Bloßes Verständnis

Gemeinsam schwitzen: Das ist für viele ein Inbegriff von Behaglichkeit. Die Hitze öffnet mehr als nur die Poren. Über die Psychologie der Sauna.

Eine Saunabank mit einem Aufgusseimer, alles aus Holz
Höhepunkt der Saunagänge ist der Aufguss, ein quasireligiöses Ritual. © plainpicture/Stock4b/Felbert+Eickenberg

Die öffentliche gemischte Sauna ist ein seltsamer Ort. Auf engem Raum sitzen Menschen beiderlei Geschlechts in relativer Dunkelheit zusammen, manche kennen einander, andere sind fremd, alle sind nackt und alle schwitzen. Manchmal sprechen die Schwitzenden miteinander, dann wieder herrscht Stillschweigen, und das einzige Geräusch, das man hört, ist das Zischen des Wassers, das beim Aufguss über die heißen Steine geschüttet wird.

Wasser, Wärme und das gedämpfte Licht in der Saunakammer mögen unbewusst an das…

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das gedämpfte Licht in der Saunakammer mögen unbewusst an das harmonische pränatale Bad in der Fruchtblase erinnern. Die damit verbundenen Empfindungen der Geborgenheit werden in der Tiefenpsychologie als „ozeanische Gefühle“ bezeichnet.

Die Sauna ist aber nicht nur ein Ort des Erlebens solcher Gefühle und damit eines Zustands wortloser Zufriedenheit, sondern auch ein Ort wortreicher Kommunikation, zumal die Besucherinnen und Besucher einer Sauna ein – wie man in der Sozialpsychologie sagen würde – „körperbetontes soziales System“ bilden. Solche Systeme bewirken einen von Lockerheit und Authentizität geprägten Umgang der betreffenden Individuen untereinander. So lässt sich feststellen, dass die an den Gesprächen in der Sauna Beteiligten mitunter in bemerkenswerter Weise aus sich herausgehen.

Barrieren schmelzen

Hitzköpfig werden politische Themen diskutiert, freimütig zu Herzen gehende Alltagserlebnisse zur Sprache gebracht. Diese Freimütigkeit mag mit dem engen Beieinandersitzen, mit der Nacktheit und der Verbundenheit durch die gemeinsame körperliche Ausscheidung zusammenhängen.

Vielleicht ist es auch die Hitze, welche die Poren und damit auch die ganze Person öffnet und so womöglich letzte Mitteilungsbarrieren schmelzen lässt. Das Duzen ergibt sich da beinahe so zwangsläufig wie das Schwitzen. Es entstehen sogenannte „Saunafreundschaften“, es bilden sich „Saunarunden“, deren Mitglieder durch die gemeinsamen Saunagänge buchstäblich zusammengeschweißt werden.

Höhepunkt dieser Saunagänge ist der Aufguss, ein Ritual, das in der Saunaforschung als quasireligiöses Ereignis gedeutet wird. Aus dieser Perspektive erscheinen die sitzenden Schwitzenden als Gläubige, die während der Zeremonie – wie beim kirchlichen Gottesdienst – untereinander keine Gespräche führen dürfen.

Sexuelle Symbolik

Der Aufgießer – in Österreich „Wachler“ genannt – wird mit einem Priester verglichen, weil Verhaltensweisen wie das langsame Begießen der heißen Steine, das anschließende andächtige Innehalten und das finale „Herunterwacheln“, also Verteilen der heißen Luft mittels eines herumgeschwenkten Tuches an Analogien zu liturgischen Handlungen denken lassen.

Andere Gedanken hat diesbezüglich der Psychotherapeut und Saunaforscher Franz Sedlak, wenn er glaubt, in den Handlungen des Wachlers sexuelle Symbolgehalte erkennen zu können:

„[…] schon die Pose, die der Aufgießer einnimmt, die feste Entschlossenheit, mit der er den Schöpflöffel ergreift, das zärtliche Vorspiel, mit dem er zunächst nur wenige Wasserspritzer auf die heißen Steine schleudert, um dann in einem überwältigenden Schwung den Inhalt des ganzen Kübels darauf zu kanonieren, […] das zunächst nur sanfte Hin- und Herbewegen des ‚Wacheltuches‘, um schließlich nach einem zärtlichen Ausholen kühn und explosiv zuzustoßen.“ Die dieses „Zustoßen“ begleitenden Publikumsäußerungen wie „Uaaaaaah!“ oder „Ooouuuah!“ werden als nicht minder zweideutig erachtet.

