Einflussreich sein, über einen hohen Status verfügen, Untergebene haben – Macht fühlt sich gut an. Aber sie hat auch ihre Tücken. Denn all das geht an der Psyche nicht spurlos vorbei. Macht verändert den Alltag vieler Menschen, die Art des Zusammenlebens – und sie verändert auch die Mächtigen selbst, nicht immer zu ihrem Vorteil.
Doch zunächst hat Macht natürlich positive Wirkungen: Strategisches und abstraktes Denken nehmen zu, die Motivation steigt, Angst reduziert sich. Macht schafft positive Affekte,…
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tivation steigt, Angst reduziert sich. Macht schafft positive Affekte, also gute Stimmung, sowie eine höhere Aufmerksamkeit für Belohnungen und selbstgesetzte Ziele, während Machtlosigkeit eher mit negativen Affekten sowie einer stärkeren Aufmerksamkeit für Bedrohungen und Strafen sowie für die Interessen und Ziele anderer einhergeht. Untersuchungen belegen außerdem antidepressive Effekte, denn Machtausübung aktiviert ähnliche Hirnareale, wie es Drogen tun.
„Macht fühlt sich gut an, weil sie dasselbe Belohnungsnetzwerk nutzt wie Kokain und Sex“, berichtet Ian Robertson. Er ist Neurowissenschaftler und Klinischer Psychologe am Trinity College in Dublin. In seinem Buch Macht. Wie Erfolge uns verändern erklärt er, wie Macht und Siege die Hirnbiologie verändern. Beispielsweise erhöhen sie den Testosteronspiegel, was zu einer vermehrten Aufnahme des Neurotransmitters Dopamin in Hirnnetzwerken führt, die für Belohnungen zuständig sind. Als Folge steigt nicht nur die Laune, auch Selbstbezogenheit und Verhaltensweisen wie Mut, Innovations- und Risikofreude sind bei mächtigen Menschen deutlich häufiger zu beobachten als bei weniger einflussreichen. „Macht macht uns klüger, ehrgeiziger, aggressiver und konzentrierter. Macht verändert uns, indem sie Türen im Gehirn öffnet, die uns mehr Macht gewinnen helfen“, erklärt Robertson. Am Ende entsteht ein sich selbst verstärkender Kreislauf stetigen Machtzuwachses.
Macht beeinträchtigt soziale Fähigkeiten
So weit, so nützlich. Doch selbst die glorreichsten Sonnenkönige haben ihre Schattenseiten, wie die Weltgeschichte leider überreichlich dokumentiert. Macht bringt auch Hässliches hervor: Willkür, Unterdrückung, Gewalt, Erniedrigung. Und dafür muss man keine gestörte Persönlichkeit besitzen, schon normale, zufällig ausgewählte Versuchspersonen in psychologischen Experimenten legen überraschend negative Verhaltensweisen an den Tag, sobald man sie mit Macht ausstattet. So zeigte 2012 ein Experiment an der Universität Oxford, dass eine Machtposition eine wichtige soziale Fähigkeit des Menschen beeinträchtigt. Die Versuchspersonen wurden zunächst per Zufall einer von drei Gruppen zugeordnet: den „Mächtigen“, den „Untergeordneten“ oder den „Neutralen“. Die Probanden mussten dann Aufgaben lösen, deren Erfolg mit finanziellem Gewinn belohnt und deren Misserfolg mit einem finanziellen Verlust bestraft wurde. Dabei achteten die Forscher darauf, wie stark sich die einzelnen Gruppen für das Spielziel engagierten.
Ergebnis: Die „Mächtigen“, die darüber entscheiden durften, wie die Gewinne aufgeteilt werden sollten, strengten sich deutlich weniger an als die Untergeordneten und die Neutralen. Paradoxerweise hatten sie dabei gleichzeitig höhere Erwartungen an eine Belohnung und schenkten Verlusten deutlich weniger Beachtung. Die Untergeordneten dagegen waren sensibler für die gemeinsamen Spielziele, erwarteten weniger Belohnungen und maßen Verlusten eine deutlich größere Bedeutung zu. „Unsere Studie zeigt, dass Macht die ausbalancierte Zusammenarbeit mit Untergebenen untergräbt“, resümiert Studienleiterin Riam Kanso vom Oxforder Brain & Cognition Laboratory. Zahllose Fälle von Selbstbereicherung und Korruption in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft untermauern dieses Ergebnis. Eine frühere Studie des Psychologen Adam Galinsky zeigte übrigens, dass Macht auch die Fähigkeit reduziert, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und ihre Perspektive einzunehmen.
