon immer einflussreich waren und in den letzten Jahren zunehmend auch nach Deutschland geschwappt sind: Der Staat soll sich auf keinen Fall einmischen. Dieses Gedankengut findet sich auch im Wirtschafts- und Sozialprogramm der AfD. Wenn man genauer hinsieht, merkt man schnell, dass sich in diesem Freiheitsideal auch eine radikale Abwehr kollektiver Verantwortung ausdrückt. Man möchte die eigene privilegierte Lebensweise nicht zum Gegenstand gesellschaftlicher Diskussionen machen lassen. Mit dieser Sichtweise können sich auch liberale und hedonistische Milieus identifizieren.

Ist da auch Trotz dabei? Wenn mir die Politik meine Wurst madig macht, dann grille ich absichtlich doppelt so häufig?

Ja, das ist eine kollektive Trotzreaktion. Sollen diese grünen Ökos doch versuchen, mir das Grillen zu verbieten! Das hat auch etwas von Kulturkampf, von einem Angriff auf festgefügte Selbstbilder: Wir Deutschen essen Fleisch, das ist Tradition.

Am Anfang gibt es vielleicht nur das vage Gefühl, dass die Politik über den eigenen Kopf hinweg bestimmt. Populistische Parteien sind jedoch sehr gut darin, solche Gedanken aufzugreifen, in Worte zu kleiden und zu verstärken. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Emotionalisierung: Maßnahmen gegen den Klimawandel werden überzeichnet, ihre Konsequenzen völlig verzerrt dargestellt. Das führt zu Angst, Wut, Aggressivität bis hin zu Hass.

Man hört seit einigen Jahren immer öfter den Begriff der Klimadiktatur. Wo kommt das her?

Ein Auslöser waren sicher die Freiheitsbeschränkungen in der Coronapandemie. Damals haben viele Menschen die Erfahrung gemacht, dass es im Krisenfall tatsächlich zu staatlichen Zwangsmaßnahmen kommen kann, die sich stark auf die private Lebensführung auswirken.

Wir haben 2021 auf der Höhe der Pandemie in einer Studie regierungskritische Demonstrationen analysiert. Dabei ist uns aufgefallen, wie häufig in den Reden auf Klima und Umwelt eingegangen wurde, auf die Grünen, auf Greta Thunberg, auf Fridays for Future. Eigentlich sind die Leute gegen Masken, Impfen und so weiter auf die Straße gegangen. Dennoch spielten bei vielen Reden auch diese Themen eine Rolle.

Wir haben damals auch eine repräsentative Umfrage durchgeführt. Darin gaben 17 Prozent der Befragten an, die Freiheitseinschränkungen seien ein Probelauf für geplante staatliche Zwangsmaßnahmen in Folge der Klimapolitik, im Sinne von: Hier wird schon mal etwas eingeübt. Ein weiteres Fünftel stimmte dieser These zumindest teilweise zu. Diese Befürchtung wurde durch populistische Parteien und in Telegram-Gruppen oder anderen sozialen Netzwerken auch aktiv gestreut.

Glauben die Menschen denn wirklich daran? Oder ist das eine Schutzbehauptung, um sämtliche Maßnahmen zum Klimaschutz zu diskreditieren?

Aus sozialpsychologischer Sicht ist weniger relevant, ob die Menschen das glauben, sondern eher, welche Folgen dieses Schlagwort von der Diktatur hat – ob es zur Mobilisierung führen kann bis hin zu Umsturzplänen und zu Gewalt. Das ist nicht gesagt; ich bin mir aber zumindest sicher, dass es die Menschen in ihrer oppositionellen Haltung gegen „die da oben“ eint, gegen die Regierung, gegen die vermeintlich korrupten Eliten.

Sie haben kürzlich ein Sachbuch mit dem Titel Klimarassismus geschrieben. Inwiefern hängen diese beiden Themen zusammen?

Wir verdanken unseren Wohlstand sehr stark der Nutzung fossiler Energien und der Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Unser Beitrag zur Erderwärmung ist also viel größer als der der sogenannten Dritten Welt. Dennoch leiden die Entwicklungs- und Schwellenländer sehr viel stärker unter den Folgen der Umwelt- und Klimazerstörung als wir. Wir haben die Kosten unserer Lebensweise also exportiert, und das verschärft diese Ungleichheit noch.