Lust und Scham

Lassen sich also Grunz- und Keuchlaute der Schwitzenden und Handlungen des Aufgießers in verschiedener Weise deuten, so gilt dies vielleicht mehr noch für die Blicke. Drei Arten des männlichen Blicks auf den nackten Frauenkörper in der öffentlichen gemischten Sauna könnte man im Anschluss an eine Untersuchung von Jean-Claude Kaufmann zum Oben-ohne-Baden unterscheiden (die Blicke der Frauen auf den nackten Männerkörper wurden bislang nicht untersucht):

1. den banalen Blick, also das interes­selose Betrachten oder bewusste Über­sehen des Körpers

2. den ästhetischen Blick, also das Betrachten des Körpers allein unter dem Gesichtspunkt der Schönheit

3. den sexuellen Blick, also die lüsterne Betrachtung des Körpers.

Nacktsein genießen

Letzterer dürfte in seiner unverhohlenen Form die Ausnahme in der Sauna sein und wird denn auch als Voyeurverhalten gebrandmarkt. Es dürfte aber zutreffen, dass der Blick der Männer kontinuierlich und oft in Sekundenbruchteilen zwischen den drei Wahrnehmungen wechseln kann.

Bei diesen Blickspielen können sich Betrachter und Betrachtete in demselben Moment in verschiedenen Sinnwelten befinden, denn derselbe Blick sagt für den, der schaut, nicht unbedingt dasselbe aus wie für diejenige, die betrachtet wird. Ihr bleibt die Chance, das aus dem Blick herauszulesen, was ihr angenehm ist – oder in eine reine Damensauna zu wechseln.

Ungeachtet dessen gilt die Sauna als Raum, in welchem das nackte Dasein genussvoll erlebt werden kann. Zwar gibt es für schamvolle Menschen immer die Möglichkeit, sich ein Tuch umzuschlingen oder – sofern kein „Textilverbot“ herrscht – Badekleidung zu tragen. Doch das tiefe Gefühl, gleichzeitig verletzlich, aufgehoben und akzeptiert zu sein, empfindet man wohl nur ohne schützende Hülle.

Dr. Gilbert Norden ist Assistenzprofessor i.R. am Institut für Soziologie der Universität Wien. Im Sommer 2021 erschien bei Brill das Buch ­Introduction to the Sociology of Sport, das er gemeinsam mit Otmar Weiß verfasst hat.

Literatur

Jean-Claude Kaufmann: Frauenkörper – Männerblicke. UVK, Konstanz 2006

Gilbert Norden: Saunakultur in Österreich. Zur Soziologie der Sauna und des Saunabesuchs. Böhlau, Wien/ Köln/ Graz 1987

Gilbert Norden: Sauna als Faktor der Lebensqualität. In: Hubert Christian Ehalt u. a. (Hg.): Lebensqualität in modernen Gesellschaften. Festschrift für Wolfgang Schulz. Peter Lang Verlag, Frankfurt/ Main 2011

Gilbert Norden: Sauna als soziales Phänomen. In: Raimund Haindorfer u. a. (Hg.): Soziologische Momente im Alltag. Von der Sauna bis zur Kirchenbank. New Academic Press, Wien/Hamburg 2019

Volker Rittner: Zur Soziologie körperbetonter sozialer Systeme. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 25: Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien, 1983, 233–255

Ines Sebesta (Hg.): Nackte Unterhaltung. Saunageschichten. Wieser, Klagenfurt 2011

Franz Sedlak: Ich schwitze, also bin ich! (Transpiro ergo sum). Zum philosophischen Abgrund von Saunagesprächen. Eigenverlag Dr. Franz Sedlak: Wien 1998

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2022: Für sich einstehen