Und eine weitere Alltagswahrnehmung wurde nun durch Laborstudien bestätigt: Mächtige setzen sich gern über soziale Normen hinweg, und genau das nehmen Außenstehende als Zeichen von Macht wahr, wie niederländische Forscher um den Sozialpsychologen Gerben Van Kleef von der Universität Amsterdam herausfanden. In mehreren Experimenten ließen sie Mitspieler bestimmte Regeln des kultivierten Miteinanders missachten, sie tranken zum Beispiel vom Kaffee anderer Leute, legten während des Experiments die Füße auf den Tisch oder schnippten Zigarettenasche auf den Flur. Die nicht eingeweihten Versuchsteilnehmer nahmen Personen, die sich dermaßen danebenbenahmen, als mächtiger wahr als Personen, die sich an die sozialen Regeln hielten.
„Es signalisiert Macht, wenn man Normen verletzt“
In einem ähnlichen Experiment beobachteten Dacher Keltner von der University of California und Deborah Gruenfeld von der Stanford University hierarchisch gegliederte Gruppen von Versuchspersonen. Jede bestand aus einem Chef und zwei Untergebenen. Aufgabe der Chefs war, die Leistung der beiden anderen bei einer politischen Debatte zu bewerten. Die Forscher interessierte allerdings nicht, wie die Teilnehmer diese Aufgabe lösten, sondern etwas anderes. Sie reichten ihnen während des Experiments einen Teller mit fünf Keksen. Jeder Teilnehmer nahm sich zunächst einen, der fünfte musste übrigbleiben oder aber geteilt werden, was der Anstand gebietet. Doch wer würde den vierten, also letzten frei verfügbaren nehmen? Richtig: der jeweilige „Boss“. Und nicht nur das, die „Vorgesetzten“ neigten zudem deutlich häufiger dazu, mit offenem Mund zu kauen und ungehemmt herumzukrümeln. Nun könnte man denken, dass dieses Benehmen ein individuelles Verhaltensmuster der Personen war, die einfach schlecht erzogen waren. In weiteren Durchläufen wurde deshalb der jeweilige Machtstatus variiert und das Spiel wiederholt, und siehe da: Hatte man die ehemaligen Chefs ihrer Macht beraubt, verhielten sie sich plötzlich genauso anständig wie die Untergebenen der Vorrunde.
Dass die Freiheit einer Machtposition zum Danebenbenehmen verleitet, ist im echten Leben kein seltenes Phänomen. Viele Mächtige kümmert es erschreckend wenig, was ihre Mitmenschen über sie denken. Der russische Staatschef Nikita Chruschtschow trommelte mit dem Schuh aufs Rednerpult der UN-Vollversammlung; der britische Prinz Harry erschien in Naziuniform auf einer Party; Silvio Berlusconi ließ als Ministerpräsident kaum einen Fauxpas aus. „Es signalisiert Macht, wenn man Normen verletzt. Es bedeutet, dass jemand trotz aller Beschränkungen nach dem eigenen Willen handeln kann. Dieses Verhalten verstärkt die Wahrnehmung von Macht“, fasst Van Kleef die Ergebnisse seiner Studie zusammen. Eine Ursache dafür sieht Ian Robertson in der aus dem Tritt geratenen Hirnbiologie: „Das bizarre Verhalten von Diktatoren wie Muammar Gaddafi kann nicht ausschließlich auf bereits vorher existierende Persönlichkeitszüge zurückgeführt werden. Es erklärt sich viel schlüssiger durch die Effekte der Macht, die das Gehirn aus dem Gleichgewicht bringen.“
Eine weitere Schattenseite fand ein Team um Nathanael Fast von der University of Southern California in fünf Experimenten. Dafür ließen sie Testpersonen wieder mächtig beziehungsweise ohnmächtig sein und beobachteten, welche Entscheidungen sie anschließend trafen. Vor allem Mächtige, die sich ihrer Macht sehr bewusst waren und sich gleichzeitig kompetent fühlten, neigten auffallend oft zu übertrieben selbstsicheren Entscheidungen, und zwar selbst dann, wenn diese falsch und mit finanziellen Einbußen verbunden waren. In einigen Experimenten schnitten sie sogar schlechter ab als die Machtlosen. Wer sich seiner Macht allzu sicher ist, scheint Einwände und Bedenken eher zu ignorieren. Bei Entscheidungen, die Präzision, Voraussicht und genaues Abwägen verlangen, also im Grunde das normale Tagesgeschäft von Managern und Politikern, kann das fatale Folgen haben. Fast und seine Kollegen hoffen, mit solchen Erkenntnissen Fehlentscheidungen in Politik und Wirtschaft gegensteuern zu können. Das liege nicht nur im Interesse der Mächtigen selbst, sondern vor allem im Interesse der Allgemeinheit, die die Folgen arroganter Alleingänge von Entscheidern ausbaden muss. Jemanden zum Beispiel an zurückliegende Fehlentscheidungen zu erinnern könnte die Machtblase, in der sich viele Mächtige einrichten, platzen lassen, schlägt Fast vor.