Warum sind dennoch viele Menschen nicht bereit, ihren Lebenswandel zu ändern? Weil sie glauben, dass ihnen ihr Wohlstand zusteht? Dass es – simpel gesagt – den Menschen in Afrika genauso gut gehen könnte, hätten sie sich nur mehr angestrengt?

Ja, das ist sicher ein Punkt. Die Nachfrage nach Entlastungserzählungen ist sehr groß. Letztlich läuft es darauf hinaus, dass sie ihre Privilegien mit aller Macht verteidigen möchten. Aber eigentlich denkt man sowieso, dass man ja gar nicht privilegiert ist. Man hat zwar zwei Autos und fliegt jedes Jahr in den Urlaub, aber das ist doch normal, das machen doch alle.

Wenn Sie von Rassismus reden oder von der Zementierung von Ungleichheiten sprechen, klingt das, als sei die Leugnung des Klimawandels ein rechtes Thema. Wie sieht es denn am linken Rand aus?

Für linke Bewegungen ist die Gerechtigkeitsfrage zentral. Auch dort lehnt man bestimmte Maßnahmen ab, aber in der Regel aus anderen Gründen als im Rechtspopulismus. In linken Parteien gibt es beispielsweise die Befürchtung, dass die Ärmeren die Hauptlast der Transformation zu tragen haben; dass die Maßnahmen die Gerechtigkeitsprobleme also sogar noch verschärfen.

Beispielsweise wenn man den Entwicklungs- und Schwellenländern den Zugang zu Dünger für die Hochleistungslandwirtschaft erschwert?

Nicht nur dort; es geht auch um die Lastenverteilung in Deutschland und um die Frage, ob sich Geringverdienende hierzulande die Maßnahmen gegen die Erderwärmung leisten können. Typisch links ist auch der Gedanke, dass es dringlichere Probleme gibt als Klima- und Umweltschutz, dass wir erst einmal die soziale Frage klären müssen.

Ich glaube aber, dass linke Bewegungen den Kampf gegen den Treibhauseffekt eher auch als Chance sehen, die Gesellschaft grundlegend umzubauen und zu reformieren. Das ist ja beispielsweise der Anspruch der Klimagerechtigkeitsbewegung: Sie sagt, dass wir unsere Gesellschaft nicht nur verändern müssen, um das Klima zu retten, sondern auch, um grundlegende Ungerechtigkeiten bei der Verteilung von Macht und Ressourcen in den Griff zu bekommen und unser Wirtschaftssystem zu reformieren.

Die Erderwärmung ist auch ein Angriff auf unsere Überheblichkeit, auf unsere Einschätzung, dass wir uns die Welt untertan machen können. Tun sich manche Menschen auch deshalb so schwer damit, sie zu akzeptieren? Ist diese Einstellung die Folge einer narzisstischen Kränkung?

Das ist möglich, dürfte aber eine untergeordnete Rolle spielen. Der Glaube an die einzigartige Stellung des Menschen hat sich doch ohnehin schon stark abgeschliffen. Das begann bereits mit der Erkenntnis, dass sich die Sonne nicht um die Erde dreht, dass wir also nicht Mittelpunkt des Universums sind. Oder mit der Abstammungslehre Darwins, die gezeigt hat, dass wir mit den Affen verwandt sind. Auch die großen Versprechen der Moderne – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – wurden zumindest teilweise enttäuscht, ebenso wie die Hoffnung auf eine Welt ohne Kriege. Das Vertrauen in unsere Gestaltungskraft wurde immer wieder gedämpft. Daran sollten wir uns inzwischen eigentlich gewöhnt haben.

Dr. Axel Salheiser ist wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena und erforscht die Verbreitung des Populismus. Er ist Ko-Autor des Buchs Klimarassismus. Der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende.

Quellen

Matthias Quent u.a.: Klimarassismus: der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende. Piper 2022

Axel Salheiser: Von der „Corona-Diktatur“ zur Klima-Diktatur“? Einstellungen zu Klimawandel und Klimaschutzmaßnahmen – Befunde einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung. FGZ Working Paper Nr. 5. Leipzig: Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt, 2022

Jonathan White: What makes climate change a populist issue? Centre for Climate Change Economics and Policy Working Paper No. 426, 2023

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 12/2024: So wird es leichter mit den Eltern