Spiel mit der Angst

In vielen europäischen Ländern sind rechtpopulistische Parteien erstarkt. Ein Psychiater erklärt, was das mit den Krisen der letzten Jahre zu tun hat.

Das Foto zeigt ein Plakat der AFD am Alexanderplatz, dass die Aussage hat: "Islamisierung stoppen. AFD wählen!"
Im Wahlkampf werden häufig nicht nur Ziele und Wünsche plakatiert, sondern gerne auch Ängste großgemacht. © Sean Gallup / Staff / Getty Images

Kriege und die Verkettung globaler Krisen sowie, dass diese über digitale Medien in Echtzeit in unseren Alltag transportiert werden, setzt die Menschen unter Stress. Die scheinbare Masse schlechter Nachrichten lässt schnell die Vermutung aufkommen, dass wir in unheilvollen Zeiten leben. Ein emotionales Resultat dabei kann Studien zufolge Angst sein. Angst um die Zukunft, die eigene Existenz, darum, die Heizungsrechnung nicht mehr bezahlen können – oder um Wohlstand und Status.

Wir wissen aus der Emotionsforschung, dass sich gerade Angst rasch und unverhältnismäßig ausbreiten kann, auch wenn keine reale Bedrohung für Leib und Leben existiert. Der Nährboden für sich rasch ausbreitende Ängste wird dadurch bereitet, dass die Menschen durch die Verkettung von Krisen grundsätzlich belasteter und die emotionalen Ressourcen bei vielen aufgebraucht sind.

Im Zuge dieser Belastung, die fast alle betrifft, neigt auch die Gesellschaft als solche dazu, ängstlicher zu werden. Dann passiert das, was man auch im einzelnen Individuum beobachten kann und als „Zentralisierung“ aus der Schockreaktion bekannt ist: Die Gesellschaft lenkt die Aufmerksamkeit vermehrt auf das Innere, schottet sich nach außen ab. Man versucht, das Eigene um jeden Preis nach außen oder gegen das vermeintlich Fremde zu schützen, entwickelt einen Scheuklappenblick.

Unter Angst kann auch das rationale, vernunftbezogene Denken leiden, Besonnenheit verloren gehen. Man reagiert dann eher auf Stimmungen, weniger auf Fakten. Eine angstgeplagte Gesellschaft verspricht sich Erleichterung in einem polarisierten Weltbild und wird anfällig für Heilsversprechen populistischer Akteure.

Populistische Parteien nutzen empathischen Missbrauch

Populistische Parteien üben eine Art strategische Empathie aus, indem sie Anteilnahme an den Sorgen und Nöten der Leute vortäuschen und den Finger in die emotionalen Wunden der Menschen legen. Sie schauen sich die Angstthemen der Leute genau an, nehmen sie in polarisierende Kernbotschaften auf und senden gleichzeitig ein Signal des Verständnisses. Die Menschen fühlen sich verstanden in diesem gestressten und emotional aktivierten Zustand und geraten in Gefahr, in diese „empathische Falle“ zu laufen. Es wäre zu kurz gegriffen, zu sagen, dass diese Form von Stress den Zulauf zu populistischen Parteien alleine erklärt. Aber: Er macht anfälliger für ihre Heilsversprechen und den empathischen Missbrauch.

Wichtig ist, an sich selbst wahrzunehmen, wenn man „emotional aktiviert“ ist, man sich unsicher und belastet fühlt oder vielleicht Zukunftsängste hat. Wenn man sich seine Ängste eingesteht, kann es davor schützen, dass diese missbraucht werden. Und das nächste ist: Darüber zu reden und sich auszutauschen.

Das alles ist nicht immer leicht. Wer Angst hat, hat oft schon einen gefährlichen Tunnelblick und ist von außen gar nicht mehr so leicht erreichbar. Aber auch dann gibt es einen Ausweg aus der Empathiefalle.

Auf emotionale Bedürfnisse eingehen, auch als Partei

Demokratische Parteien haben genau diese Chance. Sie sind es gewohnt, mit rationalen Argumenten zu argumentieren, aber das allein wird einer emotional aktivierten Bevölkerung nicht mehr in allen Belangen gerecht. Was dann gut wäre: auf diese emotionalen Bedürfnisse einzugehen und dieses Feld nicht den Populisten zu überlassen. Zum Beispiel, indem man noch leichter und klarer ausspricht, dass die Verhältnisse momentan schwierig sind. Dass man die Angst der Menschen zur Kenntnis nimmt, akzeptiert und den Leuten das Gefühl gibt: Wir sehen Euch! Und wir fühlen auch mit Euch. Das müsste in viel stärkerem Maße passieren.

Emotionen machen uns zu Menschen, aber sie sind auch unsere Achillesferse. Über unsere Emotionen, über Angst oder Unsicherheit sind wir manipulierbar. Eine Bevölkerung in Angst ist gefundenes Fressen für populistische Akteure. Die Geschichte hat zeigt, dass die Verknüpfung von Ideologie, Emotion und Manipulierbarkeit in der Lage ist, Werte und moralische Grundordnung einer Gesellschaft praktisch zu pulverisieren.

Zur Person

Prof. Dr. Mazda Adli ist Psychiater und Stressforscher. Er ist Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin und Leiter des Forschungsbereichs Affektive Störungen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin

Zum Weiterlesen

Michael Lawrence, Thomas Homer-Dixon, Scott Janzwood, Johan Rockström, Ortwin Renn, Jonathan F. Donges (2024): Global Polycrisis: The Causal Mechanisms of Crisis Entanglement. Global Sustainability Journal.

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