Inkompetente Mächtige reagieren am aggressivsten
Der heikelste, weil für Gesellschaften bedrohlichste Aspekt von Macht ist die Aggression. Herrschende lassen Gegner und Gefolgsleute ausschalten, unterdrücken ganze Bevölkerungsgruppen und greifen Nachbarstaaten an; im Wirtschaftsleben ruinieren sie Konkurrenzunternehmen, bisweilen sogar das eigene. Dieser hässlichen Seite der Dominanz gehen Psychologen im Experiment nach, um zu sehen, wann Macht in Aggression umschlägt. Es war wieder Nathanael Fast, diesmal gemeinsam mit Serena Chen von der University of California in Berkeley, der vier Gruppen mit unterschiedlichen Niveaus an Macht und Kompetenz ausstattete: viel oder wenig Macht, jeweils verbunden mit hoher oder niedriger Kompetenz. Dann ließen sie die Gruppen verschiedene Aufgaben erfüllen und beobachteten, wie sie sich gegenüber Untergebenen, aber auch fremden Personen verhielten. Das Ergebnis: Am aggressivsten agierten die inkompetenten Mächtigen. Chefs scheinen also vor allem dann zum Tyrannen zu werden, wenn sie sich ihrer Position nicht gewachsen fühlen. Sie wissen genau, dass sie unter Beobachtung stehen, und der daraus erwachsende Stress kippt die Macht ins Destruktive.
Anders sah es nämlich bei der „gelassenen“ Chefgruppe aus, die sich ihrer Aufgabe gewachsen fühlte und der eigenen Kompetenzen versichert worden war: Sie blieb friedlich. Interessanterweise verschwanden allerdings auch bei der vorgenannten Gruppe die Aggressionen, sobald die Versuchsleiter das Selbstwertgefühl der Teilnehmer ausdrücklich stärkten. „Aggressionen von Mächtigen sind häufig das Resultat eines bedrohten Egos“, resümieren Chen und Fast. Leidensgeschichten von Angestellten unter solcher Art überforderter Chefs gibt es in vielen Unternehmen.
Neben der reinen Macht scheint auch der Status eine Rolle zu spielen, wie Nathanael Fast in einem weiteren Experiment herausfand: Versuchspersonen, denen man Macht gab, ohne sie mit einem hohen sozialen Status zu verbinden, neigten deutlich stärker dazu, andere zu erniedrigen, als Mächtige, die einen hohen Status genießen durften. In dem Experiment entschieden sich die statuslosen Mächtigen deutlich häufiger dafür, eine untergebene Person wie einen Hund bellen oder sie den Satz sagen zu lassen: „Ich bin schmutzig“, als Mächtige mit hohem Ansehen. „Macht ohne Status verleitet dazu, andere zu erniedrigen“, sagt Fast. Autorität und Statusgefühle interagieren miteinander, und ein niedriger Status wirkt offenbar ähnlich bedrohlich wie das Bewusstsein mangelnder eigener Kompetenz. Und erst die Machtposition gibt die nötige enthemmende Freiheit, um dem inneren Zustand entsprechend zu handeln. Diese emotionale Gemengelage führt schließlich zu dem fatalen Impuls, andere zu demütigen.
„Machterleben beeinflusst das Motivationssystem des Gehirns“
Könnte es sein, dass sich bei all diesen Verhaltensunterschieden auch das Gehirn selbst und seine Funktionsweise verändert, je nachdem, wie viel Macht eine Person besitzt? Bei dieser Frage steht die Forschung noch am Anfang, doch es gibt erste Hinweise. Ein Team um Maarten Boksem von der Erasmus-Universität Rotterdam ließ Versuchspersonen detailliert ein Erlebnis aufschreiben, bei dem sie Macht über andere Menschen hatten, oder eine Situation, in der sie der Macht anderer Personen ausgeliefert waren. Währenddessen wurde ihre Hirnaktivität mit einem EEG gemessen. Und das zeigte bei den Mächtigen deutlich mehr als bei den machtlosen Teilnehmern eine starke neuronale Aktivität in Bereichen des linken Vorderhirns. Aus früheren Studien ist bekannt, dass die Aktivierung dieses Hirnbereichs mit einer Tendenz zu einem aktiven, motivierten und zielorientierten Verhalten verbunden ist. Die Machtlosen zeigten dagegen eine stärkere Aktivierung des rechten Vorderhirns, die mit einem eher gehemmten, vermeidenden Verhalten einhergeht. „Unsere Studie belegt, dass das Erleben eigener und fremder Macht unmittelbar das Motivationssystem des Gehirns beeinflusst“, erklärt Boksem. Das bestätigt Untersuchungen, die zeigten, dass Macht Menschen in die Lage versetzt, die Aufmerksamkeit besser auf selbstgesetzte Ziele zu richten und sie am Ende auch zu erreichen, während sich machtlose Menschen stärker von Informationen ablenken lassen, die nicht mit ihren eigenen Zielen zu tun haben. Das Gehirn machtloser Personen wird stärker in einer Weise aktiviert, die die Fokussierung auf eigene Ziele herunterreguliert und ein eher reaktives Verhalten auslöst.
Angesichts solcher Forschungsergebnisse wirft Ian Robertson die Frage auf, wie weit die langjährige Ausübung einer Machtposition das Funktionieren des Gehirns sogar auf Dauer verändert und damit letztlich auch die Selbst- und Realitätswahrnehmung der Betroffenen. Schon eine kleine Machtfülle löse etwa einen Rückgang an Empathie aus, warnt Robertson. Und auch die gesteigerte Dopaminmenge im Gehirn sei nicht nur positiv zu sehen: „Wie bei vielen Neurotransmittern gilt auch hier, dass zu wenig davon ebenso wie ein Zuviel das koordinierte Funktionieren des Gehirns stören kann.“ Zwar helfe die Tatsache, dass die Macht das Gehirn verändert, „um uns klüger und konzentrierter zu machen und so unsere Macht zu verstärken und uns für weitere Siege vorzubereiten“ – nur so sei auf Dauer Fortschritt möglich. Doch letztlich gelte: „Alles –, Geld, Sex, Macht oder Kokain – was starke und wiederholte Dopaminschübe im Belohnungssystem des Gehirns auslöst, kann suchtartiges Verlangen hervorrufen.“ Sobald Mächtige in diesem Stadium angekommen seien, falle es ihnen schwer, Macht freiwillig wieder aus den Händen zu geben. „Diese Suchtqualitäten der Macht und ihre verzerrenden Wirkungen auf den menschlichen Geist haben allein im vergangenen Jahrhundert Hunderte Millionen Menschen das Leben gekostet“, resümiert Ian Robertson bitter.
Michael Schmitz, langjähriger politischer Journalist und heute Managementberater, hat über Jahrzehnte hinweg mächtige Personen aus nächster Nähe erlebt. Auch er warnt vor den langfristigen Folgen: „Je länger Mächtige Macht ausüben, umso selbstverständlicher erscheint sie ihnen und umso gedankenloser nutzen sie die Vorteile und Privilegien, die ihnen Macht gewährt. Macht schleift hehre Ziele und verändert die Persönlichkeit.“ Schmitz plädiert deshalb ebenso wie Robertson, Fast und andere Forscher für die (Selbst-)Beschränkung: „Wer um die Tücken der Macht weiß, sollte Macht nicht über lange Zeit beanspruchen, nie auf Dauer anstreben.“ Und letztlich seien natürlich Kontrolle und Korrektur auch von außen nötig. Aus seinen Forschungen zieht Robertson den Schluss, dass man die Mächtigen selbst vor der Droge Macht und ihren Folgen schützen müsse. Dass der mächtigste Mann der Welt, der amerikanische Präsident, maximal acht Jahre im Amt bleiben darf, habe angesichts der Forschungsergebnisse aus Psychologie und Neurowissenschaft nicht nur politische, sondern auch gute neurobiologische Gründe.
Literatur
Ian Robertson: Macht. Wie Erfolge uns verändern. Dtv, München 2013
Michael Schmitz: Psychologie der Macht: Kriegen, was wir wollen. Kremayr & Scherian, Wien 2012
Nathanael J. Fast u. a.: The destructive nature of power without status. Journal of Experimental Social Psychology, 1/2012, 391–394
Riam Kanso u. a.: Power corrupts co-operation: Cognitive and motivational effects in a double EEG paradigm. Social Cognitive and Affective Neuroscience, Onlinepublikation vom 28.11.2012
Maarten Boksem u. a.: Social power and approach-related neural activity. Social Cognitive and Affective Neuroscience 7, 2012, 516–520
Gerben Van Kleef u. a.: Violating the rules to rise to power. How norm violators gain power in the eyes of others. Social Psychology and Personality Science, 2, 2011, 500–507
Nathanael J. Fast, Serena Chen: When the boss feels inadequate. Power, incompetence, and aggression. Psychological Science, 20, 2009, 1406–1413